Zwei Tage, bevor das BVerwG über ihre Klagen gegen Überwachung entscheiden will, haben Reporter ohne Grenzen und ihr Anwalt ein geheimes Dokument vorgelegt. Es zeigt, dass der BND rechnerisch fast unser aller Kommunikation überwacht.
Es ist nicht das erste Mal, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) über die strategische Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) urteilen soll. Wenn die Leipziger Richter am Mittwochmorgen die Klagen von Reporter ohne Grenzen (ROG) und dem Berliner Anwalt und LTO-Autor Prof. Niko Härting für zulässig erachten sollten, wäre jedoch eine wichtige Hürde für mögliche Klagen von Bürgern gegen ihre Überwachung durch Geheimdienste genommen.
Härting klagt als Vertreter von Reporter ohne Grenzen (ROG) und im eigenen Namen dagegen, dass der BND in den Jahren 2012 und 2013 internationale Telekommunikationsbeziehungen, vor allem E-Mail-Verkehr anhand vorher festgelegter Suchbegriffe durchsucht und die Daten anschließend ggf. weiteverarbeitet hat. Die Kläger gehen davon aus, dass wegen ihrer häufigen Kommunikation mit Personen im Ausland auch Teile ihrer eigenen Korrespondenz auf diese Weise ausgespäht wurden, ohne dass dabei ihre besonderen Verschwiegenheitsrechte und -pflichten als Pressevertreter bzw. Rechtsanwälte beachtet worden wären.
Zwar wurde eine auf das Jahr 2010 bezogene, inhaltlich teilweise deckungsgleiche Klage des Berliner Anwalts bereits in der Vergangenheit in Leipzig als unzulässig abgelehnt (BVerwG, Urt. v. 28.05.2014, Az. 6 A 1.13). Dieses Mal aber könnte es anders laufen. Nun richten sich beide Parteien zusätzlich gegen die Speicherung und Nutzung ihrer Verbindungsdaten durch "VerAS". Das Verkehrsanalysesystem des Auslandsnachrichtendienstes speichert die im Rahmen von Telefongesprächen, SMS- und E-Mail-Verkehr, Kommunikation in sozialen Netzwerken sowie Besuchen von Internetseiten angefallen Daten nicht nur, sondern analysiert sie auch. Und zwar rein rechnerisch die Daten von jedem Bürger. Das folgt aus einem internen Rechtsgutachten des BND, das ROG und Härting am Montag vor dem Termin dem Senat vorgelegt haben. Sie hoffen, dass es im Verfahren den entscheidenden Ausschlag geben wird.
Software überwacht und verknüpft die Daten von Personen mindestens bis zur 5. Ebene
Das 24-seitige Dokument sei vor ca. zwei Wochen von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht worden, so Anwalt Niko Härting. Das Rechtsgutachten des BND enthalte genauere Informationen über VerAS, als bislang bekannt gewesen seien. Das System wird laut Härting gespeist durch Daten aus der strategischen Ausland-Ausland-Überwachung sowie der Inland-Ausland-Überwachung, soweit letztere nach dem G-10-Gesetz zulässig sei. Informationen lieferten auch sog. "befreundete Dienste", u.a. die amerikanische NSA, dem Vernehmen nach ein großer Fan von VerAS.
Das Besondere ist, dass die Analyse-Software nicht nur wie eine Datenbank Informationen sammelt, sondern diese auch analysiert und verknüpft - und zwar bis mindestens zur 5. Ebene. Damit flössen jeden Monat "unfassbare 500 Millionen Metadaten" in VerAS, so der Geschäftsführer von ROG, Christian Mihr, am Montag in Berlin. Und nach Angaben der von netzpolitik.org wiedergegebenen
BND-Datenschutzbeauftragten bremst das System nicht einmal aus, wenn man in die achte Ebene geht.
Was genau alles analysiert wird, weiß weder die Journalistenorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit weltweit zu dokumentieren, noch Anwalt Härting. "Was wir aber wissen ist, dass sich der BND für sehr weitgehend befugt hält, beispielsweise auch Standortdaten deutscher Bürger zu analysieren - jedenfalls dann, wenn eine Anordnung nach § 5 G-10-Gesetz vorliegt", so der Berliner Datenschutzrechtler. Die Vorschrift benennt die Voraussetzungen, unter denen Überwachungsmaßnahmen angeordnet werden dürfen.
Er ist überzeugt, dass selbst wenn Rufnummern deutscher Bürger "geixt" würden, Verknüpfungen trotzdem erkennbar blieben. Schließlich würden die Inland-Inland-Verkehrsdaten, die der BND nicht erheben darf, "mit den üblichen unzulänglichen Filtern herausgefiltert. Alles andere wird analysiert, bis hin zu sensiblen Daten wie dem Standort, von dem aus ein Telefonat geführt wird". Aber auch die Dauer eines Gesprächs, die Seite, durch welche dieses beendet würde und etwaige technische Gründe für das Gesprächsende würden vom System erkannt, gespeichert und vernetzt.
Pia Lorenz, Berliner Anwalt und Journalisten klagen gegen Überwachung: . In: Legal Tribune Online, 13.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21444 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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