Der G20-Gipfel 2017 in Hamburg wurde begleitet von wütendem Protest. Dass ein geplantes Protestcamp hierbei zu Recht nicht unter den Schutz des Versammlungsrechts fiel, hat das BVerwG nun bestätigt. Ein Bericht von Roman Fiedler.
Übernachten verboten: Das geplante Protestcamp “Eine andere Welt ist möglich” anlässlich des G20-Gipfels 2017 in Hamburg war keine durch Art. 8 Grundgesetz (GG) geschützte Versammlung. Dies hat am Mittwochabend das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden (Urt. v. 27.11.2024, Az. 6 C 4.23).
Die Leipziger Richterinnen und Richter stellten fest, dass es sich bei einem Protestcamp mit deutlichem Übergewicht an Versorgungsinfrastruktur – die Rede ist etwa von Zelten, Küchen und Duschen – unabhängig von seinem politischen Konzept nicht um eine Versammlung handelt.
Damit hat das Gericht die Revisionen der Kläger COMM e. V. und Attac e. V. abgelehnt. Die globalisierungskritischen Vereine waren Mitveranstalter des Protestcamps gewesen. Ein juristisches Tauziehen findet somit nach über sieben Jahren sein Ende.
Ausnahmezustand in Hamburg
Mitten in der Stadt – nicht weit vom autonomen Zentrum “Rote Flora” entfernt – trafen sich im Juli 2017 Vertreter der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Der Gipfel wurde von wütendem Protest begleitet, Zehntausende Demonstranten strömten in die Stadt. 31.000 Polizisten wurden zum Schutz des Treffens nach Hamburg geschickt.
Bis zu 7.000 der Gipfelgegner sollten für den eine Woche andauernden Protest im geplanten Camp der klagenden Vereine unterkommen. Es sollten zahlreiche Workshops zu Themen wie Militarismus, Fluchtursachen und Sexismus abgehalten werden, ein begleitendes Kulturprogramm stattfinden und Schlafzelte sowie Küchen und Duschen bereitgestellt werden.
Das Bezirksamt erteilte jedoch die Erlaubnis zur Errichtung des Camps im Altonaer Stadtpark nicht. Als Grund nannte die Behörde ein grünanlagenrechtliches Verbot, auf öffentlichem Erholungsgrund zu zelten. Eine Versammlung im Sinne von Art. 8 GG liege nicht vor, denn um eine versammlungsrechtlich geschützte Infrastruktur handele es sich nur dann, wenn diese für die kollektive Meinungskundgabe wesensnotwendig sei.
Hin und Her vor den Gerichten
Nachdem sie erfolglos Eilrechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht Hamburg (VG) beantragt hatten, schaltete sich wenige Tage vor Gipfelbeginn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein und entschied zugunsten der Gipfelgegner.
Im Falle eines anderen parallel geplanten und ebenfalls untersagten Protestcamps entschieden die Richterinnen und Richter in Karlsruhe, die Veranstaltung solle “möglichst weitgehend ermöglicht werden”. Sie müsse vorsorglich den Regeln des Versammlungsrechts unterstellt werden. Die Klage werfe “schwierige und in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ungeklärte Fragen auf”, die im Rahmen des Eilrechtsschutzes nicht geklärt werden könnten (Beschl. v. 28.06.2017, Az. 1 BvR 1387/17). Damit widersprach das oberste Gericht dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht (OVG), das kurz zuvor noch in die andere Richtung geurteilt hatte. LTO berichtete.
Brisanter Weise verhinderte die Polizei damals trotz der höchstgerichtlichen Entscheidung den Zugang zum Gelände und den Aufbau des Parallelcamps und beschlagnahmte Schlafzelte. Dieses fragliche Vorgehen bezeichnete der Camp-Anwalt, Martin Klingner, gar als “Putsch der Polizei gegen die Justiz”. Olaf Scholz, zum damaligen Zeitpunkt Erster Bürgermeister Hamburgs, verteidigte jedoch das Vorgehen der Polizei rund um den Gipfel.
Nach dem Eingreifen des BVerfG genehmigte die Versammlungsbehörde das geplante Camp der klagenden Vereine COMM und Attac dann jedenfalls doch noch – aber an anderem Ort und unter Auflagen. So wurden maximal 300 Zelte erlaubt. Auch die Errichtung von Duschen und Küchen wurden nur eingeschränkt genehmigt. Hiergegen wandten sich die Vereine wiederum an das VG Hamburg.
Verwaltungsgerichte bleiben hart
Das VG lehnte die Klage ab (Urt. v. 15.07.2020, Az. 10 K 307/18). Es handele sich um eine “gemischte Versammlung”, die sowohl Elemente enthalte, die auf öffentliche Meinungskundgabe gerichtet seien, als auch Elemente, die diesem Zweck nicht zuzurechnen seien. Für die Frage, ob eine Versammlung vorliege, sei das “Gesamtgepräge” entscheidend. Die Schlafzelte und Versorgungsinfrastruktur hatten dabei nach Ansicht des VG einen wesentlichen Teil des Camps ausgemacht und “allein der Beherbergung von Personen gedient”.
Daran änderte auch etwa die Absicht nichts, die Zelte symbolisch so anzuordnen, dass sie aus der Luft gesehen den Schriftzug “#NoG20” bildeten. Wesentliches Ziel des Camps soll es laut VG gewesen sein, eine “Massenunterkunft” für G20-Gegner zu schaffen, damit diese sich an Demonstrationen im restlichen Stadtgebiet beteiligen könnten. Die von Art. 8 GG geschützten Elemente der öffentlichen Meinungskundgabe waren nach Ansicht des Gerichts ein „nur untergeordnetes Anliegen“, weswegen eine Versammlung verneint wurde.
Die Vereine hatten dem entgegengehalten, dass es sich bei Protestcamps um eine eigenständige Protestform handele, die eine kollektive Meinungskundgabe in Form einer Dauerversammlung darstelle. Dieser müsse somit der Schutz des Art. 8 GG zukommen – selbst ein reines Schlafcamp sei von der Versammlungsfreiheit erfasst. Um mehrtägige Proteste wie beim G20-Gipfel überhaupt zu ermöglichen, sei eine ausreichende Versorgungsinfrastruktur zum Schlafen, Essen und Waschen notwendig.
Die Auffassung des VG wurde in der nächsten Instanz jedoch bestätigt. Auch das Hamburgische Oberverwaltungsgericht ging vom 1. März 2023 von einem “deutlichen Übergewicht” der nicht auf Meinungskundgabe gerichteten Elemente aus und lehnte eine Versammlung ab (4 Bf 221/20). Zuletzt ging es also für die zwei klagenden Vereine vor das BVerwG, um nachträglich die grundsätzliche Frage klären zu lassen: Sind solche groß angelegten Protestcamps von der Versammlungsfreiheit gedeckt?
BVerwG hat schon einmal über Protestcamp entschieden
In Sachen Protestcamps erging bereits im Jahr 2022 eine wegweisende Entscheidung des BVerwG. Bei Klimaprotesten im Rheinland 2017 wurde ein ähnliches Zeltlager wie in Hamburg für Demonstranten errichtet – hierbei habe es sich um eine durch Art. 8 GG geschützte Versammlung gehandelt, stellte das Leipziger Gericht dazu fest, und zwar mitsamt ihrer Infrastruktureinrichtungen zur Übernachtung und Verpflegung (Urt. v. 24.05.2022, Az. 6 C 9.20).
Das Gericht formulierte den Grundsatz, wonach Versorgungseinrichtungen dem unmittelbaren Schutz durch Art. 8 GG unterfallen, wenn sie entweder einen inhaltlichen Bezug zur bezweckten Meinungskundgabe der Versammlung aufweisen oder aber für die konkrete Veranstaltung logistisch erforderlich sind. Im Falle des Klimacamps hing die Durchführung der mehrtägigen Versammlung in der Tat davon ab, dass Schlafplätze geschaffen wurden – fand sie doch mitten auf dem Land statt, wo es andere Übernachtungsmöglichkeiten nicht gab.
Doch wie ist es in einer Millionenmetropole wie Hamburg? Dies war einer der rechtlichen Knackpunkte der Verhandlung vor dem BVerwG am Mittwoch. Die Vorinstanzen hatten betont, die Schlafzelte seien für die Versammlung gerade nicht funktional notwendig gewesen, habe es doch genügend freie Hotels in Hamburg gegeben.
Auch noch die Fahrkarte bezahlen?
Dagegen wandte sich die Anwältin der klagenden Vereine, Ulrike Donat, entschieden. Bei einem Bürgerprotest in einer Stadt wie Hamburg, in der keine Freiflächen mehr existieren, seien derartige Unterbringungsmöglichkeiten notwendig. Die Durchführung der Versammlung hänge in solchen Fällen davon ab. Auch könnten sich viele Demonstranten ein Hotelzimmer nicht leisten.
Der Vorsitzende Richter Ingo Kraft bemerkte hierzu, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit keinen leistungsrechtlichen Charakter habe. Wenn dem Staat demnach die Pflicht zukommen solle, für bezahlbare Unterkünfte bei Dauerversammlungen zu sorgen, wieso nicht gleich auch den Anreisenden die Fahrkarte bezahlen, fragte der Vorsitzende etwas provokant. Hier brauche es klare Grenzen.
Die Anwältin der Vereine betonte bei der Verhandlung außerdem, dass das Gesamtgefüge des Camps politisch gewesen sei. Die Zelte als solche hätten im Kontext der damaligen “Flüchtlingskrise” auf den Unterbringungszustand der Menschen hinweisen sollen. Von den abgehaltenen Workshops bis zum veganen Essen sei alles politisch gewesen und habe demonstriert, dass „eine andere Welt“ möglich sei – etwa eine solidarische und klimagerechte Welt.
Um den Senat zu überzeugen, reichte dies allerdings nicht. Mit seinem Urteil hat das Gericht nun anders entschieden als im Falle des Klimacamps im Rheinland. Für die Durchführung der Versammlungen rund um den G20-Gipfel seien die Zeltlager gerade nicht entscheidend gewesen – auch wenn damit immer noch unklar bleibt, wo die Zehntausenden Demonstranten sonst hätten unterkommen sollen.
Roman Fiedler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig und freier Journalist.
BVerwG zum G20-Protestcamp in Hamburg: . In: Legal Tribune Online, 28.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55980 (abgerufen am: 07.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag