Ein in Deutschland geborenes Kind eines türkischen Arbeitnehmers, das aktuell eine Aufenthaltserlaubnis braucht, kann sich nicht darauf berufen, dass es früher keine brauchte. Die Aufenthaltserlaubnispflicht für unter 16-jährige Ausländer bleibt zur Zuwanderungskontrolle erforderlich, entschied das BVerwG. Rolf Gutmann hält Gründe und Ergebnis für falsch.
Der türkische Vater des in Deutschland geborenen Klägers lebt seit 1994 mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet und ist Arbeitnehmer. Den Antrag des im Jahr 2011 geborenen Jungen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hatte der beklagte Landkreis im Februar 2012 abgelehnt, weil sein Lebensunterhalt nicht gesichert sei.
Ein erlaubnisfreier Aufenthalt komme nicht in Betracht, da die hier einschlägige sogenannte Stillhalteklausel des Art. 13 des Assoziationsrats EWG-Türkei (ARB 1/80) auf den Bereich der Familienzusammenführung nicht anwendbar sei, meinte die Behörde.
Dieses Ergebnis bestätigte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), das die Klage auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung und Feststellung, dass der Junge sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, am Donnerstag abwies. Auch nach Ansicht der Leipziger Richter kann der Jugendliche, der nach aktueller Rechtslage eine Aufenthaltsgenehmigung braucht, sich nicht darauf berufen, dass noch nicht 16-jährige Türken von dieser Pflicht bis zum Jahr 1997 befreit waren (BVerwG, Urt. v. 06.11.2014, Az 1 C 4.14).
Standstill-Klausel erfasst auch Aufenthaltserlaubnispflicht
Die Standstill-Klausel des Art. 13 des Assoziationsrats EWG-Türkei (ARB 1/80) verbietet es, neue Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt für türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen einzuführen. Dennoch verfügte der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) im Jahr 1997, dass auch türkische Jugendliche, die bis dahin von dieser Pflicht befreit gewesen waren, nun eine Aufenthaltsgenehmigung bräuchten, nachdem im Jahr zuvor 2068 Kinder unter 16 Jahren aus den ehemaligen Anwerbestaaten Türkei, Marokko, Tunesien und dem ehemaligen Jugoslawien ohne Begleitung eines Elternteils in die Bundesrepublik eingereist waren.
Diese Einführung einer Aufenthaltserlaubnispflicht durch § 33 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) stellte, so auch das BVerwG am Donnerstag, eine neue Beschränkung im Sinne der Standstill-Klausel dar, da sie eine Verschlechterung gegenüber der durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 AuslG im Jahr 1965 gewährten Befreiung von der Aufenthaltserlaubnispflicht für unter 16-Jährige darstellt.
Auf das assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbot des Art. 13 ARB 1/80 kann der Kläger sich auch berufen. Und dennoch kommt das BVerwG zum Ergebnis, dass der Junge eine Aufenthaltserlaubnis braucht. Dieses Erfordernis diene einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses i.S. der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), so der 1. Senat. Schließlich bezwecke es eine effektive Zuwanderungskontrolle und sei auch nach Art und Umfang gerechtfertigt.
BVerwG zur Standstill-Klausel: . In: Legal Tribune Online, 07.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13745 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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