Der Freiburger Rechtsprofessor Dietrich Murswiek hat für einen LinkedIn-Nutzer, dessen impfkritische Postings gelöscht wurden, eine Verfassungsbeschwerde erhoben. Christian Rath kennt die juristische Argumentation.
LinkedIn ist eines der weltweit größten sozialen Netzwerke. Nach eigenen Angaben hat es weltweit über 900 Millionen Nutzer:innen. Seit 2016 gehört LinkedIn zu Microsoft, die europäischen Angebote organisiert eine Tochter mit Sitz in Irland. In erster Linie versteht sich LinkedIn als Karrierenetzwerk zur Pflege und Erweiterung der beruflichen Kontakte. Daneben bietet das Netzwerk aber auch Raum für allgemeinen Austausch über das Leben und die Politik.
Der Immobilienunternehmer Jörg K. nutzte LinkedIn vor allem zur Pflege beruflicher Beziehungen. Sein LinkedIn-Profil war mit 16.500 Kontakten verbunden. Wenn er etwas postete, erreichte er damit bis zu 100.000 Personen. Diese Reichweite nutzte K. gelegentlich auch, um seine Position zu gesellschaftlichen Themen zu verbreiten.
Der Rechtstreit betrifft drei Postings von K. aus dem Jahr 2022, als über die Einführung einer bundesweiten Corona-Impfpflicht diskutiert wurde. K. verbreitete einen Essay des Soziologen Alexander Zinn zur Ausgrenzung im Zusammenhang mit Impfungen, einen Offenen Brief des Staatsrechtlers Gerd Morgenthaler sowie eine Stellungnahme des "Netzwerks kritischer Richter und Staatsanwälte", jeweils gegen die Einführung einer Impfpflicht.
LinkedIn löschte alle drei Beiträge und sperrte das Profil von K. Der Unternehmer klagte jedoch gegen das Vorgehen von LinkedIn. Sein Profil sollte wieder zugänglich sein und die Beiträge sollten wieder veröffentlicht werden. Vor Gericht berief sich das Karrierenetzwerk auf seine "Community-Richtlinien", in denen unter anderem die Verbreitung von "falschen und irreführenden Inhalten" verboten wird. Konkret heißt es dort zudem: "Teilen Sie keine Inhalte, die den Leitlinien führender globaler Gesundheitsorganisationen und Gesundheitsbehörden direkt widersprechen." Gemeint ist hier insbesondere die Weltgesundheitsorganisation WHO.
Kammergericht entschied zugunsten LinkedIns
Das Landgericht Berlin gab K. 2024 teilweise Recht und verurteilte LinkedIn zur Wiederherstellung von K.s Profil. In der Berufung beim Kammergericht (KG) obsiegte jedoch LinkedIn auf ganzer Linie. Das KG (Urt. v. 18.09.2025, Az.: 10 U 95/24) bestätigte die Sperrung des Profils und die Löschung der Inhalte. LinkedIn habe aufgrund seiner unternehmerischen Freiheit und der Meinungsfreiheit das Recht, Beiträge zu verbieten, die den Leitlinien der WHO widersprechen. Die Community-Richtlinien seien als AGB nicht zu beanstanden.
Während der Pandemie habe eine "akute Handlungsnotwendigkeit" bestanden, so das KG weiter. LinkedIn habe "eine Störung dieser Prozesse durch dazu in Widerspruch stehende Aussagen unterbinden" dürfen. Das Netzwerk durfte durch das Verbot von Aussagen, die den WHO-Leitlinien widersprechen, auch einen "Standard" definieren, welche Informationen "als gefährlich oder gesundheitsgefährdend einzustufen" sind, "ohne im Einzelfall überprüfen zu müssen, ob eine konkrete Aussage richtig, teilweise richtig oder falsch ist", so die Berliner Richter:innen.
Hat das Kammergericht die Meinungsfreiheit verletzt?
Die Verfassungsbeschwerde von K. wird vom konservativen Rechtsprofessor Dietrich Murswiek aus Freiburg vertreten. Murswiek wurde mit EU-kritischen Verfassungsklagen bekannt und beriet die AfD in der Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz.
Die Verfassungsklage richtet sich gegen das Urteil des KG. Dieses habe bei der Entscheidung das Grundrecht K.s auf Meinungsfreiheit "im Kern" verletzt, weil es "Machtkritik" verhindere. Das KG habe bei der Abwägung zwischen den Grundrechten von LinkedIn und den Grundrechten von K. dessen Meinungsfreiheit völlig falsch angewandt. Das KG habe die Bedeutung der Meinungsfreiheit "in geradezu grotesker Weise" verkannt, schreibt Murswiek.
Die Notwendigkeit einer verhältnismäßigen Abwägung der Grundrechte ergibt sich laut Murswiek bereits aus der inzwischen anwendbaren EU-Verordnung "Digital Services Act" (DSA), insbesondere aus dessen Art. 14 Abs. 4, sowie aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 06.11.2019, Az.: 1 BvR 16/13). Auch die vor Inkrafttreten des DSA geltende BGH-Rechtsprechung (Urt. v. 29.07.2021, Az.: III ZR 179/20) habe eine Abwägung mit den Grundrechten der Nutzer:innen vorgesehen.
Ist die WHO-Klausel von LinkedIn unverhältnismäßig?
Murswiek argumentiert, die Akzeptanz der WHO-Klausel in den LinkedIn-AGB durch das KG sei weder geeignet noch erforderlich noch angemessen zum Schutz der Grundrechte seines Mandanten.
Die WHO-Klausel sei ungeeignet, so Murswiek, weil die WHO keine Gewähr für wissenschaftlich korrekte Aussagen biete. Die Aussagen der WHO seien vielmehr politisch beeinflusst, außerdem sei die WHO von privaten Spenden abhängig und weise eine zu große Nähe zur Pharma-Industrie auf. Hier übernimmt Murswiek Narrative der Impfkritiker:innen, die in anderen Kontexten aber auch schon von linken Organisationen wie Medico International geäußert wurden.
Ungeeignet sei die WHO-Klausel auch, weil es bei "komplexen Kausalzusammenhängen gar keine Wahrheit gibt, deren Existenz mit absoluter Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit behauptet werden kann". Murswiek macht dies an einem Beispiel fest: Eine Falschbehauptung liege vor, wenn das Vorhandensein einer Studie mit einem bestimmten Inhalt vorgetäuscht werde. Wenn es dagegen Kritik am Aufbau und der Interpretation einer Studie gebe, könne dies nicht als "Falschbehauptung" eingestuft werden, sondern sei ein Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs. Es dürfe kein "Wahrheitsministerium" geben, das in komplexen Fragen die allein zulässige Einschätzung vorgeben kann, schrieb Murswiek unter Anspielung auf George Orwells Buch "1984".
Die WHO-Klausel sei auch nicht erforderlich, so Murswiek weiter. Statt Beiträge zu verbieten, die WHO-Leitlinien widersprechen, genüge auch ein nicht entfernbarer Hinweis des Netzwerks, dass ein Beitrag von der Auffassung der WHO abweicht.
Kann sich auch LinkedIn auf die Meinungsfreiheit berufen?
Murswiek kritisiert, dass das KG in seiner Angemessenheitsabwägung auch auf Seiten von LinkedIn das Recht auf freie Meinungsäußerung prüfte. Dies sei unpassend, schließlich gehe es nicht um die Frage, ob LinkedIn auf seiner eigenen Plattform die Meinung des Unternehmens posten kann, sondern ob das Unternehmen verbieten kann, dass bestimmte Meinungen auf der Plattform geäußert werden.
Einschlägig sei allein die Berufsfreiheit von LinkedIn, so Murswiek. Hierzu gehöre das Recht von LinkedIn, auf der Plattform ein "attraktives Umfeld" zu schaffen, das viele Nutzer anzieht und es so ermöglicht, Werbeplätze zu vermarkten und die Nutzerdaten zu verkaufen. Zulässig sei deshalb grundsätzlich auch der Wunsch von LinkedIn, auf der Plattform "Desinformation" zu bannen. Dabei sei es aber "unvertretbar", so Murswiek, alle von der WHO abweichenden Positionen als "gefährlich" einzustufen. LinkedIn zeige hier ein "autoritäres Staatsverständnis".
Es sei insbesondere nicht zu rechtfertigen, so Murswiek, dass LinkedIn keine Möglichkeit vorsehe, zu widerlegen, dass die WHO-Leitlinien von falschen Tatsachen ausgehen. Es dürfe "keinen Schutz für falsche und unwahre Aussagen" geben.
Die WHO-Leitlinien als unwiderlegbar richtig anzunehmen, erspare LinkedIn zwar viel Moderationsarbeit. Doch diese Arbeitserleichterung rechtfertige keine Einschränkung der Grundrechte, so die Klage. Angesichts der Milliardengewinne von Microsoft sei die Vergrößerung der Moderationsteams problemlos möglich.
Keine Alternative zu LinkedIn?
Dagegen könne von Unternehmer K. nicht verlangt werden, einfach ein anderes soziales Netzwerk zu nutzen, argumentiert Murswiek. Zum einen seien impfkritische Beiträge auf Druck der US-Regierung von Joe Biden auch in anderen Netzwerken wie Facebook und Youtube gelöscht worden. Außerdem sei es K. nicht zuzumuten, auf seine 16.500 Kontakte bei LinkedIn einfach zu verzichten. Es würde Jahre dauern, ein vergleichbares Netzwerk erneut aufzubauen.
Murswiek betont, dass er alle Argumente auch mit Blick auf die besonderen Umstände der Corona-Pandemie für gültig hält. Doch selbst wenn das Bundesverfassungsgericht die WHO-Klausel für die Pandemie-Zeit akzeptieren würde, wäre die KG-Rechtsprechung doch verfassungswidrig, so Murswiek. Denn das KG habe ja erst 2024 – also lange nach der Pandemie – über den von K. geltend gemachten Anspruch auf Wiederherstellung der drei Beiträge entschieden.
Murswiek geht davon aus, dass die angestrebte Entscheidung des BVerfG grundsätzliche Bedeutung für den Schutz der Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken hat. Schließlich seien diese Plattformen die neue "Meinungsfreiheits-Infrastruktur". Zwar seien die Plattformbetreiber selbst nicht direkt an die Grundrechte gebunden, doch müssten staatliche Gerichte sicherstellen, dass die Grundrechte in den zivilrechtlichen Community-Richtlinien ihre horizontale Wirkung entfalten können.
Meinungsfreiheit auf LinkedIn: . In: Legal Tribune Online, 22.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58443 (abgerufen am: 14.11.2025 )
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