Das Therapieunterbringungsgesetz ist verfassungskonform, entschied das BVerfG am Donnerstag. Es betrifft meist Männer, welche die deutsche Justiz nach der Rechtsprechung des EGMR nicht mehr in der Sicherungsverwahrung behalten darf, die sie aber auch nicht so recht freilassen mag. Jörg Kinzig im Interview über ein Gesetz, das vielleicht nur noch für einen Mann gilt und doch kein Einzelfallgesetz ist.
LTO: Das Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) kann, muss aber auch verfassungskonform ausgelegt werden, entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit 5:3 Stimmen (Beschl. v. 11.07.2013, Az. BvR 2302/11 u.a.). Eine Unterbringung soll nach Ansicht der Karlsruher Richter nur angeordnet werden, wenn eine "hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist". Der Wortlaut des Gesetzes enthält diese Formulierung nicht. Überzeugt Sie diese Auslegung?
Kinzig: Das war eine für mich überraschende Volte und die Mehrheiten im Senat zeigen, dass der Punkt höchst umstritten war. Ich hatte vermutet, dass das BVerfG den Wortlaut des Gesetzes für nicht vereinbar mit dem Vertrauensschutzgebot hält und verlangt, dass der Gesetzgeber diese engen Voraussetzungen ausdrücklich formuliert.
"Viele nach ThUG Untergebrachte müssen nun freigelassen werden"
LTO: Halten Sie die Auslegung denn für richtig?
Kinzig: Sie führt meiner ersten Einschätzung nach dazu, dass das Gesetz allenfalls noch auf den Beschwerdeführer Anwendung findet. In allen anderen Fällen wird dieser hohe Maßstab nicht erfüllt sein. Vorwiegend in Bayern sind Personen untergebracht, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden mussten, weil keine hochgradige Gefahr schwerster Verbrechen von ihnen ausging. Stattdessen hat man sie aufgrund des vermeintlich niedrigeren Maßstabs des ThUG in dieser neuartigen Einrichtung untergebracht. Diese Männer müssen nun freigelassen werden.
LTO: Dann ist das ThUG doch ein Einzelfallgesetz, wie es der Beschwerdeführer beanstandet hatte?
Kinzig: Die Ausführungen des BVerfG zum Einzelfallgesetz überzeugen mich eher als andere Passagen. Das Gesetz ist abstrakt gefasst. Dass es nur wenige oder vielleicht sogar nur noch eine Person betrifft, ändert daran nichts. Bei Erlass des Gesetzes war dem Gesetzgeber nämlich nicht bekannt, wer das sein würde.
"Sogar Psychiater lehnen den Begriff der 'psychischen Störung' ab"
LTO: Welche Passagen des Beschlusses überzeugen Sie nicht?
Kinzig: Problematisch ist auf jeden Fall die Bestimmtheit des Begriffs der "psychischen Störung". Es sollte einem schon zu denken geben, wenn sich selbst die Berufsverbände der Psychiater gegen diesen Begriff wenden. In ihrer Stellungnahme stellt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde fest, dass eine "psychische Störung" gerade nicht auf eine erhebliche Gefährlichkeit schließen lasse.
Mich überzeugen auch die Ausführungen zur Vorhersehbarkeit der Unterbringung nicht. Die Richter sind der Ansicht, dass die Möglichkeit der Unterbringung in einer Psychiatrie nicht bereits im Strafurteil vorhersehbar sein musste. Es genüge, wenn dies zum Zeitpunkt der Anordnung der Unterbringung der Fall war.
Man muss sich das mal überlegen: Das sind Personen, die alle ihre Strafe abgesessen haben und aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden sind, weil diese gegen höherrangiges Recht verstoßen hat. Und am Ende finden sie sich doch wieder in einer anderen, aber doch sehr ähnlichen Unterbringung wieder.
"Argumentation zur Gesetzgebungskompetenz ist abenteuerlich"
LTO: Die Mitglieder des Senats waren sich nicht nur über die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung uneinig. Der Bundesverfassungsrichter Peter Huber gab eine abweichende Meinung ab zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Statt sie auf den Kompetenztitel "Strafrecht" zu stützen, will er die Zuständigkeit des Bundes lediglich aus dem Sachzusammenhang mit dem Strafrecht herleiten. Manche Strafrechtler zweifeln ganz an der Kompetenz des Bundes. Wie sehen Sie das?
Kinzig: Aus der Sache kommt man eigentlich nicht raus. Einerseits muss man sagen, dass die Therapieunterbringung Strafrecht ist, um die Zuständigkeit des Bundes zu retten. Andererseits muss man begründen, dass das Gesetz eigentlich doch kein Strafrecht ist, damit es vor dem EGMR Bestand haben kann. Dafür setzt der Gesetzgeber dann stark auf den Begriff der "psychischen Störung" und versucht, das Ganze mit allen möglichen Verfahrensgarantien so weit wie möglich nicht-strafrechtlich auszugestalten. Das ist natürlich ein sehr fragwürdiger Weg.
Im Ergebnis ändert es auch nichts, wenn Richter Huber auf eine Kompetenz kraft Sachzusammenhang abstellt. Das mutet alles eher abenteuerlich an.
"Therapieunterbringung hätte man nicht schaffen sollen"
LTO: Beim Stichwort Unterbringung fällt einem momentan natürlich sofort Mollath ein, der im Maßregelvollzug nach § 63 Strafgesetzbuch untergebracht war. Was ist der Unterschied zur Therapieunterbringung?
Kinzig: Der Maßregelvollzug wird bei vermindert schuldfähigen oder schuldunfähigen Tätern angeordnet; die Therapieunterbringung ist – wie die Sicherungsverwahrung – für schuldfähige Straftäter. Ursprünglich war die Sicherungsverwahrung sehr strafähnlich ausgestaltet. Das ist vom EGMR und später auch vom BVerfG beanstandet worden. Seit dem 1. Juni 2013 gilt eine neue Form der Sicherungsverwahrung, die therapiegerichtet und freiheitsorientiert sein soll.
Es ist noch zu früh, um zu bewerten, ob das nun tatsächlich etwas anderes ist als ein Freiheitsstrafvollzug. Außerdem kennt schon das Strafvollzugsrecht den Angleichungsgrundsatz, nach dem der Strafvollzug dem Leben in Freiheit angeglichen werden soll. Wo da noch Platz für einen andersartigen Vollzug der Sicherungsverwahrung sein kann, ist bisher nicht wirklich geklärt.
LTO: Was wäre Ihre Lösung?
Kinzig: Das ThUG hätte man gar nicht schaffen sollen. Sämtliche Vorschriften im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung sind inzwischen derart komplex, dass sie nur noch für Eingeweihte in glücklichen Stunden verständlich sind. Das ist so kompliziert geworden, dass man sich dringend und mit etwas längerem Atem unter Einbeziehung von Fachleuten ganz grundsätzliche Gedanken darüber machen sollte, ob man die Sicherungsverwahrung überhaupt noch braucht und wie das gesamte Maßregelrecht auszugestalten ist.
Prof. Dr. Jörg Kinzig ist Direktor des Instituts für Kriminologie und Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Straf- und Sanktionenrecht an der Universität Tübingen.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Therapieunterbringung: . In: Legal Tribune Online, 09.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9322 (abgerufen am: 12.10.2024 )
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