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Interview zur Verfassungsbeschwerde gegen § 217 StGB: "Erfolg­reich recht­li­ches Neu­land bet­reten"

Interview von Pia Lorenz

26.02.2020

Das BVerfG in Karlsruhe

© Oskar - stock.adobe.com

Das BVerfG hat das Verbot der Förderung von Sterbehilfe gekippt. Und das auf die Grundrechtsverletzung von Sterbewilligen gestützt, obwohl die das Verbot gar nicht adressierte. Ein Gespräch mit den Klägervertretern C. Knauer und H. Kudlich.

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LTO: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Sterbehilfe in § 217 StGB für verfassungswidrig erachtet und deshalb für nichtig erklärt. Sie haben zwei der sterbewilligen Patienten vertreten, die in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die Norm erhoben haben – und Ihr Ziel heute mal mindestens erreicht, vielleicht mehr als das. Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste an der Entscheidung aus Karlsruhe?

Prof. Dr. Hans Kudlich: Für die beiden Beschwerdeführer, unsere Mandanten, ist diese Entscheidung vom Ergebnis her sehr wichtig. Sie müssen nun keine Angst mehr haben, dass wenn es so weit ist, ihnen niemand helfen kann und helfen darf. Für sie endet damit eine sehr belastende Situation.

Rechtlich gesehen ist aus meiner Sicht die sehr starke Betonung des Selbstbestimmungsrechts wichtig. Das BVerfG hat zum ersten Mal ausdrücklich ausgesprochen, dass das eigene Leben und das Recht, es zu beenden, Teil des Selbstbestimmungsrechts ist, mit einem sehr engen Bezug zur Menschenwürde.

Im zweiten Schritt hat das BVerfG dann anerkannt, dass in diesem Recht durch eine Strafandrohung auch jemand verletzt werden kann, der gar nicht unmittelbar Adressat der Norm ist. Und zwar dann, wenn er durch die Strafnorm faktisch keine Möglichkeit mehr hat, sein Grundrecht auch zu realisieren, weil sie es Dritten verbietet, ihn bei der Umsetzung zu unterstützen.

"Erfolgreich rechtliches Neuland betreten"

LTO: Die Argumentation, dass die persönliche Freiheit über die Entscheidung, wie ein Mensch in Würde sterben möchte, dadurch eingeschränkt werden kann, dass sein Helfer bestraft wird, stammt aus Ihrer Verfassungsbeschwerde.

Prof. Dr. Christoph Knauer: Tatsächlich ist das rechtliches Neuland, das wir – nun erfolgreich – betreten haben. Die Norm, gegen die wir uns gewandt haben, sanktioniert ja eben nicht die sterbewilligen Patienten, sondern die Ärzte und die Organisationen, auf deren Hilfe die Sterbewilligen angewiesen sind, um ihren Willen auch in die Tat umsetzen zu können. So geht die Entscheidung, auch von der Rechtskonstruktion her, über die Interessen unserer Mandanten weit hinaus.

Nun steht fest, dass nicht nur der Adressat der Strafdrohung durch ein Gesetz belastet sein kann, sondern eine Strafdrohung auch die Handlungsfreiheit eines Menschen beeinträchtigen kann, der in seiner sozialen Interaktion auf die Mitwirkung des bedrohten Adressaten angewiesen ist.

Natürlich freut es uns, dass am Ende diese Argumentation, der auch einige Kollegen vor dem Verfahren in Karlsruhe kritisch gegenüberstanden, das BVerfG am meisten überzeugt hat. Denn der Senat leitet ja auch die Verletzung der Grundrechte der Sterbehilforganisationen und natürlich der Ärzte am Ende primär aus der Grundrechtsposition der Sterbewilligen ab, die auf deren Unterstützung angewiesen sind.

"Keine Bewertung des Sterbewunschs danach, ob er vernünftig ist"

Kudlich: Neu und zudem sehr wichtig ist zudem die Klarstellung des BVerfG, dass man die Verwirklichung dieses Grundrechts auf Selbsttötung nicht von inhaltlichen Kriterien abhängig machen darf, also es beispielsweise nicht nur tödlich Erkrankten zuzubilligen ist.

Auch die Angst vor einer Pflegebedürftigkeit oder Abhängigkeit kann – und darf – nun ausreichen. Wenn jemand sich eben nicht in die Hände von Palliativmedizinern begeben, sondern dauerhaft, ernsthaft und aufgrund eigenen Entschlusses sterben will, darf es keine Bewertung seines Sterbewunschs geben danach, ob dieser "vernünftig" ist.

Knauer: Schließlich hat der Senat auch noch das Zusammenspiel der Grundrechtswahl betont. Die Entscheidung des Patienten und des Arztes, der sich bereit erklärt, dem Sterbewilligen zur Seite zu stehen, bezeichnet das BVerfG als funktionale Verschränkung. Auch das ist neu.

Für die Zukunft: "Eine Beratungslösung oder eine Änderung des ärztlichen Berufsrechts"

LTO: Das BVerfG hat aber auch klargestellt, dass der Gesetzgeber durchaus im Bereich der Sterbehilfe regulieren kann, wenn auch nur im Rahmen der sehr weit gehenden Autonomie der Sterbewilligen. Wie könnte ein Regulierungsrahmen aussehen?

Knauer: Es gibt zwei denkbare Modelle. Das erste ist eine Beratungslösung ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch. Dann müsste eine Beratung erfolgen, aber auch die Ernsthaftigkeit des Sterbewunsches überprüft werden, ebenso dessen Dauerhaftigkeit. Wie auch der Senatsvorsitzende es in seinen einleitenden Worten sagte: Wir müssen es nicht verstehen, wir müssen dem Sterbewunsch eines Menschen auch nicht zustimmen. Aber am Ende müssen wir ihn, wenn er freiwillig und ernsthaft entschlossen ist, respektieren.

Die zweite mögliche Variante wäre eine Änderung der Berufsordnung der Ärzte. Das BVerfG erklärt ja die Sterbehilfevereine, die es ausdrücklich gebilligt hat, deshalb für nötig, weil es derzeit so wenige Ärzte gibt, die bereit sind, zu helfen, und die Sterbehilfevereine also bei der Auswahl helfen. Würden die Berufsordnungen der – meisten - Länder den Ärzten die Sterbehilfe nicht verbieten, sondern ihnen die Freiheit lassen, zu helfen, wenn sie es möchten, ohne gegen ihr Berufsrecht zu verstoßen, dann bräuchte man möglicherweise die Vereine nicht mehr, um die Umsetzung des Grundrechts auf Suizid zu gewährleisten.

LTO: Was bedeutet die Entscheidung aus Ihrer Sicht für die Ärzte, von denen viele noch immer dem Selbstverständnis anhängen, Leben um jeden Preis erhalten, nicht aber zu seiner selbstbestimmten Beendigung beitragen zu wollen? Könnte das Urteil aus Karlsruhe, einmal abgesehen von möglichen Änderungen des Rechtsrahmens, vielleicht auch eine Änderung im Denken mit sich bringen?

Kudlich:Es wäre ja schon schön, wenn das Missverständnis bei den Ärzten endlich verschwände, dass sie ohne § 217 StGB gezwungen werden sollten oder auch nur könnten, Sterbehilfe zu leisten. Darum ging es ja nie. Und natürlich könnte eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts die Wahrnehmung modifizieren, dass Aufgabe eines Arztes nur ist, Leben um jeden Preis zu erhalten.

"In seiner Ausgewogenheit geradezu glanzvoll"

LTO: Muss der Gesetzgeber denn aus Ihrer Sicht nun zwingend tätig werden?

Kudlich: Nicht zwingend, nein. Die Norm des § 217 StGB wurde für nichtig erklärt, nun besteht also das Verbot nicht mehr, die Gesetzeslage ist schlicht, wie sie vor 2015 war.

Man darf aber sicherlich davon ausgehen, dass diejenigen, die § 217 StGB im Jahr 2015 einführen wollten, nun nach der Entscheidung aus Karlsruhe die Sterbehilfe nun zumindest regulieren wollen werden. Und das BVerfG hat ja deutlich gemacht, dass das auch möglich und legitim ist.

Knauer: Das BVerfG hat in seiner sehr ausgewogenen Entscheidung sogar ausdrücklich erklärt, dass der Gesetzgeber mit § 217 StGB einen legitimen Regelungszweck verfolgt hat, nämlich eine gesellschaftliche Normalisierung von Sterbehilfe insbesondere durch deren Kommerzialisierung zu vermeiden und labile Menschen vor interessengeleiteter Einflussnahme zu schützen. Aber diesen legitimen Zweck hat er mit der absoluten Strafandrohung des § 217 StGB eben nicht angemessen verfolgt. Jetzt kann der Gesetzgeber regulieren, muss aber nicht. Wie ich es schon in der mündlichen Verhandlung sagte: Ich finde, was das BVerfG hier gemacht hat, geradezu glanzvoll.

LTO: Aber immerhin hat das BVerfG nun den Sterbehilfeorganisationen explizit ihre Daseinsberechtigung bescheinigt – zumindest, solange Sterbewillige nicht auf anderen Wegen, also vor allem über mehr verfügbare Ärzte, ihren Wunsch umsetzen können.

Knauer: Ich halte es gut für denkbar, dass man die Kriterien genauer regelt, welche die Sterbehilfeorganisationen anlegen, um zu entscheiden, ob ein Sterbewunsch ernstlich ist. Das BVerfG hat in seinen Entscheidungsgründen am Rande erwähnt, dass es diese Kriterien nicht ganz nachvollziehen kann. Es ist also naheliegend, die Organisationen in eine prozedurale Regelung mit Beratung und Begutachtungen durch mehrere unabhängige Ärzte über einen gewissen Zeitraum auch einzubinden. Das würde sie wohl auch aus der rechtlichen Grauzone holen, in der sie bis 2015 agierten – und, bei Nichtbefolgung der Kriterien, wiederum eine Strafandrohung erlauben.

"Das Potenzial, Deutschland zu verändern"

LTO: Wird die Entscheidung Deutschland verändern?

Knauer: Nach meinem Eindruck hat schon die mündliche Verhandlung im vergangenen Jahr die gesellschaftspolitische Aufregung etwas minimiert, der Diskussion dadurch, dass das BVerfG derart ausgewogen argumentiert hat, die Schärfe genommen. Und ich gehe schon davon aus, dass die Ausgewogenheit des Urteils auch dazu führen wird, dass Entscheidungen im Kontext von Sterbehilfe künftig weniger metaphysisch beeinflusst und mehr an der Freiheit und Autonomie orientiert getroffen werden – unabhängig davon, was der Gesetzgeber nun tun oder nicht tun wird.

Kudlich: Meines Erachtens wird das Urteil Deutschland weniger in den Fakten verändern, denn schließlich gab es vor Inkrafttreten von § 217 StGB schon 150 Jahre lang denselben Rechtszustand, wie er jetzt wieder herrscht. Aber nicht zuletzt die starke Betonung der Grundrechtsrelevanz der Autonomie hat durchaus das Potenzial, Argumentationen zu verändern - und damit am Ende auch gesellschaftliche Realität.

LTO: Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Hans Kudlich ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.

Prof. Dr. Christoph Knauer ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Wirtschaftsstrafrecht und strafrechtliche Revision an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Interview zur Verfassungsbeschwerde gegen § 217 StGB: . In: Legal Tribune Online, 26.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40499 (abgerufen am: 08.11.2025 )

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