Der Euro darf gerettet werden. Das BVerfG bleibt seiner Linie treu: Es blockiert die Bemühungen um die Stabilisierung des Euro durch Rettungsschirm und Fiskalpakt nicht. Gleichzeitig stärkt es den Bundestag. Nur mit seiner Zustimmung darf Deutschlands Haftung erhöht werden. Joachim Wieland analysiert die Entscheidung.
So viel Aufmerksamkeit in der ganzen Welt wird Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) fast nie zuteil. Das Gericht hatte es in der Hand, die Rettung des Euro durch den Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt zu blockieren. In der deutschen Bevölkerung wäre ein Veto wohl auf Zustimmung gestoßen, in der übrigen Welt auf Entsetzen. Die Reaktion der Kapitalmärkte wäre kaum vorhersehbar gewesen.
Deutschland wäre in Europa so isoliert gewesen wie es Bundesbankpräsident Weidemann in der EZB bereits ist. Das höchste deutsche Gericht stand vor einer schwierigen Situation: Die Meinungen über den richtigen Weg in der Finanzkrise gehen weit auseinander. Das Parlament hat Rettungsschirm und Fiskalpakt mit verfassungsändernder Zweidrittelmehrheit zugestimmt.
Gleichzeitig sehen große Teile der Bevölkerung, unterstützt von vielen Ökonomen, die Stabilität der Währung in Gefahr – angesichts der geschichtlichen Erfahrungen ein Trauma für die Deutschen. Hier eine befriedigende und befriedende Lösung zu finden, glich der Quadratur des Kreises.
Vorrang des Parlaments
Das Gericht hat mit seiner Entscheidung die Chance für eine allen Interessen möglichst gerecht werdende Entscheidung genutzt und das Risiko vermieden, selbst die Rolle des Ersatzgesetzgebers zu übernehmen. Der 2. Senat unter Leitung von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat ausnahmsweise im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht nur eine Folgenabwägung vorgenommen, sondern die verfassungsrechtlichen Bedenken geprüft und ausgeräumt.
Dabei hat es die vielfältigen tatsächlichen Ungewissheiten nicht übersehen. Die Richter haben aber mit Recht darauf verwiesen, dass im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes die unmittelbar vom Volk legitimierten Abgeordneten die Verantwortung dafür tragen, den nach ihrer Überzeugung richtigen Weg aus der Krise zu finden.
Das Bundesverfassungsgericht kann, darauf wies auch Voßkuhle hin, seine Überzeugungen von den bestmöglichen Schritten zur Krisenbewältigung nicht an die Stelle der Entscheidung des Parlaments setzen. Dessen Beschluss mit Zweidrittelmehrheit beschränkt die verfassungsgerichtliche Prüfung auf die Frage, ob grundlegende Verfassungsprinzipien verletzt werden, die auch der verfassungsändernde Gesetzgeber respektieren muss. Diese Frage hat das Gericht verneint. Es erlaubt damit einmal mehr durchaus europäische Einwirkungen auf die deutsche Haushaltspolitik, solange die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Parlaments gewahrt bleibt (Urt. v. 12.09.2012, Az. 2 BvR 1390(12, 2 BvR 1421/12, 2 BvR 1438/12, 2 BvR 1439/12, 2 BvR 1440/12, 2 BvE 6/12).
Die Ratifikationsvorbehalte: Völkerrechtlich verbindlich klarstellen
Den Bedenken der zahlreichen Kläger, vieler Fachleute und Bürger trägt die Entscheidung zugleich durch zwei wichtige Vorbehalte für die Ratifikation Rechnung. Deutschland muss gewährleisten, dass seine Haftung ohne seine Zustimmung nicht über 190 Milliarden Euro erhöht werden darf und dass der Gesetzgeber alle wesentlichen Informationen erhält.
Diese Vorbehalte sind streng formuliert. Deutschland muss gegenüber seinen Vertragspartnern völkerrechtlich verbindlich sicherstellen, dass es nur an die Verträge gebunden ist, wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind.
Das stellt die Bundesregierung vor eine nicht zu unterschätzende Herausforderung im Verhältnis zu ihren Vertragspartnern. Unter Verweis auf die Karlsruher Entscheidung wird sie diese aber bewältigen können. Den Vertragspartnern wird keine andere Wahl als die Zustimmung bleiben, wenn sie ESM und Rettungsschirm nicht gefährden wollen.
Der Hinweis des Gerichts auf die Möglichkeit, völkerrechtliche Verträge zu kündigen, wenn sich wesentliche Umstände ändern, wird ebenfalls nicht überall Begeisterung auslösen, aber auch akzeptiert werden.
Goldener Mittelweg
Dem BVerfG gelingt es mit dieser offensichtlich einstimmigen Entscheidung, seinen Anspruch auf Kontrolle des Integrationsprozesses und der Maßnahmen zur Rettung des Euro aufrechtzuerhalten, ohne in den Geruch der Europafeindlichkeit zu kommen.
Das Urteil wird in Deutschland zur Beruhigung der Gemüter beitragen und ist für den Rest Europas akzeptabel. Die Bundesregierung und der Bundestag dürfen sich bestätigt fühlen, die Kläger sehen ihre Bedenken ernst genommen. Die demokratisch gebotene Gesamtverantwortung des Parlaments für den Haushalt wird noch einmal hervorgehoben.
Vielleicht ist dem Gericht nicht die Quadratur des Zirkels gelungen, aber einen goldenen Mittelweg zur Durchsetzung der vernünftig interpretierten Verfassung ohne eine Blockade demokratisch legitimierter Parlamentsentscheidungen hat es gefunden. Damit ist der Euro noch nicht gerettet. Seiner Rettung sind aber jedenfalls keine verfassungsrechtlichen Hindernisse in den Weg gelegt worden.
Der Autor Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Joachim Wieland, BVerfG lehnt einstweilige Anordnung ab: . In: Legal Tribune Online, 12.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7061 (abgerufen am: 07.10.2024 )
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