Klimaschutz als Grundrecht – das fordern Aktivist:innen von Fridays for Future schon lange. Wie Jugendliche aus Pellworm und eine Anwältin aus Bangladesch die bahnbrechende BVerfG-Entscheidung möglich machten.
Deutschland tut zu wenig für den Klimaschutz, das haben die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) am Donnerstag klargestellt. Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) greife zu kurz, heißt es aus Karlsruhe. Bis Ende kommenden Jahres muss der Gesetzgeber die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher regeln.
Für die Klimaschutz-Bewegung ist das ein großer Erfolg. Ziel des KSG ist der Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels. Grundlage dafür bildet unter anderem das Pariser Klimaabkommen, wonach der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist. Das langfristige Ziel der Bundesrepublik Deutschland ist die Treibhausgasneutralität bis 2050.
Das reiche aber nicht aus, so Prof. Dr. Remo Klinger, der als Rechtsanwalt einige der Klägerinnen und Kläger vertritt. Zahlreiche Beschwerdeführende aus Deutschland, Nepal und Bangladesch, darunter auch viele Kinder und Jugendliche und Umweltorganisationen wie die Deutsche Umwelthilfe, Germanwatch und Greenpeace hatten sich an das BVerfG gewendet.
Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerden der Verbände allerding ab, weil sie nicht klagebefugt seien.
Neben Klinger gehörten zu den Prozessbevollmächtigten auch die Rechtsanwälte Dr. Reiner Geulen, Dr. Caroline Douhaire aus Berlin, die Leipziger Kanzlei Baumann Rechtsanwälte zusammen mit dem Leipziger Professor Dr. Felix Ekardt, und Dr. Roda Verheyen und Dr. Ulrich Wollenteit von Rechtsanwälte Günther in Hamburg.
"Man muss nur rechnen, um zu merken, dass da etwas nicht stimmt"
Eigentlich sei die Sache ganz einfach, so Klinger: "Wenn man die jetzigen Ziele, die wir im KSG haben, addiert, wäre die Summe der Treibhausgasemissionen, die noch zur Verfügung sind, im Jahre 2030 schon aufgebraucht. Da hat man sich für die Treibhausgasneutralität ab 2050, und damit 20 Jahre zu spät, gefeiert. Man muss nur rechnen, um zu merken, dass da etwas nicht stimmt."
Und deshalb entschied Klinger sich dazu, zu handeln. Er initiierte zwei der Verfassungsbeschwerden zusammen mit seiner Kollegin Yi Yi Prue aus Bangladesch, die auch Klägerin in dem Verfahren ist. Es handele sich um ein greifbares Problem, das in der Politik noch nicht ausreichend adressiert worden sei. Klinger reichte zwei Verfassungsbeschwerden ein, eine für die von der Klimakrise schon jetzt stark betroffenen Jugendlichen und Erwachsenen aus Südasien, eine andere für die in ihrem Recht auf Zukunft betroffenen deutschen Personen.
Yi Yi Prue äußerte gegenüber der Deutschen Umwelthilfe, in Bangladesch litten die Menschen schon jetzt unter den Auswirkungen des Klimawandels. "Stärkere Monsunfälle mit Erdrutschen und Überschwemmungen töten Menschen, viele haben Hab und Gut oder ihr Zuhause verloren", sagt sie. Deshalb müssten sie die Nationen, die stark mitverantwortlich sind für den Klimawandel, zum Handeln bewegen. "Für uns geht es natürlich um unsere Menschenrechte, um unser Recht auf ein sicheres Leben und unser Überleben."
"Gerechter Klimaschutz ist Grundrecht"
Aber auch in Deutschland macht sich der Klimawandel schon jetzt bemerkbar. Die 22-jährige Sophie Backsen, eine der jungen Beschwerdeführer:innen, lebt auf der Nordseeinsel Pellworm. Sie bezeichnete die Entscheidung als "Riesenerfolg" für die jungen Menschen, die schon jetzt von der Klimakrise betroffen seien.
"Es ist klar geworden, dass wesentliche Teile des Klimaschutzgesetzes nicht mit unseren Grundrechten vereinbar sind. Wirksamer Klimaschutz muss jetzt beginnen und umgesetzt werden - nicht erst in zehn Jahren. Nur so kann meine Zukunft auf meiner Heimatinsel gesichert werden. Die Entscheidung gibt mir Rückenwind, weiterzukämpfen”, sagt Backsen.
Auch Luisa Neubauer, die mit Fridays for Future bundesweit bekannt wurde, ist eine der Beschwerdeführer:innen. "Klimaschutz ist nicht nice-to-have - gerechter Klimaschutz ist Grundrecht, das ist jetzt offiziell"
Weitere Klage vor dem EGMR angekündigt
Die Umweltklage ist die erste, die vor dem BVerfG Erfolg hat. Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt von der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik, der ebenfalls einige der Beschwerdeführenden vertreten hat, sagt, die Politik müsse massiv nachbessern und deutlich ambitioniertere Ziele und Instrumente festsetzen.
"Unsere Klage hat aufgezeigt, dass grundrechtlich Nullemissionen dramatisch früher nötig sind als bisher anvisiert und das Paris-Ziel grundrechtlich verbindlich ist", sagt Ekardt. Der Gesetzgeber hat jetzt bis Ende des Jahres 2022 Zeit, um auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu reagieren.
Überraschend war die weitreichende Entscheidung auch vor dem Hintergrund, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch im März dieses Jahres eine ähnliche Klimaklage abgeschmettert hatte. Im People's Climate Case hielt er die Beschwerdeführer für nicht beschwerdebefugt.
Ekardt kündigte indes an, zusätzlich auch eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Erwägung zu ziehen. Der Klimaschutz wird die Gerichte also noch weiter beschäftigen.
Wer hinter der Klimaschutz-Entscheidung steckt: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44860 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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