CETA und TTIP sind wegen ihrer demokratischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen hochkontrovers. Dennoch hat das BVerfG die vorläufige Anwendung von CETA gestattet. Und begibt sich damit auf dünnes Eis, kommentiert Felix Ekardt.
Am Donnerstag hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mehrere Anträge von Bürgern sowie der Linkspartei-Fraktion im Bundestag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (Urt. v. 13.10. 2016, Az. 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1823/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvE 3/16). Diese richteten sich gegen eine Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union zum Abschluss und zur vorläufigen Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement/ CETA). Voraussichtlich am 18. Oktober wird der Rat der Europäischen Union darüber entscheiden.
Bekanntlich ist CETA in Europa ein hochkontroverses Thema. Ein zentraler Grund ist, dass eine Absenkung von Umweltstandards befürchtet wird. Bislang ist der Umgang mit Umwelt und Ressourcen in der EU wie auch in den USA und in Kanada weit von einem dauerhaft verträglichen, also nachhaltigen, Niveau entfernt. Nicht ansatzweise ist etwa ein vollständiger Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen in den nächsten 15 bis 20 Jahren in Sicht, wie ihn die Temperaturgrenze von 1,5-1,8 Grad aus Art. 2 des Pariser Klimaabkommens vorgibt.
CETA und auch das geplante TTIP-Abkommen mit den USA machen einen besseren Umweltschutz auf beiden Seiten des Atlantiks in der Tat eher unwahrscheinlicher. Sie drohen vielmehr den Wettlauf um die billigsten und ökologisch schwächsten Umweltstandards zu verstärken, um sich im Freihandel gegenüber der anderen Seite zu behaupten. Die bislang je nach Themenbereich stärker ökologisch engagierte Seite – überwiegend, aber nicht immer die EU – droht damit ins Hintertreffen zu geraten.
Die Furcht: Druck der Unternehmen auf Sozial- und Umweltgesetzgeber
Daneben steht im Raum, dass transnationale Unternehmen im Wege regulatorischer Kooperation vor dem Erlass von Normen wie auch durch Schadensersatzklagen vor Schiedsgerichten aufgrund relativ offen formulierter Haftungstatbestände wie enttäuschter Gewinnerwartungen erheblichen Druck auf den Sozial- und Umweltgesetzgeber ausüben können.
Im deutschen und europäischen Recht sind solche Entschädigungen sonst die absolute Ausnahme. Die regulatorische Kooperation und der faktische Druck auf die Parlamente wecken zudem deutliche Bedenken mit Blick auf das Demokratieprinzip.
Die geplante gemeinsame interpretative Erklärung zu CETA von Kanada und EU enthält in der bislang vorliegenden Fassung lediglich Floskeln, die am Gesagten wenig ändern werden und deren juristische Geltung zudem zweifelhaft ist. Den konkreten Vertragstext von CETA können sie jedenfalls nicht beiseiteschieben. Dennoch macht Karlsruhe nun den Weg für CETA durch Ablehnung einer einstweiligen Anordnung erst einmal frei, allerdings ohne damit eine Aussage zu den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu verbinden.
2/2: Reine Rechtsfolgenabwägung: Was wäre wenn?
Das Gericht beschränkt sich in seiner Eilentscheidung, die es binnen 24 Stunden nach der mündlichen Verhandlung am Mittwoch traf, auf die reine Folgenabwägung, was passieren würde, wenn es eine einstweilige Anordnung erlassen oder nicht erlassen würde.
Wird für CETA vorläufig der Weg freigemacht, so drohen nach BVerfG-Auffassung für die demokratischen Rechte der Beschwerdeführer keine schweren Nachteile. Schließlich könnte das Abkommen später eben wieder kassiert werden, da es aktuell nur um eine vorläufige Anwendung von CETA gehe.
Umgekehrt wäre ein Stopp zum jetzigen Zeitpunkt nach Ansicht des 2. Senats unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle verheerend. Begründet wird dies im Wesentlichen mit angenommenen gewaltigen politischen Auswirkungen eines Scheiterns des Abkommens.
Was die Bundesregierung tun muss – wenn sie kann
Die Bundesregierung muss gemäß der BVerfG-Entscheidung allerdings mehrere Schutzvorkehrungen treffen. Sie muss sicherstellen, dass ein Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung nur die Bereiche von CETA umfassen wird, die unstreitig in der Zuständigkeit der Europäischen Union liegen. Außerdem muss bis zu einer Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache eine hinreichende demokratische Rückbindung der bei der regulatorischen Kooperation gefassten Beschlüsse gewährleistet sein.
Ferner ist sicherzustellen, dass Deutschland die vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens einseitig beenden kann. Ob letzteres völkerrechtlich wirklich möglich ist, ist jedoch offen, wie das BVerfG selbst andeutet. Insofern begibt sich die Entscheidung auf dünnes Eis. Gleichzeitig wird ansatzweise deutlich, dass das BVerfG CETA keineswegs unproblematisch durchwinken will und dem Ganzen offenbar mit einer gewissen Skepsis gegenübersteht.
Auf einem anderen Blatt steht, dass der eigentliche gerichtliche Ort, um über Demokratieprobleme von primär seitens der EU betriebenen Abkommen zu sprechen, der EuGH sein müsste – der nur eben für Kläger schwerer erreichbar ist – und nicht das BVerfG. Denn wenn hier ein demokratischer Gesetzgeber seine Zuständigkeiten aufs Spiel setzt, dann vor allem der europäische.
Der Autor Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A., Jurist, Philosoph und Soziologe, Universität Rostock und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin, ist politikberatend zu Nachhaltigkeitsfragen tätig. Er arbeitet vor allem in den Bereichen deutsches, europäisches und internationales Energie-, Klimaschutz-, Landnutzungs- und Verfassungsrecht sowie transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung.
Felix Ekardt, BVerfG zum transatlantischen Freihandel: CETA darf vorläufig starten . In: Legal Tribune Online, 13.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20861/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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