Sogenannte agents provocateurs sollen Verdächtige mit einem leichten Stoß in die falsche Richtung zur Tatbegehung bewegen. Wird daraus ein jahrelanges Bitten und Drängen, ist das Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Verurteilt werden kann der spätere Täter allerdings trotzdem, mit einigen Abstrichen. Wie diese auszusehen haben, hat das BVerfG am Mittwoch präzisiert.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Anforderungen an eine Verurteilung aufgrund einer Tatprovokation (sog. agent provocateur) präzisiert. Die Richter halten diese auch dann für verfassungsgemäß, wenn die Tatprovokation selbst rechtsstaatswidrig ist und gegen das Gebot eines fairen Verfahrens aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt. Nur in Extremfällen müsse der staatliche Strafanspruch möglicherweise zurückstehen (Beschl v. 18.12.2014, Az. 2 BvR 209/14, 240/14, 262/14).
Das BVerfG wies damit drei Verfassungsbeschwerden ab. Mit diesen hatten die Beschwerdeführer gegen ihre Verurteilungen durch das Landgericht (LG) Berlin und den Bundesgerichtshof (BGH) vorgehen wollen. In zwei der drei Verfahren, die alle denselben Lebenssachverhalt betreffen, hatten das LG und der BGH eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation festgestellt und die Täter dennoch verurteilt.
Der Haupttäter erhielt eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten. Die Behörden waren ursprünglich wegen des Verdachts auf den Handel mit Heroin auf ihn aufmerksam geworden und hatten Anfang 2010 eine "Vertrauensperson" damit beauftragt, ihn zu einem entsprechenden Geschäft zu überreden. Der Verdächtigte erklärte jedoch, er wolle mit dem "Dreckszeug Heroin" nichts zu tun haben. Allenfalls auf Geschäfte mit Cannabis oder Kokain werde er sich einlassen.
"Im Grunde können Sie jeden Menschen zu einer Straftat überreden"
Doch auch in dieser Hinsicht gingen die Ermittlungen nur schleppend voran. Über anderthalb Jahre hinweg wirkte die V-Person wieder und wieder auf den Täter ein, stellte ihn einer angeblich hilfsbereiten Kontaktperson im Bremerhaven vor, appellierte an seine Ehre und bedrängte ihn förmlich zur Tatbegehung, zu der dem späteren Angeklagten die Kontakte und über lange Strecken auch der Wille fehlten. Dabei mag auch eine Rolle gespielt haben, dass der V-Person für ihre Dienste eine Bezahlung in Form von Tageshonoraren sowie einer - von der Menge an sichergestellten Rauschmitteln abhängigen - Erfolgsprämie versprochen worden war.
Im August 2011 trugen ihre Anstrengungen schließlich Früchte: Die drei Verurteilten wurden festgenommen, nachdem sie versucht hatten, in Bremerhaven eine Lieferung von 100 kg Kokain in Empfang zu nehmen. Die Tat ging damit ihrem Umfang nach weit über den ursprünglich von den Behörden gefassten Anfangsverdacht hinaus, und wäre aller Voraussicht nach in dieser Form ohne den Einsatz der V-Person nie zu Stande gekommen.
Dieses Vorgehen bewerteten das LG, der BGH und das BVerfG - anders als die zuständige Staatsanwaltschaft - als mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbar. "Die Ermittlungsbehörden sollen Straftaten verfolgen, nicht sie verursachen" heißt es in dem Beschluss von Donnerstag, von einem Versagen der Staatsanwaltschaft bei der Kontrolle des Verfahrens ist dort die Rede. "Im Grunde können Sie fast jeden Menschen zu einer Straftat bewegen, wenn Sie ihm genug Hilfestellungen und Anreize bieten", sagt Professor Robert Esser vom strafrechtlichen Lehrstuhl der Universität Passau. "Deshalb finde ich es erfreulich, dass das BVerfG derartigen Ermittlungsmethoden eine so deutliche Absage erteilt hat."
Strafabschlag + restriktive Beweiswürdigung = wirksames Urteil
Aus Sicht der Beschwerdeführer weniger erfreulich sind allerdings die Konsequenzen, die das BVerfG aus seiner Bewertung zieht. Das Gericht betont, dass es sich bei den Beschwerdeführern immerhin nicht um vollends unbescholtene Bürger handele, sondern dass der Verdacht des Rauschgifthandels von Anfang an bestanden habe. Auch seien sie in ihrer Entscheidung, trotz der diversen Anregungen und Lockungen des V-Mannes, letztlich frei gewesen.
Da das Rechtsstaatsprinzip nicht nur den Angeklagten, sondern auch das Interesse an einer der materiellen Gerechtigkeit dienenden Strafverfolgung schütze, komme eine Verfahrenseinstellung nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht. Um einen solchen könnte es sich hier zwar handeln, so die Verfassungsrichter. Allerdings habe das LG der Tatprovokation bereits hinreichend Rechnung getragen.
So habe es beim Haupttäter einen Strafabschlag von mindestens fünf Jahren und sieben Monaten vorgenommen. Strafrechtler Esser reicht das nicht: "Der EGMR hat in der Entscheidung Furcht gegen Deutschland aber Ende vergangenen Jahres klargestellt, dass eine reine Rechtsfolgenlösung in Fällen der Tatprovokation nicht ausreicht. Schließlich sind knappe 50 Prozent von zehn Jahren Haft immer noch deutlich mehr als 0 Prozent von zehn Jahren Haft".
In jener Entscheidung (v. 23.10.2014, Az. 54648/09) verlangt der EGMR zusätzlich ein Beweisverwertungsverbot für die Aussagen der V-Person im Strafverfahren. Ein solches hatte das LG zwar nicht ausdrücklich angenommen, faktisch aber in seiner Beweiswürdigung die - ohnehin nur mittelbar in den Prozess eingeführten - Aussagen des V-Mannes nicht zum Nachteil der Täter berücksichtigt. Dies, zusammen mit dem Abschlag beim Strafmaß, lässt das BVerfG genügen.
Beweisführung ohne Aussage des V-Mannes oft nicht möglich
"Das BVerfG gibt deutlich zu erkennen, dass es beispielsweise in dem Fall, der dem EGMR vorgelegen hatte, auch ein ausdrückliches Beweisverwertungsverbot annehmen würde", sagt Esser. Im Detail sei hier trotzdem noch manches ungeklärt, so etwa die Frage, ob zwischen den unmittelbaren und den lediglich mittelbaren Erkenntnissen aus den Aussagen des V-Mannes unterschieden werden muss, und inwiefern dessen Angaben zu Gunsten der Täter (bei der Feststellung der Tatprovokation als solcher) berücksichtigt werden können.
"Die Entscheidung ist trotzdem richtungweisend", meint Esser. Eine erfolgreiche Beweisführung ohne Berücksichtigung der Aussagen des V-Mannes werde nur in Ausnahmefällen gelingen. Vor dem LG war sie möglich, weil die Angeklagten gestanden hatten - entsprechende Einlassungen dürften in Zukunft aber seltener werden, wenn im Übrigen nur die (unverwertbare) Aussage der V-Person die Anklage trägt.
"Als Verteidiger stecke man hier, ohne zu wissen, wie das BVerfG entscheiden würde, bei der Beratung des Mandanten ein wenig in der Zwickmühle", meint Esser. "Aussage verweigern und auf einen Freispruch hoffen oder gestehen und wenigstens die Strafmilderung mitnehmen. Auch deshalb würde ich mir wünschen, dass dieser Fall vor den EGMR geht, damit der Gerichtshof die genauen Umstände, unter denen ein Beweisverwertungsverbot bestehen soll, weiter präzisieren kann."
Constantin Baron van Lijnden und Ulf Nadarzinski, BVerfG zur Verurteilung nach provozierter Straftat: . In: Legal Tribune Online, 11.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14663 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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