BVerfG ordnet Zusatzplätze für ausländische Presse an: "Türkische Medien im NSU-Prozess sonst benachteiligt"

Interview mit Prof. Dr. Tobias Gostomzyk

15.04.2013

2/2: "Risiken einer Videoübertragung aus dem Saal kalkulierbar"

LTO: Zu der von Journalisten geforderten Übertragung der Verhandlung per Video in einen weiteren Presseraum hat das BVerfG sich nicht geäußert. Hatten Sie ein obiter dictum zu dieser Frage erwartet?

Gostomzyk: Nein, erwartet habe ich das nicht. Auch das BVerfG beschränkt sich regelmäßig darauf, nur das zu entscheiden, was entschieden werden muss. Es musste aber nicht zwingend beantwortet werden, ob § 169 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz  (GVG) einer solchen Erweiterung des Verhandlungssaals per Videoübertragung entgegensteht oder eine solche sogar einen Revisionsgrund liefert.

Dahinter steht letztlich die viel grundsätzlichere Frage, inwiefern Saalöffentlichkeit auch Medienöffentlichkeit bedeuten soll. Dazu formulierten die Karlsruher Richter in ihrer n-tv-Entscheidung: "Prozesse finden in der, aber nicht für die Öffentlichkeit statt." Dazu gehört auch, dass Medienvertreter im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen ein Recht auf Zugang zur Gerichtsöffentlichkeit besitzen, aber eben kein grenzenloses.

LTO: Anders als etwa die Justizpressekonferenz hält der Präsident des Bundesgerichtshofs, Klaus Tolksdorf, der derzeit einem Strafsenat angehört, die Videoübertragung nicht für zweifellos zulässig. Schon gar nicht sei diese geboten. Wie sehen Sie das?

Gostomzyk: Ich halte selbst die Videoübertragung in engen Grenzen für vertretbar, sehe aber auch die Risiken: Hält man die Übertragung für eine Verletzung von § 169 S. 2 GVG, könnte tatsächlich ein Revisionsgrund – ein Verstoß gegen die Öffentlichkeit des Verfahrens – vorliegen. Dies ausschließen zu wollen, ist ein verständliches Anliegen des zuständigen Strafgerichts.

LTO: Tolksdorf äußerte Bedenken, dass die Videoübertragung Zeugen verunsichern könnte, da diese keinen Überblick mehr darüber hätten, wer sie bei ihrer Aussage beobachtet. Sind das berechtigte Bedenken?

Gostomzyk: Aus dem Stegreif kann ich dazu keinen psychologischen Befund liefern. Lebenspraktisch halte ich die Risiken aber für kalkulier- und letztlich vertretbar. Ich denke, erst die unmittelbare Reaktion auf Äußerungen birgt die Gefahr der Verunsicherung. Etwa das Lachen von Zuschauern im Sitzungssaal. Dieser Rückkanal fehlt aber. Demgegenüber sprechen die Zeugen ohnehin in Mikrofone. Und wenn irgendwo im Gerichtssaal zusätzlich dezent eine Kamera angebracht ist, dürfte das wenige stören.

"Politik, Medien und Justiz funktionieren nach jeweils eigenen Regeln"

LTO: Nicht zur Entscheidung angenommen hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde des Karlsruher Journalisten Ulf Stuberger (Az. 1 BvR 1010/13). Er hatte gerügt, dass das Münchner Gericht nicht zulasse, dass er seine Akkreditierung an eine Kollegin abgebe, nachdem er selbst wegen einer Erkrankung nicht am Prozess werde teilnehmen können. Halten Sie auch diese Entscheidung im Ergebnis für richtig?

Gostomzyk: Ja, dafür sprechen gute Gründe: Kern der teilweise erfolgreichen Anträge ist eine mögliche Verletzung des Grundsatzes auf Gleichbehandlung durch die Nichtberücksichtigung ausländischer Medien. In Stubergers Fall stellt sich dagegen die Frage, ob das Prioritätsprinzip, nach dem die Sitzplätze ja verteilt worden waren, nicht durch eine Platzweitergabe gefährdet werden könnte. Demnach scheidet eine Verletzung in eigenen Grundrechten aus.

LTO: Im Vorfeld hatten Bundestagsabgeordnete das Vergabeverfahren kritisiert. Auch Außenminister Westerwelle hatte sich eingeschaltet und eine akzeptable Lösung angemahnt. Verletzt die Kritik von dieser Seite die richterliche Unabhängigkeit?

Gostomzyk: Richterliche Unabhängigkeit bedeutet, dass Gerichte allein dem Gesetz unterworfen sind, wie es Art. 97 Abs. 1 GG formuliert. Also nicht allgemein der öffentlichen oder speziell einer politischen Meinung. Dass diese Bindung an das Gesetz ernsthaft beeinträchtigt wurde, sehe ich nicht; auch wenn ich mir hier und dort mehr Zurückhaltung gewünscht hätte. Wichtiger aber ist, sich zu vergegenwärtigen: Politik, Medien und Justiz funktionieren nach jeweils eigenen Regeln, die nicht immer kompatibel sind, selbst wenn sie aus sich selbst heraus Sinn ergeben. Dafür bietet die Platzvergabe im NSU-Prozess geradezu ein Lehrstück.

Prof. Dr. Tobias Gostomzyk lehrt und forscht am Institut für Journalistik der TU Dortmund insbesondere zu Fragen des Medien- und Internetrechts sowie der Rechtskommunikation.

Die Fragen stellte Claudia Kornmeier.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Tobias Gostomzyk, BVerfG ordnet Zusatzplätze für ausländische Presse an: "Türkische Medien im NSU-Prozess sonst benachteiligt" . In: Legal Tribune Online, 15.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8523/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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