Wenn Eltern auf Dauer oder vorübergehend nicht in der Lage sind, sich um ihre Kinder zu kümmern, braucht es einen Vormund. Häufig glauben Großeltern sozusagen naturgesetzlich dafür am besten geeignet zu sein. Dass dies nicht richtig und auch verfassungsrechtlich nicht zu begründen ist, legte das BVerfG in einem am Freitag veröffentlichen Beschluss dar, meint Jutta Wagner.
Bis nach Karlsruhe gegangen war eine Großmutter, die entgegen ihrem Antrag nicht als Vormund für ihre jüngere Enkelin bestellt worden war – anders als für die ältere Schwester, die allerdings bereits seit der Geburt bei ihrer Großmutter lebte.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) musste nun zunächst klären, ob die Entscheidung des Familiengerichts überhaupt Grundrechte der Großmutter verletzen könnte (Beschl. v. 24.06.2014, Az. 1 BvR 2926/13). Die Großmutter rügte einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), weil das Familiengericht bei der Auswahl des Vormunds ihre nahe Verwandtenstellung nicht berücksichtigt habe.
Elterngrundrecht schützt Großeltern nicht
Obwohl sich die Frau also gar nicht auf das Elterngrundrecht berufen hatte, führen die Karlsruher Richter zunächst aus, dass Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ausschließlich die Eltern schützt. Dies tun sie allerdings mit gründlicher und einleuchtender Begründung. Die Schutzwirkung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG könne nur dann zugunsten von Großeltern ausgelegt werden, wenn diese bereits zu Vormündern bestellt worden sind und anstelle der Eltern ihr Enkelkind pflegen und erziehen, was im vorliegenden Fall hinsichtlich der jüngeren Enkelin nicht der Fall war.
Das eigene Recht der Großmutter, bei der Auswahl eines Vormunds in Betracht gezogen zu werden, leitet das BVerfG dann aus Art. 6 Abs. 1 GG ab, der den Schutz der Familie und damit der familiären Bindungen auch zwischen Großeltern und Enkelkind gewährleistet.
Der grundrechtliche Schutz familiärer Beziehungen zwischen nahen Verwandten umfasse deren Recht, bei der Entscheidung über die Auswahl eines Vormunds in Betracht gezogen zu werden, sofern tatsächlich eine engere familiäre Bindung zum Kind besteht. Großeltern sowie anderen nahen Verwandten komme bei der Auswahl des Vormunds der Vorrang gegenüber nicht verwandten Personen zu, sofern nicht im Einzelfall dem Kindeswohl besser gedient ist, wenn jemand anderes als Vormund bestellt wird.
An diesem Maßstab haben die Karlsruher Richter die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte überprüft und ist zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass es im Sinne des Kindeswohl lag, das Mädchen bei der Pflegefamilie zu lassen, statt in die Obhut der Großmutter zu geben.
Großeltern nicht unbedingt die beste Wahl bei komplizierten Familiengeschichten
Es ist sehr erfreulich, dass das BVerfG – obwohl es dies nicht hätte tun müssen – mit solcher Gründlichkeit und Klarheit die Rechte des Kindes und das Kindesinteresse in den Vordergrund gestellt hat. Wenn es überhaupt soweit kommt, dass für ein Kind weder Mutter noch Vater die elterliche Sorge ausüben kann, steht häufig eine nicht nur in der jüngsten Generation komplizierte Familiengeschichte im Hintergrund. Gerade in solchen Konstellationen ist es zweifelhaft, ob es ausgerechnet die Großmutter ist, die als Vormund am besten geeignet ist. Ein quasi naturwüchsiges Recht kann auf jeden Fall nicht unterstellt werden. Die Großmutter als eine Option unter anderen zu sehen, ist gerechtfertigt. Vorrang kommt ihnen dabei jedoch nur gegenüber Nicht-Verwandten zu.
Problematischer sind die Ausführungen des BVerfG zur Unzulässigkeit der Beschwerde nach § 59 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), wonach gegen Entscheidungen des Familiengerichts nur Beschwerde einlegen kann, wer durch die Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist.
Die Entscheidung über den Vormund berühre zwar auch die Grundrechte von Großeltern aus Art. 6 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe sich jedoch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angeschlossen, wonach Großeltern grundsätzlich keine Beschwerdebefugnis eingeräumt wird. Dadurch soll Kreis der Beschwerdeberechtigten überschaubar gehalten werden, um die Verfahren zügig zu beenden, was in sorgerechtlichen Dingen von besonderem Gewicht sei. Dies – so die Verfassungsrichter – sie nicht willkürlich, sondern beruhe auf einer nachvollziehbaren systematischen Auslegung und trage einem legitimen Ziel Rechnung.
An diesem Punkt hat sich einer der acht Richter seinen Kollegen nicht angeschlossen, ohne dies jedoch öffentlich zu begründen. Die Gründe für sein Abweichen wären interessant gewesen. Sicherlich ist es richtig, dass das Rechtsstaatsprinzip nicht gebietet, mehrere Instanzen bereitzustellen. Andererseits sind die Beschwerde- und Berufungsmöglichkeiten im Rechtssystem insgesamt so üppig vorhanden, dass sich schon die Frage stellt, ob nicht § 59 FamFG verfassungskonform anders – und zwar zugunsten der Großeltern – auszulegen gewesen wäre.
Die Autorin Jutta Wagner ist Fachanwältin für Familienrecht und Notarin in Berlin
Großeltern als Vormund: . In: Legal Tribune Online, 28.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12701 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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