Wie Medien aus dem Gerichtssaal berichten dürfen, legt der Vorsitzende Richter fest. Bisher wurden solche Regeln nicht begründet. Nun verlangt das BVerfG erstmals eine ausführliche Begründung - außer für das Nutzungsverbot von Laptop und Handy. Das sei nämlich selbstverständlich. Insgesamt eine sehr diskutable Entscheidung, finden Martin W. Huff und Pia Lorenz.
Der Prozess gegen die Eltern der dreijährigen Yagmur fand nicht erst mit dem offiziellen Auftakt am 11. Juni 2014 vor dem Hamburger Landgericht (LG) ein großes Medienecho. Die Spielregeln für die Teilnahme der Medienvertreter an den Hauptverhandlungsterminen legte der Vorsitzende Richter vorab in einer sitzungspolizeilichen Verfügung fest.
Solche Anordnungen, die sich aus der Vorschrift des § 176 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ergeben, sind heute für Gerichte wie auch Medien in medienwirksamen Verfahren an der Tagesordnung. Auch im Strafverfahren wegen der an inneren Verletzungen gestorbenen Yagmur regelte der Kammervorsitzende verschiedene Punkte, unter anderem, dass die Bild- und Filmberichterstattung nur im Rahmen einer sogenannten Poollösung und nicht im Nahbereich gestattet sei.
Unter einer Pool-Lösung versteht man in der Regel die Zulassung zweier Kamerateams (öffentlichrechtlich/privat) und einiger Fotographen. Diese müssen dann ihr Material den anderen Journalisten kostenlos zur Verfügung stellen. Außerhalb dieser Poollösung sollten Aufnahmen im Saal und im Umkreis von fünf Metern nicht erlaubt sein. Zudem legte er fest, dass Bilder und Zeichnungen von den Angeklagten zu anonymisieren seien und Bilder von Zeugen und Sachverständigen nur mit deren Zustimmung erfolgen dürfen. Mobiltelefone und Laptops müssten die Journalisten im Saal ausschalten.
BVerfG: Poollösung gekippt, Laptop- und Handyverbot bleibt
Gegen diese Einschränkungen gibt es nur ein Rechtsmittel. Das nutzte der der Springer-Verlag, der sich in der Berichterstattung eingeschränkt sah, und wandte sich mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Die Karlsruher Richter gaben dem Verlag mit einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss vom 31. Juli 2014 (Az. 1 BvR 1858/14) teilweise Recht. Sie setzten die Verfügung des LG Hamburg zur Poollösung und zum Verbot der Nahaufnahmen, dem Verbot der Bilder im Umkreis des Saals sowie zur der Zustimmungspflicht der Zeugen und Sachverständigen aus. Diese Anordnungen griffen in unzulässiger Weise in die Presse- und Rundfunkfreiheit ein.
Die Pflicht zur Anonymisierung von Bildern und Zeichnungen der Angeklagten, das Handy- und Laptop-Verbot und das Interview-Verbot im Saal hingegen bestätigt die 3. Kammer des 1. Senats. Die Begründung der Karlsruher Richter für die teilweise Aufhebung: Der Vorsitzende Richter habe seine Verfügung nicht ausreichend begründet. Wörtlich heißt es dazu: "Der Vorsitzende muss die tatsächlichen Umstände, die Beschränkungen der Pressefreiheit erforderlich machen, konkret darlegen, wenn diese nicht auf der Hand liegen und sich für einen verständigen Prozessbeteiligten von selbst verstehen." Dies sei bisher nicht geschehen. Bemerkenswert ist das vor allem, weil eine solche Begründung bisher nicht gefordert wurde.
Zeugen ohne Schutz, BGH ohne Relevanz, Journalisten ohne Laptop
Beachtlich sind die Ausführungen der drei Verfassungsrichter zum Schutz der Zeugen: Zwar hätten diese wie auch Sachverständige einen Anspruch darauf, vor öffentlichem Druck geschützt zu werden. Dieser Schutz kann allerdings reduziert sein, wenn sie sich vorher selbst an die Öffentlichkeit gegangen sind. Die 3. Kammer des 1. Senats bestandet nicht, dass Bilder der Angeklagten anonymisiert werden müssen. Damit setzen die Verfassungsrichter sich in Widerspruch zum Bundesgerichtshof: Dessen VI. Zivilsenat vertritt seit Juni 2011 die Auffassung, dass es bei der Veröffentlichung der Bilder von Angeklagten alleine darauf ankomme, dass diese als "Ereignis der Zeitgeschichte" erlaubt sei. Das sitzungspolizeiliche Verbot einer Aufnahme im Saal solle bei dieser Beurteilung dagegen keine Rolle spiele.
Für das Verbot der Benutzung von Mobiltelefonen und Laptops verlangt das Verfassungsgericht dann erstaunlicherweise keine Begründung. Die Gründe für diese "typisierte Regelung zur allgemeinen Gewährleistung eines geordneten Sitzungsablaufs" liegen seiner Ansicht nach vielmehr "auf der Hand". Sicherheitshalber wiederholen die Richter sie trotzdem: Aufnahmen während der Verhandlung würden den Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) verletzen. Demgegenüber werde die Pressefreiheit durch die Anordnung nicht erheblich beeinträchtigt.
Das kann man durchaus anders sehen. Schließlich liegt auf der Hand, dass nicht nur die Kontaktaufnahme zur Redaktion, sondern schon das das Mitschreiben durchaus stark eingeschränkt werden, wenn die Journalisten ihren Laptop ausschalten müssen, also nicht einmal im Offline-Modus nutzen dürfen.
Eine Begründungspflicht ohne Begründung, aber mit viel Streitpotenzial
Insgesamt hinterlässt der Beschluss einen zwiespältigen Eindruck. Hier wollte das Gericht wohl vor Fortsetzung der Verhandlung am 11. August 2014 Tatsachen schaffen, geholfen ist damit aber eigentlich niemandem. Karlsruhe schafft überraschend im Wege der einstweiligen Anordnung erstmals eine – nicht notwendige – Begründungspflicht, deren Verletzung es auch gleich für nicht nachträglich heilbar erklärt.
Warum die Begründung nicht wie bisher im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nachgeholt werden kann, erklärt der 3. Senat nicht, obgleich sich eine solche Begründungspflicht jedenfalls aus dem Gesetz nicht ergibt.
Dass künftig offenbar nicht jede sitzungspolizeiliche Anordnung begründet werden muss, mag für Erleichterung bei den Kammervorsitzenden führen. Allerdings schafft der Beschluss auch insofern mehr Unsicherheit, als er beseitigt. Die Frage, für welche Anordnungen die Gründe "auf der Hand liegen" und welche einer ausführlichen Begründung bedürfen, birgt Material für viele Auseinandersetzungen zwischen Gerichten und Medien. Neu sind auch die Ansichten zur Pixelung von Bildern, dem Verbot von Telefonen und Laptops. Es ist zu hoffen, dass der Vorsitzende der Strafkammer im Hamburg nun eine begründete Anordnung erlässt. Und das BVerfG dann die Chance nutzt, sich – am besten in einer Senatsentscheidung – ausführlich mit den verschiedenen angesprochenen Aspekten auseinandersetzt.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in der Kanzlei LegerlotzLaschet (LLR) in Köln und Lehrbeauftragter für Medienrecht an der Fachhochschule Köln. Er bildet seit langem Pressesprecher der Justiz aus.
Die Autorin Pia Lorenz ist Rechtsanwältin in Köln und Chefredakteurin der LTO.
Martin W. Huff und Pia Lorenz, BVerfG zur Berichterstattung aus dem Gerichtssaal: . In: Legal Tribune Online, 07.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12833 (abgerufen am: 08.12.2024 )
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