Nachdem der EuGH Bedenken des BVerfG gegen das Anleihenkaufprogramm der EZB zurückgewiesen hat, bereitet Karlsruhe mit einer mündlichen Verhandlung nun seine Antwort vor. Joachim Wieland erläutert, worum es geht.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) kann den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht zufrieden gestellt haben: Zu kritisch hatte der Senat in seiner Vorlage an den EuGH den Beschluss der EZB vom 22. Januar 2015 beurteilt.
Ihren Beschluss über den Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors in Milliardenhöhe an den Sekundärmärkten (PSPP) – also nicht direkt bei den Staaten und ihren Einrichtungen – hatte die EZB geldpolitisch begründet und vor allem auf ihr Ziel verwiesen, die Preisstabilität dadurch zu gewährleisten, dass die Inflationsrate wieder auf ein Niveau von zwei Prozent gebracht werden solle.
Mit den dadurch ermöglichten Käufen im Volumen von ca. 60 Milliarden Euro pro Monat wollte die EZB Deflationsgefahren begegnen, das wirtschaftliche Wachstum fördern, dem Rückgang der Realzinssätze entgegenwirken und die Kreditvergabe der Geschäftsbanken ausweiten. Ende 2018 belief sich das Gesamtvolumen der Ankäufe auf etwa 2,6 Billionen Euro.
Kompetenzen der EZB: Geldpolitik ja, Wirtschaftspolitik nein
Das Problem ist: Die EZB hat grundsätzlich nur ein Mandat für die Geldpolitik, darf aber keine Wirtschaftspolitik betreiben. Das BVerfG sah in dem Ankaufprogramm eine Überschreitung des geldpolitischen Mandats der EZB wie auch einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung. Dieses untersagt dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) die Gewährung von Krediten an Mitgliedstaaten. Beide Punkte werden heute und morgen im Mittelpunkt der mündlichen Verhandlung stehen (Az. 2 BvR 859/15 u. a.).
Das BVerfG hat die geldpolitische Zielsetzung des PSPP nicht bezweifelt, aber auf dessen wirtschaftspolitische Auswirkungen hingewiesen, welche die Kompetenzen der EZB überschritten. Wirtschaftslenkende Effekte seien zwangsläufige Folgen dieser Einflussnahme auf die Geldpolitik. Das PSPP stärke die Bilanzen der Geschäftsbanken, erhöhe ihre Bonität und erlaube ihnen den Verkauf riskanter Papiere an das Eurosystem. Zugleich verbessere das PSPP die Refinanzierungsbedingungen der Mitgliedstaaten.
Der EuGH hält es dagegen für unbedenklich, dass die Bank mit dem währungspolitisch motivierten PSPP zwangsläufig auch Einfluss auf die Gesamtwirtschaft nimmt. Im Rahmen des der EZB vom Gerichtshof eingeräumten weiten Beurteilungsspielraums durfte sie ihr Ankaufprogramm für zulässig halten.
BVerfG wird direkte Konfrontation wohl vermeiden
Das BVerfG wird in der Verhandlung dieses weite Kompetenzverständnis prüfen, sich ein Urteil darüber bilden, wie sehr das PSPP die Wirtschaft tatsächlich beeinflusst und auch die demokratische Legitimation der EZB auf den Prüfstand stellen. Es wird sich auch mit der Frage beschäftigen, ob das PSPP nicht im Laufe der Zeit unverhältnismäßig geworden ist, weil immer weniger Anleihen für den Ankauf durch die EZB zur Verfügung stehen. In der Folge wird das Ankaufprogramm für die Schuldner vorhersehbarer, so dass diese den Ankauf immer besser in ihre Planungen einbeziehen können.
Manches spricht dafür, dass das BVerfG den Handlungsspielraum der EZB und damit auch die Mitwirkungsbefugnisse der Bundesbank am PSPP enger als der EuGH sehen, eine direkte Konfrontation aber vermeiden wird. So könnte der Dialog zwischen den beiden Höchstgerichten zu diesem Punkt fortgesetzt werden.
Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung verletzt?
Deutlich auseinander liegen Karlsruhe und Luxemburg auch bei der Reichweite des Verbots der monetären Haushaltsfinanzierung, das ebenfalls im Zentrum der mündlichen Verhandlung stehen wird. Der EuGH sieht das Verbot nicht als verletzt an, weil die Mitgliedstaaten nicht sicher sein können, wie lange die EZB am Ankaufprogramm festhalten wird. Sie können deshalb mittelfristig auch nicht auf Ankäufe ihrer Anleihen vertrauen und ihre Haushaltspolitik darauf ausrichten.
Dagegen sieht das BVerfG die Möglichkeit einer Verletzung des Verbots und der deutschen Verfassungsidentität, weil das PSPP auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen Dritter mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen hinauslaufen und so das Budgetrecht des Bundestages verletzen könnte. Nach der Verhandlungsgliederung könnte das BVerfG auch insoweit Beobachtungspflichten der deutschen Verfassungsorgane, vielleicht sogar Reaktionspflichten statuieren. Unwahrscheinlich ist aber, dass BVerfG den Dialog mit dem EuGH für gescheitert erklärt.
Prof. Dr. Joachim Wieland lehrt Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Anleihenkaufprogramm der EZB vor dem BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36745 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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