Nach gescheiterter Verfassungsbeschwerde: Zschäpe-Anwälte prüfen Anru­fung des Men­schen­ge­richts­hofs

von Hasso Suliak

24.10.2022

Die rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilte NSU-Terroristin Beate Zschäpe ist in Karlsruhe mit ihrer Verfassungsbeschwerde gescheitert. Der BGH muss sich somit nicht noch einmal mit ihrer Revision befassen - vielleicht aber der EGMR.

NSU-Rechtsextremistin Beate Zschäpe ist mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gescheitert, wie am Montag bekannt wurde (Beschl. vom 30.09.2022, Az. 2 BvR 2222/21). Die 47-Jährige wollte erreichen, dass der Bundesgerichtshof (BGH) noch einmal über ihre Revision entscheidet und diesmal auch mündlich darüber verhandelt.  

Der BGH hatte im August 2021 Zschäpes Verurteilung als Mittäterin an der rassistisch motivierten Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" per schriftlichen Beschluss bestätigt. Damit bleibt es nun endgültig bei der Strafe, die das Oberlandesgericht (OLG) München im Juli 2018 verhängt hatte: lebenslange Haft bei besonderer Schwere der Schuld

Nach der am Montag vom BVerfG veröffentlichten Entscheidung kündigten Zschäpes Anwälte an, zu prüfen, ob eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus ihrer Sicht sinnvoll erscheint. Das werde er jetzt mit seinen Kollegen Wolfgang Heer sowie Andreas Lickleder erörtern, so Zschäpe-Anwalt Mathias Grasel im Gespräch mit LTO.

BVerfG: Keine Verletzung rechtlichen Gehörs

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG nahm Zschäpes Verfassungsbeschwerde vom September 2021 nach § 93a Abs.2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht zur Entscheidung an. Begründung: Sie habe weder dargetan noch sei es aus sich heraus ersichtlich, dass sie in ihren Rechten auf die Gewährung rechtlichen Gehörs, aus dem allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot oder auf die Entscheidung durch den gesetzlichen Richter verletzt sei.

Das OLG München hatte Zschäpe 2018 nach mehr als fünf Jahren und über 400 Verhandlungstagen wegen zehnfachen Mordes, mehrfach versuchten Mordes, Raubüberfalls sowie schwerer Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung als Mittäterin zu lebenslanger Haft verurteilt – obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass sie selbst an einem der Tatorte war.

Wegen der Vielzahl der verübten Taten stellte das OLG außerdem die besondere Schwere der Schuld fest. Ende April 2020 legte das Gericht auf 3.025 Seiten die Urteilsgründe vor. Darin kam es zu dem Schluss, dass Zschäpe "jeweils gemeinschaftlich und vorsätzlich handelnd in zehn Fällen einen Menschen heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen getötet" habe.

Mit Revision und Anhörungsrüge am BGH gescheitert

Zschäpe ging daraufhin gegen das Urteil mit der Revision vor, wobei ihre Verteidiger insbesondere die Einordnung ihres Handelns als Mittäterin angriffen.

"Das OLG hat im Fall von Frau Zschäpe geltendes Recht falsch angewendet, denn ohne einen einigermaßen gewichtigen Tatbeitrag geleistet zu haben, ist eine Verurteilung wegen Mittäterschaft auch auf Grundlage der bisherigen BGH-Rechtsprechung nicht möglich", hatte Zschäpes früherer Pflichtverteidiger Wolfgang Stahl seinerzeit gegenüber LTO bekräftigt. Bei sämtlichen der Angeklagten Zschäpe zugeschriebenen Beiträgen zu den eigentlichen Ausführungshandlungen handele es sich um nicht einmal untergeordnete Beiträge zur konkreten Verwirklichung der jeweiligen Tatbestände, so Stahl.

Der BGH indes folgte dieser Argumentation nicht und verwarf das Rechtsmittel ohne Hauptverhandlung durch Beschluss nach § 349 Strafprozessordnung (StPO). Zschäpe habe die Mordanschläge und Raubüberfälle gemeinschaftlich mit Böhnhardt und Mundlos begangen. Sie habe hierfür als Mittäterin in ausreichendem Maße sowohl Tatherrschaft als auch Tatinteresse besessen. Fazit des Senats: "Sie leistete gewichtige objektive Tatbeiträge und hatte ein starkes Tatinteresse".

Gegen diese Entscheidung ging Zschäpe zunächst mit einer sog. Anhörungsrüge vor, die Deutschlands höchstes Zivilgericht jedoch verwarf. Zschäpes Anspruch auf rechtliches Gehör sei im Revisionsverfahren nicht verletzt worden. Sie habe "umfangreich zur Frage ihrer mittäterschaftlichen Beteiligung vorgetragen" und ihre Ausführungen seien auch hinreichend gewürdigt worden, so der BGH damals (Beschl. v. 22.09.21, Az. 3 StR 441/20).

BVerfG: Kein Verstoß gegen die EMRK

Dass der BGH auf eine erneute mündliche Verhandlung verzichtete, stellte nun laut BVerfG keine Verletzung von Zschäpes Prozessgrundrecht auf die Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG dar. Es sei Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, in welcher Weise rechtliches Gehör gewährt werden soll. Im strafrechtlichen Revisionsverfahren sei mit § 349 Abs. 2 StPO die Möglichkeit geschaffen, eine Revision durch Beschluss – also ohne vorherige Durchführung einer mündlichen Verhandlung – zu verwerfen. Verfassungsrechtlich sei das unbedenklich, so das BVerfG.  

Auch liege in diesem Umstand kein Verstoß gegen Europäischen Menschenrechtskonvention, so die Kammer weiter. Zwar verlange nach der Rechtsprechung des EGMR Art. 6 Abs. 1 EMRK grundsätzlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. In Rechtsmittelverfahren gelte dieser Grundsatz aber nicht uneingeschränkt, so die Kammer: "Hat in der ersten Instanz eine öffentliche Verhandlung stattgefunden, kann es aufgrund der Besonderheit des betreffenden Verfahrens gerechtfertigt sein, dass in der zweiten oder dritten Instanz von einer mündlichen Verhandlung abgesehen wird. Betrifft das Rechtsmittelverfahren nur Rechtsfragen, kann – je nach Ausgestaltung des Verfahrensrechts – von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden."

"Nichts neues vorgebracht"

Das Karlsruher Gericht attestierte Zschäpe zudem, die von ihr behauptete Gehörsverletzung nicht hinreichend substantiiert, sondern nur "fragmentarisch" vorgebracht zu haben. Umfassend hätte sie darlegen müssen, was sie in der von ihr angestrebten Hauptverhandlung hätte vortragen wollen, was dem BGH nicht eh schon bekannt gewesen und von ihm nicht bereits berücksichtigt worden sei. Das wäre notwendig gewesen, mahnte das BVerfG, "weil der 3. Strafsenat in seiner Entscheidung über die Anhörungsrüge bekräftigt hat, er habe das umfangreiche Revisionsvorbringen der Beschwerdeführerin zur Frage der Mittäterschaft bei seinen Beratungen gewürdigt, das Vorbringen aber nicht für überzeugend erachtet"

Einer Absage erteilte das BVerfG in seinem ungewöhnlich umfangreichen 22-seitigen Nichtannahmebeschluss auch der Auffassung Zschäpes bzw. ihrer Anwälte, wonach eine erneute Verhandlung auch deswegen erforderlich gewesen wäre, weil der BGH - für sie überraschend - von seiner ständigen Rechtsprechung zu Mittäterschaft abgewichen sei. Das, so das BVerfG, sei nicht zutreffend. "Der Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 12. August 2021 entspricht der bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme." Dies habe der BGH selbst klargestellt.  

BVerfG: Mittäterschafts-Begründung durch BGH unbedenklich

Zwar hätte Zschäpes Mitgliedschaft im NSU allein nicht zur Mittäterschaft gereicht, befand auch das BVerfG. Plausibel erscheine aber die Rechtsansicht des BGH, auf der objektiven Ebene des § 25 Abs. 2 Strafgesetzbuch darauf abzustellen, dass Zschäpe maßgeblichen Einfluss auf die Planung der Taten sowie auf den gemeinsamen Tatentschluss und den weiteren Willen ihrer beiden Komplizen zur Tatbegehung genommen habe".

Ebenso wenig begegnet es laut BVerfG verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der BGH Zschäpes Beitrag als Mittäterin darin sah, weil sie durch ihre sinnstiftende und handlungsleitende Zusicherung Anteil daran hatte, die bürgerliche Fassade der Gruppe aufrechtzuerhalten und zu gegebener Zeit das Bekennervideo zu versenden. Dadurch habe sie die serienmäßige Tatbegehung durch die anderen Mitglieder der Terrorgruppe erst ermöglicht. Mit dieser Rechtsaufassung hätten Zschäpes Verteidiger im Übrigen auch "unter Berücksichtigung der Breite vertretbarer Rechtsauffassungen" rechnen können.

Einen Anlass, dass der BGH dem EuGH das Verfahren wegen Entzugs des gerichtlichen Richters nach Art.101 Abs.1 Satz 2 GG hätte vorlegen müssen, sah das BVerfG ebenfalls nicht.

Zschäpe-Strafverteidiger Grasel zeigte sich nach Bekanntwerden der Entscheidung aus Karlsruhe im Gespräch mit LTO enttäuscht. Das BVerfG habe trotz seiner umfangreichen Ausführungen oberflächlich und nicht überzeugend argumentiert, so der Anwalt.

Zitiervorschlag

Nach gescheiterter Verfassungsbeschwerde: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49962 (abgerufen am: 09.12.2024 )

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