BVerfG billigt Masernimpfpflicht: Impf-Akzeptanz ist nicht kos­tenlos

Kommentar von Dr. Christian Rath

18.08.2022

Vier Elternpaare scheiterten in Karlsruhe mit ihrer Verfassungsklage gegen die Masernimpfpflicht. Es gab zwar Zugeständnisse an die Impfskeptiker, doch diese sind eher theoretischer Natur und letztlich halbherzig, meint Christian Rath.

Die Karlsruher Entscheidung, dass die Masernimpfpflicht für Kita-Kinder mit dem Grundgesetz vereinbar ist, kommt nicht überraschend. Immerhin hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schon im Mai 2020 einen Eilantrag abgelehnt und den Kläger:innen dort auch wenig Hoffnung gemacht.

Nicht alle Fragen beantwortet

Nun liegt also auch die 66-seitige Hauptsache-Entscheidung vor, ein Beschluss des Ersten Senats vom 21.07.2022 (Az.: 1 BvR 469/20 u.a.). Damit ist das Thema Masernschutzpflicht in Karlsruhe aber noch nicht vollständig erledigt. Im konkreten Beschluss ging es nur um Kita-Kinder, nicht um Schul-Kinder, bei denen andere Mechanismen gelten. Wegen der Schulpflicht können ungeimpfte Kinder schließlich nicht einfach vom Unterricht ausgeschlossen werden. 

Es ging im konkreten Beschluss auch nicht um die parallel eingeführte Impfpflicht für Personen, die in Schulen, Kitas, Krankenhäusern, Arztpraxen und Flüchtlingsheimen arbeiten. Hier allerdings wird man inhaltlich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Pflege-Impfpflicht zurückgreifen können. Danach ist eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen kein so drastischer Eingriff wie eine generelle Impfpflicht. Schließlich können die Betroffenen ja den Beruf wechseln, wenn sie die Impfpflicht vermeiden wollen. 

Keine juristische Massenbewegung

Am Bundesverfassungsgericht sind jetzt noch knapp zehn Verfassungsbeschwerden zum Masernschutzgesetz anhängig. Das Gericht konnte allerdings nicht sagen, wie viele dabei von Beschäftigten und wie viele von Eltern/Kindern kommen. Die moderate Zahl zeigt aber, dass es sich bei der Kritik an der Masernimpfpflicht bisher nicht um eine juristische Masssenbewegung handelt. 

Das dürfte auch daran liegen, dass die Masern-Diskussion in den letzten zwei Jahren fast ganz durch die Diskussion um eine Corona-Impfpflicht in den Schatten gestellt wurde. Und das ist auch gut nachvollziehbar. Während die Masernimpfung seit Jahrzehnten etabliert und vergleichsweise gut erforscht ist, basiert die Corona-Impfung überwiegend auf einer neuen Impftechnologie*, die Impfstoffe wurden im Schnellverfahren geprüft und zugelassen und werden nun wohl alle paar Monate an die gerade vorherrschende Variante des Virus angepasst. Hier fällt es deutlich leichter, Schlimmes zu befürchten. 

Nun also liegt die Karlsruher Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Masernschutzimpfung vor. Und nachdem die Richter:innen im Mai keine Bedenken gegen die neuartige Corona-Impfung hatten, haben sie nun erst recht keine Bedenken gegen die langerprobte Masern-Impfung. Schließlich sind die Masern hochansteckend und können im Extremfall tödlich sein, dagegen sind die körperlichen Reaktionen auf die Impfung milde und echte Impfschäden "extrem unwahrscheinlich". 

Eher theoretisches Zugeständnis

Interessant war eher die Frage, wie das Gericht diesmal mit den Kläger:innen umgeht. Bei der Pflege-Impflicht war der Umgang eher brüsk und apodiktisch. Den Impfkritiker:innen wurde überhaupt kein Zugeständnis gemacht. Wesentliche Argumente der Kläger:innen wurden nicht einmal aufgegriffen, etwa dass ungeimpfte Personen, die besonders vorsichtig agieren, vielleicht weniger gefährlich sind als geimpfte Personen, die sich unverwundbar fühlen, sich aber doch selbst infizieren und das Virus dann auch ungeschützt weitergeben. In diesem zugespitzten Konflikt hat das Gericht seine Integrationsaufgabe ziemlich vernachlässigt. 

Das versuchten die Richter:innen bei der Masernimpfpflicht nun offensichtlich besser zu machen. Gleich zu Beginn der Karlsruher Pressemitteilung wurde eine "verfassungskonforme Auslegung" des Masernschutzgesetzes versprochen. Die in Deutschland üblichen Kombinations-Impfstoffe dürfen nicht einfach auf weitere Krankheiten ausgeweitet werden. Damit ist zum Beispiel verboten, bald nur noch kombinierte Masern/Corona-Präparate anzubieten und so eine Corona-Impfpflicht durch die Hintertür einzuführen. Diese bisher eh nicht diskutierte eher theoretische Möglichkeit ist nun also ausgeschlossen. 

Import aus der Schweiz ist möglich

Doch warum hat das Bundesverfassungsgericht nicht vorgegeben, dass es reine Masern-Impfstoffe geben muss? Warum müssen Kinder immer auch gegen Röteln, Mumps und Windpocken geimpft werden, wenn die Impfpflicht doch nur für Masern gilt? In der Schweiz gibt es durchaus reine Masern-Impfstoffe. Karlsruhe begründete die Ablehnung mit Mehrkosten und einer Belastung für die Allgemeinheit. Das ist dünn. Akzeptanz gibt es nicht immer zum Nulltarif.

Immerhin weisen die Richter auch auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach hin (Beschluss vom 5. Mai 2022, Az.: AN 18 S 22.00535). Danach kann der Schweizer Mono-Impstoff durchaus (auf eigene Kosten) nach Deutschland eingeführt und hier geimpft werden. Auch so könne man die Masernimpfpflicht erfüllen. Vielleicht kann das die Wogen etwas glätten.

Der Impfpflicht-Glauben ist naiv

Die faktisch gescheiterte Corona-Pflege-Impfpflicht hat aber zumindest eines gezeigt: Die Vorstellung, man führt einfach eine Impfpflicht ein und dann wird sie befolgt, ist naiv. Einerseits ist die Durchsetzung in einem rechtstaatlichen Verfahren ziemlich aufwendig und das ohnehin überlastete Personal in den Gesundheitsämtern wird andernorts gebraucht. Außerdem verschärft jede entlassene Pflegekraft den Pflegenotstand. Die im Interesse vulnerabler Personen im Gesundheitswesen eingeführte einrichtungsbezogene Impfpflicht wird deshalb im Interesse genau dieser Personen nur sehr lax umgesetzt. Auch deshalb läuft die Pflege-Impfplicht Ende des Jahres sang- und klanglos aus. Und über eine allgemeine Corona-Impfpflicht wird gar nicht mehr diskutiert. 

Es kann deshalb noch interessant werden, wie die Masern-Impfpflicht an Kitas und Schulen akzeptiert und umgesetzt wird. Auch hier sitzt der Staat eher am kürzeren Hebel - jedenfalls wenn er den Konflikt nicht auf dem Rücken der ungeimpften Kinder austragen will, die sich ihre Eltern ja auch nicht ausgesucht haben. 

Bessere Beratung ist keine Alternative

Doch auch das ursprünglich starke Argument der Masern-Impfpflichtkritiker:innen, der Staat solle lieber auf bessere Beratung von Eltern setzen statt auf Zwang, hat in den letzten zwei Jahren an Charme verloren. Viele Impfkritiker:innen haben sich so in Parallelwelten eingegraben und hören nur noch auf ihre eigenen Expert:innen. Der harte Kern ist mit Beratung sicher nicht mehr erreichbar. Und dass Beratung kein gleich geeignetes Mittel ist, um eine hohe Impfquote zu erreichen, zeigt ja auch die ziemlich bescheidene Corona-Impfquote.

Doch die Entscheidung ist nun gefallen: Der Gesetzgeber hat die Masernimpfpflicht beschlossen, das Bundesverfassungsgericht hat sie abgesegnet. Und in zwei oder fünf Jahren werden wir sehen, ob die Impfquote unter Kinder und Jugendlichen nun signifikant gestiegen ist.

*Präzisiert am 19.08.2022, vorher stand hier "Technologie" anstatt "Impftechnologie".

Zitiervorschlag

BVerfG billigt Masernimpfpflicht: . In: Legal Tribune Online, 18.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49360 (abgerufen am: 14.10.2024 )

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