BVerfG befürchtet zu viele Kollateralschäden: Kein iso­lierter Vater­schafts­test gegen mut­maß­lich leib­li­chen Vater

von Pia Lorenz

19.04.2016

2/2: Viele Interessen in einer offeneren Welt

Zwar schütze das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes auch davor, dass ihm Informationen über die eigene Abstammung vorenthalten werden. Aber dieses Recht werde begrenzt durch die kollidierenden Grundrechte der anderen Menschen, welche von einem isolierten Abstammungsklärungsverfahren betroffen sind. Im schlimmsten Fall würde sonst viel Verletzung verursacht, aber nichts erreicht, so der Erste Senat. Und auf diesen Fall, dass das Abstammungsklärungsverfahren nämlich zu einem negativen Ergebnis führt, habe der Gesetzgeber abstellen dürfen. Dann wüsste das Kind noch immer nicht, wer sein Vater ist, möglicherweise wären aber zwei Familien in ihren Grundfesten erschüttert.

Für Jutta Wagner sind diese Erwägungen nachvolllziehbar und richtig. "Die viel offeneren sozialen und rechtlichen Strukturen, in denen wir leben, führen zwangsläufig zu mehr kollidierenden Interessen. Diese müssen in einem komplizierten Setting berücksichtigt werden", so die Familienrechtlerin gegenüber LTO.

Der mutmaßliche Vater, dessen Vaterschaft gegen seinen Willen festgestellt werden soll, und die Mutter des Kindes haben ein Recht darauf, dass ihre sexuelle Beziehung nicht bekannt wird. Dass dieses Recht hinter dem des Kindes auf Kenntnis von der eigenen Abstammung zurücktreten müsste, ändere daran nichts, argumentiert das BVerfG. Denn eben diese Abstammung solle ja gerade erst durch das Verfahren geklärt werden.

Schon der Verdacht, dass er nicht der leibliche Vater seines Kindes ist, beeinträchtige aber auch nicht nur den rechtlichen Vater in seinem Selbstverständnis, sondern nehme auch der gesamten rechtlichen Familie von Vater und Kind "Gewissheit und Vertrauen in ihre familiären Beziehungen".

Der Schaden wäre nicht wieder gut zu machen

Das ist die notwendige Konsequenz auch einer Abstammungsklärung nach § 1598a BGB, welche das BVerfG selbst für erforderlich erklärt hat. Aber ein auf Nicht-Familienmitglieder ausgeweiteter Abstammungsanspruch würde noch viel weitere Kreise und damit mehr Menschen in Mitleidenschaft ziehen, begründen die Verfassungsrichter nun. So würde die Möglichkeit, dass er ein weiteres Kind hat, auch die Familie des mutmaßlichen Vaters erheblich durcheinander bringen. Egal, wie das Verfahren ausginge: Der schon angerichtete Schaden wäre nicht wiedergutzumachen, so der Erste Senat des BVerfG. 

Mit Blick auf das auch vom BVerfG anerkannte Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung stellt sich eine echte Rechtsschutz-Lücke allenfalls für die - vermutlich sehr wenigen - Menschen, die bereits ein gerichtliches Verfahren gegen den Mann verloren haben, den sie aufgrund bestimmter Anhaltspunkte für ihren leiblichen Vater halten.

Das BVerfG betont in seiner Entscheidung, dass die Antragstellerin nur "nach ihrer eigenen Einschätzung" daran gehindert sei, diesen Weg über § 1600d BGB zu gehen. Auch aus Sicht von Familienrechtlerin Wagner wäre die Antragstellerin in Karlsruhe besser beraten gewesen, wenn sie versucht hätte, ein Wiederaufnahmeverfahren zu erreichen. "Die neuen medizinischen Möglichkeiten hätten zu einem anderen Ergebnis kommen können als die Gutachter in dem Verfahren in den 50-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts", so Wagner. Die hatten aufgrund einer anthropologisch-erbbiologischen Untersuchung angenommen, dass der heute fast 90-Jährige nicht ihr Vater sei. Aufgrund der Bluteigenschaften hatten die Gutachter das damals aber nicht ausschließen können.  

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, BVerfG befürchtet zu viele Kollateralschäden: Kein isolierter Vaterschaftstest gegen mutmaßlich leiblichen Vater . In: Legal Tribune Online, 19.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19129/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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