Zum Verpixelungs-Beschluss des BVerfG: Wenn der Schein trügt

Gastbeitrag von Dr. Felix W. Zimmermann

10.07.2020

"Fotografen müssen Bilder bei Weitergabe an Redaktionen nicht verpixeln", hieß es Mittwoch in vielen Meldungen. Liest man den Beschluss des BVerfG genau, ist aber oft das Gegenteil der Fall, meint Felix W. Zimmermann.

Ein Journalist hatte in einer Klinik einen Mann fotografiert, der vermeintlich an Ebola erkrankt war, und das Foto an die Bild-Redaktion geschickt. Die veröffentlichte es für kurze Zeit unverpixelt unter der Überschrift "Ebola-Verdächtiger wartet 40 Minuten im Klinik-Flur". Die Instanzgerichte verurteilten den Journalisten wegen rechtswidriger Bildnisverbreitung (§ 33 Kunsturhebergesetz (KunstUrhG)). Dabei stellten sie vor allem darauf ab, dass der Journalist das Bild unverpixelt an die Redaktion gesandt bzw. mit der Redaktion keine Verpixelung besprochen hatte.

Die gegen die Verurteilung eingelegte Verfassungsbeschwerde hatte nun zwar  Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) formuliert dabei den Grundsatz, dass Journalisten bei Bildweitergabe an Redaktionen nicht zur Verpixelung verpflichtet sind, es handele sich um eine Redaktionsaufgabe. Doch diesen "Grundsatz" knüpfen die Verfassungsrichter an Voraussetzungen, die in vielen Fällen schlicht nicht gegeben sind.

Journalisten drohen in derartigen Fällen weiter strafrechtliche Verurteilungen, auch der Beschwerdeführer ist noch nicht freigesprochen.

BVerfG übernimmt BGH-Rechtsprechung nicht

Das BVerfG hat entschieden, dass in der Übersendung eines Bildes an eine Redaktion durchaus eine tatbestandsmäßige Verbreitungshandlung im Sinne des § 22 KunstUrhG liegt, die nur unter bestimmten Bedingungen zulässig ist.

Dies hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entsprechend für Bildagenturen, die Redaktionen beliefern, anders entschieden (Urt. v. 07.12.2010, Az. VI ZR 30/09 und VI ZR 34/09). Bildagenturen müssen nach Auffassung des BGH die Rechtmäßigkeit einer Verbreitung nicht selbst beurteilen. Sie dürfen jedwedes Bildmaterial an Medien weitergeben. Die Medien haben dann über das Ob und Wie einer Veröffentlichung zu entscheiden. Der BGH begründet dies Bildagenturenprivileg u.a. damit, dass die presseinterne Weitergabe "keine Außenwirkung" habe.

Doch das BVerfG ist wie die Vorinstanzen der Ansicht, dass dieses Verbreitungsprivileg im Falle eines freien Fotografen, der selbst "seine Geschichte" einer Redaktion anbietet, nicht greift. Worin genau ein wesentlicherwertungsmäßige Unterschied liegt – denn auch im Fall des Beschwerdeführers liegt eine nur presseinterne Verbreitung ohne Außenwirkung vor -, erklärt das BVerfG leider nicht.

Die Verfassungsrichter ordnen die Bildweitergabe an Redaktionen damit als tatbestandliche Verbreitungshandlung ein. Das hat für Journalisten gravierende Konsequenzen: Denn die Verbreitung ist nur zulässig, wenn die Ausnahmebestimmungen der §§ 22, 23 KunstUrhG greifen, insbesondere also eine Einwilligung (§ 22 S. 1 KunstUrhG) des Abgebildeten vorliegt oder das Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG). Zudem dürfen keine "berechtigten Interessen" des Abgebildeten entgegenstehen (§ 23 Abs. 2 KunstUrhG).

Freie Fotografen sollen selbst eine Rechtsprüfung vornehmen

Das heißt für Journalisten bzw. Fotografen, dass sie zunächst in eine schwierige Rechtsprüfung einsteigen müssen, bevor sie ein Personenfoto an eine Redaktion schicken. Wenn keine Einwilligung der Abgebildeten vorliegt, müssen sie prüfen, ob das Bild ein zeitgeschichtliches Motiv zeigt. Nur falls ja, dürfen sie es an die Redaktion senden.

Dass diese Prüfung komplex und schwierig ist, mutet das BVerfG den Journalisten zu und überfordert sie in aller Regel damit. Schon die Rechtsprechung zur Frage, ob ein zeitgeschichtliches Ereignis vorliegt, ist sehr uneinheitlich. Regelmäßig hebt hier die eine Instanz die andere auf. Die Prüfung ist schwierig, extrem wertungsoffen und komplex, auch weil Betroffeneninteressen bereits bei der Frage, ob ein zeitgeschichtliches Ereignis vorliegt, mitberücksichtigt werden müssen.

All das muss der freie Journalist nach der Entscheidung des BVerfG selbst beurteilen - eigentlich eine typische Redaktionsaufgabe, die im Zweifel die Rechtsabteilung des Hauses mit einbinden kann. Möglichkeiten über die ein freier Journalist nicht verfügt.

Es ist zudem tägliche Praxis im Journalismus, dass Fotos angefertigt werden, von denen Fotografen zum Zeitpunkt noch gar nicht wissen, wie relevant sie sind, ob sie etwas Zeitgeschichtliches zeigen, auch weil Hintergründe noch nicht feststehen. Auch weiß der Fotojournalist vor Ort nicht, wie die Redaktion das Bild später verwenden will, welchen Text sie dazu schreiben will. Es ist aber vor allem dieser Kontext, der über die Frage des zeitgeschichtlichen Ereignisses entscheidet.

Es drohen nicht nur um Abmahnungen, sondern strafrechtliche Verurteilungen

Im konkreten Fall hat das BVerfG in dem Bildnis ein zeitgeschichtliches Ereignis gesehen, da es um potenziell unzureichende infektionsschützende Vorkehrungen in einem Krankenhaus ging. Eigentlich müssten aber bereits im Rahmen der Frage, ob ein zeitgeschichtliches Ereignis vorliegt, nach ständiger Rechtsprechung die Interessen des Abgebildeten berücksichtigt werden. Das thematisiert das BVerfG in seiner Entscheidung vom Mittwoch aber gar nicht. Insoweit könnte das unverpixelt weitergebene Bild aufgrund der hohen Stigmatisierungswirkung wohl kaum unter die Ausnahme des zeitgeschichtlichen Ereignisses fallen. Jedenfalls lässt sich darüber streiten, wie in vielen Fällen.

Besonders problematisch: Das Damoklesschwert, das hier in dieser Rechtsunsicherheit über Journalisten schwebt, ist nicht eine bloße Abmahnung, sondern eine strafrechtliche Verurteilung nach § 33 KunstUrhG.

Freie Journalisten müssen nach der Entscheidung des BVerfG auch prüfen, ob gegen die Weitergabe des Bildes "berechtigte Interessen" der abgebildeten Person im Sinne von § 23 Abs. 2 KunstUrhG sprechen. Dabei müssen sie Risiken der Weitergabe des Bildes an Redaktionen für die Abgebildeten berücksichtigen.

Zwar hebt das BVerfG hier hervor, dass vom Journalisten eine Verpixelung "grundsätzlich nicht verlangt werden kann", doch müsse er die Redaktion über besondere Umstände bei der Fotoaufnahme informieren, etwa darüber, ob die Person der Aufnahme widersprochen hat oder Journalisten zur Löschung aufgefordert wurden. Nach der Logik der Entscheidung wird durch diese Informationen an die Redaktion das Risiko gesenkt, dass ein Medium ein Bild unverpixelt zeigt.

Sicher ist der Fotograf nur dann, wenn er verpixelt

Dass die Entscheidung die Pressefreiheit letztlich kaum stärkt, zeigt sich auch in der Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Es soll klären, ob der Journalist die Redaktion auf den Umstand hinwies, dass der Abgebildete der Verwendung des Bildes ausdrücklich widersprochen hatte. Diese Tatsachenfeststellung hält das BVerfG offenbar für entscheidend, womit dem Journalisten weiter eine strafrechtliche Verurteilung droht, wenn er der Redaktion den Widerspruch des Abgebildeten vorenthielt.

Dass das BVerfG dem Widerspruch des Abgebildeten eine derart hohe Bedeutung beimisst, ist kaum nachvollziehbar. Wenn eine Einwilligung des Abgebildeten vorliegt, muss das Vorliegen eines zeitgeschichtlichen Ereignisses nämlich gar nicht mehr geprüft werden. Die Ausnahme "zeitgeschichtliches Ereignis" setzt also quasi die fehlende Einwilligung voraus. Und so kommt in der gerichtlichen Praxis auch der Frage, ob der Abgebildete der Bildnisverwendung widerspricht, kaum Bedeutung zu, sofern ein zeitgeschichtliches Ereignis bejaht wird.

Die Frage des Widerspruchs durch den Abgebildeten ist auch im Paragraphengefüge nicht bei § 23 Abs. 2 KunstUrhG verankert, da dort nach "berechtigen Interessen" gefragt wird. Der Widerspruch der fotografierten Personallein sagt aber nichts darüber aus, ob ihre Anliegen berechtigt sind oder nicht. Warum nach Auffassung des BVerfG also ausgerechnet (mit)entscheidend sein soll, ob der Journalist den Widerspruch des Abgebildeten der Redaktion mitgeteilt hat, ist dogmatisch nicht nachvollziehbar und wird vom BVerfG auch nicht begründet.

Das BVerfG hat im Beschluss zwar postuliert, dass Journalisten grundsätzlich Bildmaterial nicht verpixeln müssen. Doch entgegen des selbst aufgestellten Grundsatzes zeigt die Begründung der Entscheidung, dass freie Journalisten nur dann auf der sicheren Seite sind, wenn sie Personenfotos verpixelt weitergeben. Denn der Grundsatz wird an strenge Voraussetzungen geknüpft. Hält der Journalist sie nicht ein, macht er sich strafbar. Im Beschluss liegt daher keine Stärkung der Pressefreiheit, sondern eine Erschwerung des freien Informationsaustausches von Journalisten.

Zitiervorschlag

Zum Verpixelungs-Beschluss des BVerfG: Wenn der Schein trügt . In: Legal Tribune Online, 10.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42163/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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