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20278

Nach Streit um Spenderniere: Kein Rechts­schutz gegen Ein­stu­fung als "nicht trans­plan­tabel"

von Pia Lorenz

12.08.2016

Wegweiser BVerfG

© atmopix - Fotolia.com

Nach einem Streit stufte ein Arzt eine Patientin, die eine Niere brauchte, als "nicht transplantabel" ein. Wehren kann sie sich dagegen nicht, entschied das BVerfG. Denn sie erhielt später anderweitig eine Niere.

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Kritiker des deutschen Organspende-Systems sind in Karlsruhe gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Verfassungsbeschwerde einer Frau nicht zur Entscheidung angenommen, die am Münchner Universitätsklinikum auf der Warteliste für eine Spenderniere stand - bis es zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen ihrem Ehemann und dem zuständigen Chirurgen kam. Als Konsequenz stufte der Arzt die Frau im August 2012 als "nicht transplantabel" ein, eine vertrauensvolle Behandlung sei nicht mehr möglich". Patienten mit dieser Einstufung werden bei der Organvergabe nicht berücksichtigt. 

Im März 2013 erhob sie Klage auf Feststellung, dass die Meldung als "nicht transplantabel" rechtswidrig gewesen sei. die das Verwaltungsgericht mit Hinweis auf ihr fehlendes Rechtsschutzinteresse als unzulässig abwies, weil sie im Dezember 2012 anderweitig eine Niere erhalten hatte.

Ihr Antrag auf Zulassung der Berufung hatte ebenso wenig Erfolg wie ihre Verfassungsbeschwerde, bei der sie u.a. vom Kölner Professor Wolfram Höfling vertreten wurde. Der Leiter der Kölner Forschungsstelle für das Recht des Gesundheitswesens ist bekannt als Kritiker des deutschen Transplantationssystems.   

Grundsatzentscheidung ausgeblieben

Auch er konnte aber nicht zu der erhofften Grundsatzentscheidung verhelfen. Für die Deutsche Stiftung Patientenschutz, welche die Verfassungsbeschwerde unterstützt hat, eine Enttäuschung. "Die Entscheidung hilft Betroffenen überhaupt nicht weiter", kritisierte Vorstand Eugen Brysch. Die Stiftung sieht den Fall als Beispiel dafür, dass Patienten auf der Warteliste nicht die vollen Bürgerrechte und keinen wirksamen Rechtsschutz bekämen.

Eben das bewerteten die Karlsruher Richter aber anders. Am Freitag wurde bekannt, dass sie das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz  aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht verletzt sehen. Die Fachgerichte durften ihr Rechtsschutzbegehren vom Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses abhängig machen, so die 2. Kammer des Ersten Senats (BVerfG, Beschl. v. 06.07.2016, Az. 1 BvR 1705/15).

Die 2. Kammer des Ersten Senats stellt auf ihre ständige Rechtsprechung zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse ab: Nur in bestimmten Ausnahmefällen kann ein  Rechtsschutzinteresse auch dann noch bestehen, wenn ein gerichtliches Verfahren gar nicht mehr dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen beendeten Eingriff zu beseitigen.

Kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse

Einen solchen Ausnahmefall sieht das BVerfG aber nicht: Der - ohnehin seltene - Fall, dass die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann, liege bei der damaligen Patientin nicht vor.

Die Karlsruher Richter stellen darauf ab, dass die Frau gegen die Einstufung als nicht transplantabel im verfügbaren Zeitraum anderweitig hätte wirksamen Rechtsschutz erlangen können. Sie hätte Klage erheben und gegebenenfalls einstweiligen Rechtsschutz  beantragen können. Dabei hätte sie, so das BVerfG, bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung auch dann einstweilen als transplantabel eingestuft werden müssen, wenn damit eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden gewesen wäre.

Den Einwand, dass unklar sei, vor welchem Gericht sie überhaupt (einstweiligen)  Rechtsschutz hätte beantragen müssen, lässt das BVerfG nicht gelten. Rechtsschutz werde durch Verweisung an das zuständige Gericht gewährt. Die Fachgerichte müssten in dringenden Fällen binnen kürzester Zeit Eilrechtsschutz gewähren und diesen auch bei unklarer Rechtsweglage durch Verweisung sicherstellen. Warum dies hier nicht möglich gewesen sein sollte, sei nicht ersichtlich.

Auch diesbezüglich hatten die Patientenvertreter sich von der Entscheidung aus Karlsruhe mehr erhofft. Damit bleibe auch künftig unklar, wohin sich Patienten zu wenden hätten, kritisierte Brysch. "Das betrifft nicht nur die 10.000 Menschen auf der Warteliste, sondern auch die Unzähligen, die erst gar nicht auf eine Warteliste kommen." Er forderte den Gesetzgeber auf, endlich Klarheit zu schaffen und einen Rechtsweg vorzuschreiben.

Mit Materialien von dpa

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Pia Lorenz, Nach Streit um Spenderniere: Kein Rechtsschutz gegen Einstufung als "nicht transplantabel" . In: Legal Tribune Online, 12.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20278/ (abgerufen am: 17.05.2022 )

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