BVerfG zum linksunten.indymedia-Verbot: Eine vertane Chance

von Dr. Markus Sehl

10.03.2023

Das BVerfG hat die Beschwerden von fünf Freiburgern nicht zur Entscheidung angenommen, die das BMI zu den Betreibern einer verbotenen Internetplattform zählt. Eine zentrale Frage der Pressefreiheit im Netz bleibt damit vorerst unbeantwortet.

Mit nur 17 Randnummern fällt die Entscheidung deutlich kürzer aus als sich das vier Männer und eine Frau aus Freiburg erhofft haben dürften. Knapp drei Jahren hatten sie auf die Entscheidung gewartet, die eine grundsätzliche Frage des Presserechts betrifft. Doch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Verfassungsbeschwerden der Freiburger nicht zur Entscheidung angenommen, die laut Bundesinnenministerium (BMI) für den Betrieb der als linksextremistisch eingestuften Plattform "linksunten.indymedia" verantwortlich sein sollen (Beschl. v. 01.02.2023, Az. 1 BvR 1336/20).

Die Internetseite galt nach Ansicht von Sicherheitsbehörden als das einflussreichste Medium der linksextremistischen Szene in Deutschland und als Forum für gewaltbereite Autonome. 2017 hatte das BMI unter Thomas de Maizière (CDU) nach Krawallen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg die Plattform verboten und sie vom Netz nehmen lassen. Auf der Webseite werde öffentlich zur Begehung von Gewaltstraftaten gegen Polizeibeamte und politische Gegner sowie zu Sabotageaktionen gegen staatliche und private Infrastruktureinrichtungen aufgerufen, begründete das BMI damals das Verbot. Das Verbot sorgte aber auch für Diskussionen über die Reichweite und den Schutz der Pressefreiheit.

Die Klagen gegen das Verbot hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) 2020 als zulässig, aber unbegründet abgewiesen – die Kernfrage aber juristisch ungeklärt gelassen: Zur Rechtmäßigkeit des Verbots der Plattform trafen die Richter damals keine Aussage. Hoffnungen ruhten daher auf den anschließenden Verfassungsbeschwerden.

Die Freiburger sind in diesen der Meinung, bei der linksunten.indymedia handele es sich um ein Nachrichten- und Kommunikationsportal, für welches auch der Schutz der Pressefreiheit aus dem Grundgesetz (GG) gelte. Das Verbot sei ausschließlich mit Medieninhalten begründet worden, so die Beschwerdeführer. Die Darstellung des BMI und des BVerwG, man habe mit dem auf das Vereinsrecht gestützten Verbot nicht vorrangig die Internetplattform, sondern die dahinter stehende Personenvereinigung treffen wollen, halten die Betroffenen für vorgeschoben. Die Verfassungsbeschwerden rügten deshalb eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) und hilfsweise der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG).

BVerfG lässt Ausführungen zur Pressefreiheit im Netz offen

Der Kammer des Ersten Senats fehlt es laut Beschluss jedoch an einer ausreichend substantiierten Begründung zu den laut den Freiburgern unrechtmäßig verletzten Grundrechten. Das Gericht findet klare Worte, offenbar hatten die Beschwerden nicht den richtigen Angriffspunkt formuliert: "Hier stützen die Beschwerdeführenden ihre Rügen jedoch im Wesentlichen darauf, dass nicht das Bundesverwaltungsgericht, sondern die Verbotsverfügung ihre Grundrechte verletze. Eine mögliche Grundrechtsverletzung gerade durch die gerichtlichen Entscheidungen wird damit nicht substantiiert.“ Die Beschwerden machten nicht deutlich, dass die Entscheidung des BVerwG die Betroffenen in ihren Grundrechten verletzt, so das BVerfG.

Damit wurde die Chance verpasst, zu einer ganzen Reihe spannender und richtungsweisender Verfassungsrechtsfragen zu entscheiden.

Eine Besonderheit des Klageverfahrens vor dem BVerwG war, dass die Kläger sich in einer kniffligen Situation wiederfanden. Um die Überprüfung des Verbots vor Gericht zu erreichen, mussten sie klagebefugt sein, also Mitglieder des Vereins bzw. durch das Vereinsverbot betroffen sein. Gleichzeitig wollten die Kläger keine strafrechtlichen Konsequenzen (129 StGB, Bildung einer kriminellen Vereinigung) riskieren und betonten in dem Verfahren, selbst nicht Mitglieder zu sein. Ihre Rechtsanwälte sahen sie in einer Rechtsschutzfalle.

Zu dieser Rechtsfrage enthält der Beschluss aus Karlsruhe nunmehr nur vage Andeutungen. "Die Annahme, dass weitere Angaben zu Handlungen in oder für die Vereinigung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Strafverfolgungsgefahr erhöhen würden, liegt daher zwar für sie wie auch für diejenigen Beschwerdeführenden, die keine Angaben zu etwaigen Strafverfahren gemacht haben, nicht ganz fern. Doch fließen Einlassungen im Verwaltungsprozess nicht ungefiltert in die Strafverfolgung ein." Insbesondere könnte auch ein strafprozessuales Verwertungsverbot greifen, so das BVerfG, sodass die Gefahr einer Selbstbelastung auf dem Weg vom Verwaltungsgericht in die Strafverfolgung ausgeschlossen sein könnte.

Zu der spannendsten Frage enthält der Beschluss sogar nur einen Satz. Es ist der Schlusssatz, und er klingt fast ein wenig bedauernd: "Über die Frage, welche Grundrechte diejenigen schützen, die ein wie hier organisiertes Internetportal betreiben, ist damit nicht zu entscheiden." Die Frage, wie weit also der Schutz der Pressefreiheit für – auch aktivistisch betriebene - Internetportale reicht, ist damit erst einmal wieder aufgeschoben. Angesichts zahlreicher neuer Formate im Netz eine verpasste Chance.

Prozessvertreter: "BVerfG zieht sich mit Formalia aus der Affäre"

"Es ist bedauerlich, dass sich auch das Bundesverfassungsgericht nicht inhaltlich mit dem Verbot auseinandersetzt, sondern sich mit Formalia aus der Affäre zieht", sagt der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune, einer der Prozessbevollmächtigten in den Verfahren. "Immerhin stärkt die Entscheidung Beschuldigtenrechte, indem sie ein Beweisverwertungsverbot für Angaben von Beschuldigten in Verwaltungsverfahren ins Spiel bringt."

"Das Bundesverfassungsgericht lässt Zweifel an der Rechtsschutzverweigerung durch das Bundesverwaltungsgericht erkennen", sagt David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrecht (GFF). Die NGO hatte sich an dem BVerwG-Verfahren mit einem sog. amicus curiae beteiligt, ihre Rechtsauffassung also dem Gericht unaufgefordert zur Verfügung gestellt. "Die zentrale Frage, ob das Verbot eines Mediums nach Vereinsrecht mit der Pressefreiheit vereinbar ist, lässt es aber leider offen", so Werdermann. "Statt gegen einzelne rechtswidrige Beiträge vorzugehen, wurde ein missliebiges Medium vollständig abgeschaltet - ein krasser Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz."

Der nächste Fall: Durchsuchung bei einem Freiburger Radiosender wegen Verlinkung

Mit der Entscheidung des BVerfG ist die Geschichte um das Verbot der linksunten.indymedia-Plattform aber noch nicht ganz zu Ende. Mitte Januar 2023 durchsuchte die Polizei beim alternativen Freiburger Sender "Radio Dreyeckland". Der Grund dafür war ein verlinkter Hinweis auf das öffentlich zugängliche Archiv von linksunten.indymedia. Dieser Verweis wurde von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vorerst als Unterstützung einer verbotenen Vereinigung eingestuft.

"Der krasse Grundrechtseingriff des Verbots wirkt bis heute, also sechs Jahre nach dem Verbot, fort: Die jüngsten Durchsuchungen bei Radio Dreyeckland, die mit einem Link auf das Archiv von linksunten.indymedia begründet wurden, knüpfen nahtlos daran an", sagt Werdermann von der GFF, die den Sender bei einer Beschwerde gegen die Durchsuchung unterstützt. „Erst missbraucht das Bundesinnenministerium das Vereinsrecht, um ein Online-Medium zu verbieten. Jetzt wird die Kritik daran kriminalisiert."

Die Rechtmäßigkeit des Verbots von linksunten.indymedia werde in dem neuen Verfahren aber nicht noch einmal überprüft, sagt Werdermann Es gehe dann vor allem um die Frage, ob das Archiv eine "weitere Betätigung" der verbotenen Vereinigung ist und ob die Linksetzung eine Unterstützungshandlung darstellt.

Zitiervorschlag

BVerfG zum linksunten.indymedia-Verbot: . In: Legal Tribune Online, 10.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51284 (abgerufen am: 01.12.2024 )

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