Werden Medienhäusern vor Gericht wesentliche Verfahrensrechte verwehrt, so können sie ohne Umwege Verfassungsbeschwerde erheben, sagt das BVerfG. Martin W. Huff bewertet den Beschluss.
Bei manchen Gerichten ist es gängige Praxis, sich bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor der Entscheidung mit dem Antragsteller – ohne Beteiligung des Antragsgegners – auszutauschen. Dabei drängen sie z. B. auf bestimmte Klarstellungen oder Ergänzungen. Nicht immer werden diese Gespräche für den Gegner nachvollziehbar dokumentiert. Es ergeht dann eine einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung und die andere Partei weiß oftmals nichts über die Vorgeschichte.
Diese Praxis hat jetzt das Nachrichtenmagazin Spiegel in insgesamt zwei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgegriffen und dabei Vorwürfe gegen die Pressekammer des Landgerichts (LG) Hamburg erhoben. Das BVerfG wies die Anträge des Verlags ab, stärkte in seinen Ausführungen aber auch die Rechtsschutzmöglichkeiten für betroffene Medien (Beschl. v. 25.7.2017, Az. 1 BvQ 16/17 u.a.).
Spiegel rügt verdeckte Hinweise an Antragsteller
Aufgrund von Berichterstattungen des Spiegels Ende 2016/2017 forderten verschiedene von der Berichterstattung betroffene Bürger und Verbände bei der Pressekammer des LG im Wege der einstweiligen Verfügung die Unterlassung der Verbreitung bestimmter Passagen der beanstandeten Artikel.
Die einstweiligen Verfügungen ergingen dreieinhalb bzw. fünf Wochen nach Antragstellung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung und ohne dass dem Nachrichtenmagazin die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden wäre.
Der Spiegel behauptet, dass den Antragstellern zuvor Hinweise von Seiten der Kammer des Landgerichts erteilt worden seien, von denen man aber nicht unterrichtet worden sei. Dadurch sah sich das Magazin in wichtigen Verfahrensrechten verletzt.
Gegen die Ablehnung der Anträge auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den einzelnen Verfügungen legte der Spiegel-Verlag Verfassungsbeschwerde ein. Er argumentierte, dass durch die lange Verfahrensdauer bis zum Erlass der einstweiligen Verfügungen und die Nichtinformation über die Gespräche die prozessuale Waffengleichheit, der Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und die Grundsätze des fairen Verfahrens verletzt worden seien.
2/2: Deutliche Kritik aus Karlsruhe
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden und die damit verbundenen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig abgewiesen. So habe das Landgericht mittlerweile in beiden Verfahren mündlich verhandelt und durch Urteil entschieden. Damit sei das Rechtsschutzinteresse entfallen. Auch sei dadurch die mögliche Grundrechtsverletzung durch das nicht gewährte rechtliche Gehör geheilt.
Neu ist allerdings, dass das BVerfG grundsätzlich die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde in Bezug auf die Verletzung der Rechte auf prozessuale Waffengleichheit und ein faires Verfahren sieht, obwohl der Instanzenzug noch nicht ausgeschöpft ist. Wenn ihm vom Landgericht bewusst und ohne sachlichen Grund das rechtliche Gehör verwehrt wird, während es zugleich dem Antragsteller verdeckt telefonische Hinweise erteilt, kann der Verlag dies sofort im Wege der Verfassungsbeschwerde rügen. Durch die Ausschöpfung des Instanzenzuges könnte die geltend gemachte Grundrechtsverletzung nicht mehr beseitigt werden.
In dem konkreten Fall war die Verfassungsbeschwerde allerdings verfristet, weil sie einen Monat nach Erlass der einstweiligen Verfügung hätten eingereicht werden müssen.
Gerichte müssen Absprachen dokumentieren
Die Karlsruher Richter kritisieren in ihren Beschlüssen deutlich eine durchaus verbreitete Praxis in einstweiligen Verfügungsverfahren. Zum einen wird zwischen den Zeilen die lange Verfahrensdauer moniert: Eigentlich sollte eine Entscheidung über einen Verfügungsantrag innerhalb weniger Tage ergehen, wenn keine mündliche Verhandlung durchgeführt wird, ansonsten aber innerhalb von maximal ein bis zwei Wochen.
Die lange Verfahrensdauer bis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung scheint dem BVerfG durchaus ein Dorn im Auge zu sein, zumindest sind dann Zweifel an der Dringlichkeit als Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung angebracht.
Sehr deutlich wird aber, dass die Gerichte verpflichtet sind, Absprachen und Diskussionen mit dem Antragsteller nachweisbar für den Antragsgegner zu dokumentieren und ihm unter Umständen ausdrücklich Gelegenheit zur Stellungnahme vor Erlass einer einstweiligen Verfügung zu geben.
Insgesamt erweitert dieser Beschluss die Rechtsschutzmöglichkeiten gerade der Medien, aber auch von Unternehmen in einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung, und verpflichtet gerade die Landgerichte erster Instanz zur Einhaltung der entsprechenden Verfahrensgrundsätze. Insoweit ist die Entscheidung der Karlsruher Richter ausdrücklich zu begrüßen.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Legerlotz Laschet Rechtsanwälte in Köln und Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln.
Martin W. Huff, BVerfG stärkt Rechtsschutz von Medienhäusern: Absage an gerichtliche Absprachen . In: Legal Tribune Online, 25.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23613/ (abgerufen am: 09.12.2023 )
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