Das BVerfG hat Eckpfeiler für die innerkapazitäre Studienplatzvergabe eingeschlagen, erläutert Arne-Patrik Heinze. Der Numerus Clausus aber bleibt – und einfacher, an ein Medizinstudium heranzukommen, wird es auch nicht automatisch.
Der Numerus Clausus im Studiengang Medizin bleibt bestehen, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Dienstag entschieden (Urt. v. 19.12.2017, Az. 1 BvL 3/14 und 1 BvL 4/14). Die Karlsruher haben jedoch nach der Vorlage der Gelsenkirchener Verwaltungsrichter zur bisherigen Vergabepraxis grundlegende Veränderungen für diese gefordert. So sind die bundes- und landesrechtlichen Vorschriften zur Vergabe von Studienplätzen in der Humanmedizin nach Auffassung des BVerfG partiell nicht mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar.
Im Kern muss der Gesetzgeber wegen des bei der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG geltenden einfachen Gesetzesvorbehalts Wesentliches selbst regeln. In wesentlichen Bereichen ist er – in besonderem Maß in Hamburg und Bayern – dieser Pflicht aber nicht hinreichend nachgekommen: Der Gesetzgeber hat den Universitäten zu viele Regelungsspielräume belassen, die mit der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar sind. Das befanden die Karlsruher Richter.
Dabei stellte das BVerfG seine Forderungen entsprechend den einzelnen Vergabequoten auf, nach denen die Studienplätze für die Humanmedizin verteilt werden, also nach den besten Abiturnoten (20 Prozent), nach dem universitären Auswahlverfahren (60 Prozent) sowie nach der verstrichenen Wartezeit (20 Prozent). Bestimmte Eignungskriterien oder Kriterienkombinationen zur Vergabe der Studienplätze hat das BVerfG dem Gesetzgeber in seiner Entscheidung zwar nicht vorgegeben. Allerdings müssten sich die vom Gesetzgeber herangezogenen Kriterien auf das konkrete Studienfach und auf typischerweise anschließende berufliche Tätigkeiten zu beziehen.
Vorgaben zur Studienplatzvergabe nach der Abiturbestenquote
Verfassungskonform ist die Vergabe von 20 Prozent der Studienplätze anhand der Abiturnote schon. Verfassungswidrig ist es nach der Entscheidung jedoch, innerhalb dieser Vergabequote primär auf die obligatorisch anzugebenden Ortswünsche abzustellen und somit das eigentliche Vergabekriterium - nämlich die Abiturnote - zu überlagern. Die Wunschstudienorte, die die Bewerber nach Präferenz absteigend bei der Vergabe nach der Abiturnote angeben müssen, sei nämlich kein primär sachliches Eignungskriterium, sondern allenfalls ein Sekundärkriterium.
Um insoweit die Gleichbehandlung zu gewährleisten, sei auch die Beschränkung der Angabe von lediglich sechs Studienorten bei der Stiftung Hochschulstart, über die sich die Absolventen bewerben müssen, unzulässig. Den Einwand, dass die Studienplatzvergabe über das Hochschulstart-Portal verfahrensökonomisch gehalten werden müsse, ließen die Karlsruher Richter nicht gelten: Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe sei das jedenfalls kein geeignetes Kriterium, um die Zulässigkeit der Beschränkung auszuwählender Universitäten zu rechtfertigen.
Diese von den Karlsruhern verlangte Änderung des Bewerbungssystems wird Studienplatzklagen für den Fachbereich Medizin deutlich erleichtern, weil bereits im Vorfeld der Bewerbung bei der Stiftung Hochschulstart vielfältige strategische Überlegungen im Hinblick auf eine spätere Studienplatzklage möglich sind. Beispielsweise war es bisher sinnvoll, die Zahl der für eine außerkapazitäre Studienplatzklage ausgewählten Universitäten im Hinblick auf die innerkapazitäre Bewerbung, die von Ortspräferenzen geprägt war, zu begrenzen. Zukünftig wird kann es sinnvoll sein, eine größere Zahl von Universitäten für eine Studienplatzklage auszuwählen.
Vorgaben zur Studienplatzvergabe im Auswahlverfahren der Universitäten
Die Vergabe der Studienplätze nach den jeweiligen Auswahlverfahren der Universitäten (60 Prozent) erfolgt derzeit aus Sicht des BVerfG in mehreren Punkten verfassungswidrig. Da Wesentliches durch den Gesetzgeber geregelt werden müsse, sei es verfassungswidrig, wenn der Gesetzgeber es etwa wie in Hamburg und Bayern den Universitäten überlässt, weitere – nicht gesetzlich geregelte – eigene Auswahlkriterien festzulegen. Aus Gründen der Bestimmtheit und der Wesentlichkeit soll der Gesetzgeber den Hochschulen künftig vorgeben, die Eignungsprüfungsverfahren der Gleichbehandlung wegen zukünftig standardisiert sowie strukturiert durchzuführen und vor dem Studium gewonnene berufliche Kenntnisse zu berücksichtigen. Der jeweilige Gesetzgeber müsse transparente Regeln schaffen, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten. In Studierfähigkeitstests und Gesprächen dürfe es nur auf die Eignung des Kandidaten ankommen.
Den Universitäten wird damit zukünftig nur noch ein geringer Ausgestaltungsspielraum verbleiben. Sogar für den Rahmen dieses verbliebenen Spielraumes haben die Karlsruher entschieden, dass bei diesen Vorauswahlverfahren die Ortspräferenz wie bereits bei der Vergabe nach Abiturbestenquote nicht primär entscheidend sein darf. Sie soll nur ausnahmsweise und nur bei anschließender Durchführung eines individualisierten Auswahlverfahrens verfassungskonform sein und höchstens für eine begrenzte Zahl der im universitären Auswahlverfahren vergebenen Studienplätze herangezogen werden.
Soweit der Gesetzgeber den Universitäten gestatten will, in ihrem eigenen Auswahlverfahren die Abiturnote zu berücksichtigen, muss dazu aus Gründen der Gleichbehandlung die länderübergreifende Vergleichbarkeit der Abiturnoten gewährleistet werden – wie bei der Vergabe nach Abiturbestnote auch, befand das Bundesverfassungsgericht. Selbst dann dürfe sie im Auswahlverfahren der jeweiligen Universität zukünftig allenfalls rudimentär mit in die Bewertung einfließen, weil sie bereits bei der Vergabe nach Abiturbestenquote maßgeblich sei. Das BVerfG will also nicht, dass die Abiturnote quasi "doppelt" zählt.
2/2: Vorgaben zur Studienplatzvergabe nach der Wartezeit
Das Verfassungsgericht entschied zudem, dass auch weiterhin nicht mehr als 20 Prozent der Studienplätze nach der Wartezeit vergeben werden dürfen. Auch hierbei sei die Begrenzung der Zahl der anzugebenden Studienorte sachlich nicht gerechtfertigt, unverhältnismäßig und daher verfassungswidrig. Da auch eine unbegrenzte Wartezeit nicht mit den Grundrechten vereinbar sei, bedürfe es einer zeitlichen Begrenzung. Dabei geht das BVerfG bewusst davon aus, dass dies dazu führen kann, dass viele Studienplatzbewerber über die Warteliste keinen Platz erhalten werden.
Die zeitliche Begrenzung der Wartezeit ist für Studieninteressierte der Medizin nachteilig, weil sie nicht nach langer Wartezeit letztlich sicher einen Platz erhalten werden. Das wird nach Ausgestaltung durch den Gesetzgeber dazu führen, dass früher oder später keine hinreichende Zahl von Studienplätzen innerhalb der festzusetzenden Wartezeit verfügbar sein wird. Bewerber, die dann "zu kurz kommen", sind dann gezwungen, über die Vergabe des universitären Auswahlverfahrens und gegebenenfalls letztendlich über eine Studienplatzklage einen Studienplatz für die Medizin zu erhalten.
Guter Schritt, aber noch lange nicht fair
Insgesamt ist die Entscheidung des BVerfG ein positives Signal für Studieninteressierte, auch wenn der Numerus Clausus wie erwartet bestehen bleibt. Zwar haben sich die Karlsruher Richter im Wesentlichen auf das konkrete Verfahren beschränkt und praktische Probleme bei der Verfolgung einer Studienplatzklage, wie etwa die künstliche Aufsplittung der Studienplatzklagen durch die Gerichte, darin nicht bedacht. Allerdings haben sie dem Gesetzgeber für die innerkapazitäre Vergabe der Medizin-Studienplätze einige erhebliche Probleme aufgezeigt, die dieser künftig angehen muss. Grundlegende Veränderungen werden sich vor allem daraus ergeben, dass eine Begrenzung der Studienorte nebst Ortspräferenz bei der Bewerbung nach der Entscheidung vom Dienstag verfassungswidrig ist. Das erweitert die strategischen Möglichkeiten der Studienplatzklagen Medizin innerkapazitär und außerkapazitär erheblich.
Damit ist es auch nicht nur dem einfachen Gesetzgeber allein überlassen, die Breite der Bewerbungskriterien zu bestimmen. Breit angelegte Bewerbungskriterien sind nunmehr sogar verfassungsrechtlich geboten. Sollte er dabei weiterhin vornehmlich auf die Abiturbestenquote und die Auswahlverfahren der Hochschulen als Kriterien abstellen, sind diese Auswahlverfahren künftig transparent, breit und eben ausdrücklich nicht nur schulnotenorientiert auszugestalten.
So werden die neuen verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG für das universitäre Auswahlverfahren dazu führen, dass die Hochschulen nunmehr nicht mehr intransparent in nahezu willkürlicher Weise nach eigenen Kriterien agieren können. Die in Karlsruhe geforderte Transparenz bedeutet für Studienplatzklagen bessere Aussichten auf Erfolg, weil Fehler im Rahmen der innerkapazitären Auswahlverfahren leichter aufgedeckt werden können.
Die Begrenzung der Wartezeit dürfte sich wegen der seitens des BVerfG formulierten Einschränkung in der Praxis jedoch eher nachteilig für die Studieninteressierten auswirken: Sie werden, sobald "ihre Zeit abgelaufen" ist, über die universitären Auswahlverfahren versuchen müssen, einen Studienplatz in der Medizin zu ergattern – und dabei nicht selten gezwungen sein, den Rechtsweg zu beschreiten.
Der Autor Dr. Arne-Patrik Heinze ist als Rechtsanwalt für Studienplatzklagen, Verfassungsbeschwerden und Prüfungsanfechtungen sowie als wissenschaftlicher Fachautor aktiv. Zudem ist er bundesweit als Dozent im Öffentlichen Recht im kommerziellen Sektor sowie an Hochschulen tätig.
Arne-Patrik Heinze, BVerfG zum Numerus Clausus in der Humanmedizin: Fair wird es noch lange nicht . In: Legal Tribune Online, 19.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26107/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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