Druckversion
Montag, 3.11.2025, 14:38 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/bverfg-1BvR27617-eu-grundrechte-recht-auf-vergessen-suchmaschine-interview
Fenster schließen
Artikel drucken
38933

BVerfG zu "Recht auf Vergessen" bei Suchmaschinen: In Karls­ruhe steht auch ein EU-Grund­rechte-Gericht

von Dr. Markus Sehl

27.11.2019

Google-Suche

© Goodpics - stock.adobe.com

Erstmals prüft das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde allein an EU-Grundrechten. Eine Unternehmerin scheitert in Karlsruhe mit dem Versuch, ein mit ihr geführtes Interview zu "fiesen Arbeitgebertricks" verschwinden zu lassen.

Anzeige

Während es in der Entscheidung "Recht auf Vergessen I" um einen Rechtstreit zwischen einem verurteilten Mörder und dem Spiegel-Online-Archiv ging, hatten die Richter des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch noch über eine Verfassungsbeschwerde zu entscheiden, die einen Streit zwischen Betroffenem und einem Suchmaschinenbetreiber betraf.

Bei diesem Streit ging es anders als bei "Recht auf Vergessen I" um eine Rechtsmaterie, die vollständig unionsrechtlich vereinheitlicht ist. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat deshalb die Charta der Grundrechte der Europäischen Union angewandt und eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Celle zurückgewiesen (Beschl. v. 6. November 2019, Az. 1 BvR 276/17).

Eine Frau verlangte vom Suchmaschinenbetreiber Google, die Verknüpfung ihres Namens mit einem Beitrag des Norddeutschen Rundfunks (NDR) aus dem Jahr 2010 aufzuheben. Sie hatte für den Beitrag des Magazins "Panorama" mit dem Titel "Kündigung: Die fiesen Tricks der Arbeitgeber" ein Interview gegeben. Der Beitrag stellte die Kündigung eines damaligen Mitarbeiters eines Unternehmens dar, das sie als Geschäftsführerin leitete (Az. 1 BvR 276/17).

Erstmals wird Verfassungsbeschwerde allein an EU-Grundrechten geprüft

Die Beschwerdeführerin verwahrt sich gegen die Nennung des Begriffs "fiese Tricks" in der Überschrift des Suchergebnisses. Sie habe solche Tricks niemals angewandt. Das Suchergebnis rufe eine negative Vorstellung über sie als Person hervor.

Wie der Erste Senat zum ersten Mal ausdrücklich feststellt, kontrolliert das BVerfG selbst die Anwendung des Unionsrechts durch deutsche Stellen am Maßstab der Unionsgrundrechte. Und zwar dann, wenn bei unionsrechtlich voll determinierter Rechtsmaterie kein Raum mehr für die Prüfung anhand der Grundrechte aus dem GG verbleibt.

Anders als in der berühmten Solange II-Entscheidung des BVerfG geht es nicht um die Verwerfung von Unionsrecht – eine Aufgabe die allein dem EuGH vorbehalten sein soll. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde der Frau im Streit mit dem NDR ist aber die Kontrolle einer Entscheidung eines deutschen Fachgerichts daraufhin, ob es bei der ihm obliegenden Anwendung des Unionsrechts die Anforderungen der EU-Grundrechtecharta ausreichend beachtet hat.

Hier sieht sich das BVerfG in einer Prüfungsverantwortung sozusagen im Namen des Unionsrechts. Und es will damit auch eine Schutzlücke schließen. Denn wer glaubt, durch deutsche Fachgerichte in Unionsgrundrechten verletzt zu sein, kann das nicht unmittelbar vor dem EuGH geltend machen. An dieser Stelle sucht sich das BVerfG nun einen Platz, um in Zukunft bei der Prüfung von Unionsgrundrechte in Europa selbst mitzureden.

Für seine neuen Ausführungen habe es keiner Entscheidung des Plenums aller Verfassungsrichter nach § 16 BVerfGG gebraucht. Der Erste Senat sieht sich damit nicht in Abweichung zu Rechtsauffassungen des Zweiten Senats. Letzterer hatte die Solange II-Entscheidung getroffen. 

Sieben Jahre nach Veröffentlichung? Zu früh für Recht auf Vergessen

Die Verfassungsbeschwerde der Unternehmerin sehen die Richter als unbegründet. Die Durchführung der Abwägung durch das OLG Celle beanstandeten sie nicht.

Die Beschwerdeführerin kann für sich die Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 7 GrCh und auf Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 GrCh in Anspruch nehmen. Auf der Seite des Suchmaschinenbetreibers zählt die unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GrCh. Nicht berufen könne sich die Suchmaschine beim Verbreiten von Suchnachweisen allerdings auf die Meinungsfreiheit nach Art. 11 GrCh. Aber bei der Prüfung seien auch die Grundrechte Dritter zu berücksichtigen, insbesondere die der Inhalteanbieter selbst, um deren gesuchte Veröffentlichungen es geht. Sowie das öffentliche Zugangsinteresse der Internetnutzer. Auch sie tragen quasi die zunächst ausgeklammerte Meinungsfreiheit wieder mittelbar in die Abwägung hinein.

Deshalb beanstandet das BVerfG auch nicht, wenn das OLG für die Frage der Listung durch die Suchmaschine vor allem auf die Gründe abstellt, warum die Veröffentlichung des NDR-Beitrags im Netz zulässig sein soll. Dabei spielte es etwa eine Rolle, dass es mit dem Thema Kündigungsschutz um ein Thema von allgemeinem Interesse geht und die Unternehmerin zu dem Interview auch ihre Zustimmung gab, also von den Journalisten nicht etwa überrumpelt wurde.

Die Besonderheit des Falls liegt aber – wie auch in der Entscheidung "Recht auf Vergessen I" im Faktor des Zeitablaufs. Wie lange muss die Frau erdulden, dass das Interview mit ihrem Namen im Netz auffindbar bleibt? Das OLG hatte entschieden, dass es für eine "Auslistung" zum gegenwärtigen Zeitpunkt – sieben Jahre später – noch zu früh sei. Das öffentliche Interesse an dem Thema bestehe fort und die Frau sei auch weiterhin als Unternehmerin tätig. Mit diesem Abwägungsergebnis waren die Richter des Ersten Senats zufrieden. Sie entspreche hinreichend den Garantien der europäischen Grundrechte-Charta.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

BVerfG zu "Recht auf Vergessen" bei Suchmaschinen: . In: Legal Tribune Online, 27.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38933 (abgerufen am: 09.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Staatsrecht und Staatsorganisationsrecht
    • Datenschutz
    • Datenschutz
    • Google
    • Internet
    • Online-Services
    • Recht auf Vergessenwerden
  • Gerichte
    • Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
Mann fotografiert einen Falschparker mit seinem Smartphone. 06.11.2025
Datenschutz

Vom Hilfssheriff zum Datensünder:

Falsch­parker-Melder muss 100 Euro Scha­dens­er­satz zahlen

Ein Mann meldet per App einen Falschparker – und schießt dabei übers Ziel hinaus. Weil er auch den Beifahrer fotografierte, muss er 100 Euro Schadensersatz und die gegnerischen Anwaltskosten von über 600 Euro zahlen, so das OLG Dresden.

Artikel lesen
Polizeibeamte stehen vor der Tür eines Hanauer Wohnhauses (Symbolbild) 28.10.2025
Durchsuchung

Äußerungsdelikte im Internet:

Wann sind Haus­durch­su­chungen zulässig?

Sowohl beim Habeck-Meme als auch bei Bolz ordnete der Ermittlungsrichter eine Hausdurchsuchung an. Ist das bei Äußerungsdelikten verhältnismäßig? Was erhoffen sich Ermittler davon? Und macht eine Abwendungsbefugnis einen Unterschied?

Artikel lesen
Eine Person füllt eine Online-Maske für eine Fluggastrechte-Klage am Laptop aus 21.10.2025
Zivilprozess

Online-Verfahren für die Zivilgerichtsbarkeit:

Im Schne­cken­tempo ins digi­tale Zei­talter

Die Bundesregierung plant die Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens für die Zivilgerichtsbarkeit. Der Gesetzentwurf enthält gute Ansätze, doch wer wirklich vorankommen will, muss mutiger sein, meint Giesela Rühl.

Artikel lesen
US-Vizepräsident J.D. Vance (L) neben Präsident Donald Trump 21.10.2025
USA

In einem datenschutzrechtlichen Fall:

LG Bonn nennt US-Regie­rung "auto­k­ra­tisch bis faschis­tisch"

Weltweit gibt es durchaus scharfe Kritik an der Trump-Regierung. Nun sah sich auch ein deutsches Landgericht veranlasst, einmal zur Grundsatzkritik auszuholen – seit Snowden hätten die USA "wenig bis gar nichts dazugelernt".

Artikel lesen
Mehrere Menschen schauen sich Auftritte von Landespolitikern in sozialen Netzwerken auf ihren Mobiltelefonen an 10.10.2025
Wahlen

EU-Regeln zu kompliziert:

Keine poli­ti­sche Wer­bung mehr auf Ins­ta­gram & Co.

Wer zu Wahlkampfzeiten auf Instagram & Co. unterwegs ist, kommt an politischer Werbung kaum vorbei. Doch das wird zukünftig wohl anders sein: Meta kündigte an, keine Parteienwerbung mehr anzuzeigen. Grund dafür sind neue EU-Regeln.

Artikel lesen
Das Bild zeigt verschiedene App-Symbole auf einem iPhone, einschließlich des App Stores, der im Kontext des DMA wichtig ist. 25.09.2025
Apple

Mehr Pornografie und Malware auf iPhone und iPad?:

Apple stört sich am DMA, EU-Kom­mis­sion bleibt gelassen

Apple sieht sich durch den Digital Markets Act benachteiligt. Der sorge nicht für mehr Wettbewerb, sondern für schlechtere Geräte. Die EU-Kommission gibt Kontra.

Artikel lesen
lto karriere logo

LTO Karriere - Deutschlands reichweitenstärkstes Karriere-Portal für Jurist:innen

logo lto karriere
Jetzt registrieren bei LTO Karriere

Finde den Job, den Du verdienst 100% kostenlos registrieren und Vorteile nutzen

  • LTO Job Matching: Finde den Job & Arbeitgeber, der zu Dir passt.
  • Jobs per Mail: Verpasse keine neuen Job-Angebote mehr.
  • One-Klick Bewerbung: Dein Klick zum neuen Job, einfach und schnell.
Das Passwort muss mindestens 8 Zeichen lang sein und mindestens einen Großbuchstaben, einen Kleinbuchstaben, eine Zahl und ein Sonderzeichen enthalten (z.B. #?!@$%^&*-).
Pflichtfeld *

Nur noch ein Klick!

Wir haben Dir eine E-Mail gesendet. Bitte klicke auf den Bestätigungslink in dieser E-Mail, um Deine Anmeldung abzuschließen.

Weitere Infos & Updates einfach und kostenlos direkt ins Postfach.

LTO Karriere Newsletter

Das monatliche Update mit aktuellen Stellenangeboten & Karriere-Tipps.

LTO Daily

Jeden Abend um 18 Uhr die wichtigsten News vom Tag.

LTO Presseschau

Jeden Morgen um 7:30 Uhr die aktuelle Berichterstattung über Recht und Justiz.

Pflichtfeld *

Fertig!

Um die kostenlosen Nachrichten zu beziehen, wechsle bitte nochmal in Dein Postfach und bestätige Deine Anmeldung mit dem Bestätigungslink.

Du willst Dein Bewerberprofil direkt anlegen?

Los geht´s!
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Gleiss Lutz
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) Ja­pan-Team

Gleiss Lutz , Düs­sel­dorf

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
As­so­cia­tes / Di­gi­tal-, IT- & Da­ten­schutz­recht

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Mün­chen

Logo von HÄRTING Rechtsanwälte PartGmbB
Rechts­an­wäl­tin­nen / Rechts­an­wäl­te (m/w/d) mit Schwer­punkt IT-Recht oder...

HÄRTING Rechtsanwälte PartGmbB , Ber­lin

Logo von REDEKER SELLNER DAHS
Re­fe­ren­da­rin/​Re­fe­ren­dar (m/​w/​d) Straf­recht

REDEKER SELLNER DAHS , Bonn

Logo von Gleiss Lutz
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) Ja­pan-Team

Gleiss Lutz , Mün­chen

Logo von DLA Piper UK LLP
Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter (m/w/x) im Be­reich Da­ten­schutz­recht

DLA Piper UK LLP , Ham­burg

Logo von Deutscher Landkreistag
Voll­ju­rist/in (m/w/d)

Deutscher Landkreistag , Ber­lin

Logo von Gleiss Lutz
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) Ja­pan-Team

Gleiss Lutz , Ham­burg

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
§ 15 FAO - Krisenprävention, Insolvenzreifeprüfung und Haftungsszenarien

17.11.2025, Hamburg

Logo von AnwaltVerein Stuttgart e.V. | AnwaltService Stuttgart GmbH
Baden-Württembergischer Mietrechtstag 2025

18.11.2025

Digitale Kamingespräche: Wie arbeitet man eigentlich im DFG-Fachkollegium Privatrecht?

19.11.2025

§ 15 FAO - AGB- und Vertragsrecht für Praktiker:innen

18.11.2025, Hamburg

Logo von FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG
Hoch hinaus und großes Spiel: Privates Baurecht am Beispiel von Hochhäusern und Fußballstadien

27.11.2025, Frankfurt am Main

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH