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BVerfG zu "Altanschließern": Abwasser im Rechts­staat

von Dr. Christian Rath

11.08.2020

Wasserhahn

© alexanderuhrin - stock.adobe.com

Das BVerfG beendet einen langen Nach-Wende-Rechtsstreit mit ostdeutschen Grundstückseigentümern.Und muss dieses Mal Hoffnungen enttäuschen.

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Zehntausende Grundstückseigentümer in Ostdeutschland müssen die Hoffnung aufgeben, die - aus ihrer Sicht illegitimen - Kosten für den Anschluss an Wasser- und Abwasserversorgung zurückzubekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt in einem Musterfall eine entsprechende Klage abgewiesen (BVerfG, Beschl. v.01.07.2020, Az. 1 BvR 2838/19).

Die Freien Wähler Brandenburg, die die Interessen der Betroffenen vertreten, verdanken nicht zuletzt diesem Thema den Einzug in den Potsdamer Landtag. Doch der inzwischen jahrzehntelange Rechtstreit ist so kompliziert, dass ihn kaum mehr jemand versteht - und die neue Karlsruher Entscheidung dürfte die Akzeptanz bei den Betroffenen nicht erhöht haben. In Ostdeutschland kennt man das Problem als "Altanschließer"-Problematik.

Überdimensionierte Kläranlagen

Das Problem entstand, als nach der Wende in Brandenburg zu viele und zu groß dimensionierte Kläranlagen gebaut wurden. Weil das Bundesland dünn besiedelt ist, verlangten die Abwasserverbände von den Grundstückseigentümern nun Anschlusskosten in Höhe von teilweise mehreren tausend Euro. Eigentümer, die schon zu DDR-Zeiten an die Kanalisation angeschlossen waren (die sog.Altanschließer), wollten deshalb für die neuen Anlagen nicht zahlen.

Es gab lange Gerichtsverfahren. Die meisten Satzungen der Abwasserverbände wurden für unwirksam erklärt. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Brandenburg (Urt. v.08.06.2000, Az. 2 D 29/98.NE) waren viele Kostenbescheide verjährt, weil die Verjährung ab Beschluss einer Satzung zu laufen beginne, auch wenn diese unwirksam ist.

In dieser verfahrenen Situation beschloss der Brandenburger Landtag 2003 eine hoch umstrittene Änderung des Kommunalabgabengesetzes (KAG). Nach dem geänderten § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG sollte die Verjährung erst mit Beschluss einer "rechtswirksamen" Satzung beginnen. Folge: Viele Kostenbescheide galten nun doch nicht als verjährt. Doch 2015 entschied das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 12.11. 2015, Az. 1 BvR 2961/14), die KAG-Änderung führe zu einer rechtsstaatlich unzulässigen Rückwirkung.

Nur die Hälfte bekommt Beiträge zurück

Nach dem Karlsruher Beschluss von 2015 erhielten aber nur diejenigen ihre Beiträge zurück, die bis zuletzt Widerspruch eingelegt und geklagt hatten. Die anderen gingen leer aus. Deshalb klagten diese nun auf Schadensersatz gegen die Abwasserverbände. Laut TV-Sender rbb umfassten beide Gruppen rund 80.000 Personen.

Im Juni 2019 kam der Bundesgerichtshof dann aber zu dem völlig überraschenden Ergebnis, dass die Kostenbescheide doch nicht verjährt warenund die problematisch-rückwirkende KAG-Änderung völlig unnötig war(BGH, Urt. v, 12.06.2019, Az. III ZR 93/18). Dem folgte im November 2019 das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg (Urt. v. 19.11.2019, Az. 2 U 21/17) und lehnte deshalb den Anspruch der verbliebenen Altanschließer auf Rückzahlung ihrer geleisteten Beiträge ab.

Natürlich riefen die Betroffenen wieder das Bundesverfassungsgericht an. Sie sahen sich in ihrem Grundrecht auf Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verletzt.

Brandenburger Gerichte durften verschieden entscheiden

Diesmal hatten die Altanschließer in Karlsruhe aber keinen Erfolg. So sah das BVerfGdie Bindungswirkung gem. 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) seines Beschlusses von 2015 nicht verletzt. Denn die Wirkung beziehe sich nur auf die konstatierte unzulässige Rückwirkung, nicht auf die einfach-rechtliche Frage, wann ein Kostenbescheid verjähre. Der BVerfG-Beschluss erging zwar auf Grundlage der Rechtsauffassung des OVG Brandenburg, dass die Kostenbescheide bereits verjährt seien. Dies hindere aber nicht das OLG Brandenburg, einfachrechtlich zu einem anderen Ergebnis zu kommen.

Das OLG Brandenburg sei auch nicht an die Rechtsprechung des OVG Brandenburg gebunden, so die Karlsruher Richter, das liege in der Natur von unabhängigen Gerichten. Eine Vereinheitlichung durch den Gemeinsamen Senat der obersten Bundesgerichte gem Art. 95 Abs. 3 GG sei hier nicht möglich gewesen, weil das Bundesverwaltungsgericht im Streit um ein Landesgesetz nicht eingeschaltet werden konnte. Mit dieser Ablehnung aus Karlsruhe scheint der Prozess nun endgültig zu Ende zu sein.

Immerhin sorgten die Richter in einer Teilfrage noch für gewisse Klarheit. So müsse die Beitragserhebung spätesten 25 Jahre nach dem Anschluss an Wasser- und Abwasserversorgung beginnen. Sonst sei das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verletzt. Die kommunalen Zweckverbände haben also nicht unendlich viel Zeit, so die Verfassungsrichter. Allzustreng ist die 25-Jahres-Vorgabe aber auch nicht.

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BVerfG zu "Altanschließern": Abwasser im Rechtsstaat . In: Legal Tribune Online, 11.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42465/ (abgerufen am: 23.03.2023 )

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