Burschenschaftsstreit: Klischees vor dem LG Bonn

von Claudia Kornmeier

04.07.2012

Der eine hält den anderen für einen Nazi, was er auch fleißig öffentlich kundtut. Der andere reagiert mit einer Unterlassungsklage, woraufhin sich die Streithähne, die doch eigentlich Verbindungsbrüder sind, nun vor Gericht treffen. Nach der Verhandlung verkünden beide Seiten einen Sieg, obwohl das Urteil noch gar nicht gesprochen ist. Claudia Kornmeier war dabei.

Es ist ein Prozess voller Klischees. Alle Beteiligten halten sich fast schon übermotiviert an ihre Rolle. Der angebliche Nazi Norbert Weidner erscheint mit einem Anwalt, der selbst einmal stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei die Republikaner war. Anti-Nazi Christian Becker hat einen Anwalt mit Migrationshintergrund. Becker trägt Schärpe und Anti-Hakenkreuzzeichen. Weidner versteckt sich hinter einer Sonnenbrille.

Becker veranstaltet vor der Verhandlung ein Pressegespräch. Beflissen und ausführlich plaudert er mit den Journalisten, während Norbert Weidner den Gerichtssaal erst kurz vor Beginn der Verhandlung mit einer Eskorte von Burschenschaftern stürmt. Vor die Gesichter halten sie die Wochenzeitung Junge Freiheit.

Auch die Journalisten gehen ganz in ihrer Rolle auf. Sie erscheinen zahlreich, mit Kameras und Mikrofonen, mehr als der Saal aufzunehmen vermag. Die Kameramänner stürzen sich auch gleich auf den Falschen. Ein Verbindungsbruder war mit Weidners Anwalt erschienen, mit Sonnenbrille und Mappe vor dem Gesicht. Sofort hielt man ihn für Weidner.

Arieranträge, ein Blog und ein Leserbrief

Die Geschichte begann mit den so genannten Arieranträgen. Auf dem Eisenacher Burschenschaftstag 2011 stellten Mitglieder der Heimatburschenschaft von Weidner und Becker, den Raczeks zu Bonn, den Antrag,  dass in eine Verbindung nur aufgenommen werden solle, wer deutschstämmige Eltern habe. Der Hintergrund: Die Mannheimer Hansea hatte einen Burschenschafter mit asiatisch-stämmigen Eltern aufgenommen.

Daraufhin gründete Becker die Initiative "Burschenschafter gegen Neonazis", die vor allem bloggt und twittert. „Ein Ein-Mann-Betrieb, dieser Blog“, sagt Weidner. "Eine 20-köpfige Initiative", sagt Becker. „Aber es sind noch lange nicht genug. Immerhin sind 1.500 von 10.000 Burschenschafter eindeutig rechtsextrem." Dass das öffentlich nicht thematisiert werde, das "Stillhalteabkommen“ vieler Burschenschafter, auch Bundespolitiker darunter, halte er für nicht hinnehmbar.

Becker glaubt, Weidner sei "höchstwahrscheinlich einer der Köpfe der rechtsextremen Bewegung, die aus Burschenschaftern […] besteht". Dieser habe Computer seiner politischen Gegner gehackt und wolle mit anderen nationalistisch gesinnten Burschen eine rechtsextreme Studentenpartei gründen. Und das sagt der Blogger auch öffentlich so. Weidner kontert mit einer Unterlassungsklage und einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, über den das LG Bonn am Dienstag mündlich verhandelte.

Klagen, Strafanzeigen und Ausschlussverfahren

Nun hagelt es Klagen, Strafanzeigen und Ausschlussverfahren: Weidner verklagt Becker auf Unterlassung und ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro vor dem Landgericht (LG) Bonn. Unterlassungsklagen von drei weiteren Burschenschaftern gegen Becker sind bereits zugestellt. Becker nennt es: "Wir provozieren Klagen, um die Rechtsextremen raus in die Öffentlichkeit zu zerren." Die Diskussion solle öffentlich und nicht mehr in internen Hinterstübchen der Verbindungshäuser ausgetragen werden.

Derweil will die FDP das angeblich rechtsradikale Parteimitglied Weidner ausschließen. Becker wiederum soll aus seiner Heimatburschenschaft ausgeschlossen werden. Gegen Weidner läuft ein Ermittlungsverfahren wegen der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Er selbst hat Anzeige gegen Becker erstattet wegen Verleumdung.

Das Ermittlungsverfahren gegen Weidner bezieht sich auf einen Leserbrief in der Mitgliederzeitschrift seiner Burschenschaft. Dietrich Bonhoeffer sei ein Landesverräter, schreibt Weidner dort; das Todesurteil gegen ihn rein juristisch gerechtfertigt. Als Vorbild für den burschenschaftlichen Nachwuchs sei Bonhoeffer daher ungeeignet. Gleichzeitig betont Weidner ausdrücklich, sein Brief dürfe nicht als Sympathiebekundung für den Nationalsozialismus verstanden werden. Becker sieht das anders.

Laut Medienberichten war Weidner tatsächlich erst Mitglied der rechtsextremen Wiking-Jugend, später dann bei der Freiheitlichen Deutschen Arbeiter-Partei (FAP) und im Vorstand der "Hilfsorganisation für nationale Gefangene und deren Angehörige". Letztere wie auch die FAP sind mittlerweile verboten. Weidners Anwalt Björn Clemens hält Beckers Äußerungen dennoch für politische Propaganda, Hirngespinste, einen unsachlichen Rundumschlag. Für den Prozess sei das politische Rahmengeschehen ohnehin unerheblich. Zur politischen Gesinnung seines Mandanten äußere er sich genauso wenig wie zu seiner eigenen.

Sich gütlich einigen? Auf keinen Fall

Becker ist es, der als Beklagter den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen über Weidner beweisen muss, soweit es sich dabei um Tatsachenbehauptungen handelt. Weidner selbst ist nur dafür beweispflichtig, dass die streitgegenständlichen Äußerungen überhaupt gefallen sind, was Becker aber gar nicht in Frage stellt. Das Gericht muss nun entscheiden, ob es sich bei den Aussagen um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt.

Dass das Gericht eine mündliche Verhandlung anberaumte, ist bereits ein Indiz dafür, dass es den Unterlassungsanträgen des angeblich Rechtsradikalen zumindest teilweise nicht stattgeben wird. Entsprechend äußerte sich Paul-Hermann Wagner, der Vorsitzende der 9. Zivilkammer, auch in der Verhandlung. Beckers Aussage, Weidner sei einer der Köpfe der rechtsextremen Bewegung und wolle eine rechtsextreme Studentenpartei gründen, könne durchaus  auch als Meinungsäußerung verstanden werden, die den Tatsachenkern der Aussage überwiege. Eine bloße Diffamierung sei dies ebenfalls nicht. Zudem seien die Äußerungen im Rahmen einer andauernden Auseinandersetzung unter den Burschenschaftern gefallen: "Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus."

Die Aussage, Weidner habe ein E-Mailkonto gehackt, sei aber dann wohl doch eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt der insoweit beweisbelastete Becker nicht dargelegt habe.

Sieg für beide Seiten

Der Vorsitzende beendete die Verhandlung schnell. Ein öffentliches Forum für politische Kundgebungen, gleich welcher Couleur, wollte er den Parteien offenbar nicht bieten.

Becker gibt sich mit dem Terminsverlauf sehr zufrieden. "Ein Etappensieg in einem noch langen Ringen." Auch Weidners Anwalt verkündet einen Teilsieg. Gegebenenfalls werde man aber Rechtsmittel einlegen. Ein Recht zum Gegenschlag habe Becker mitnichten. Während Weidner eine rein interne Diskussion angestoßen habe, suche Becker mit seinen Äußerungen über Blogs und umfangreiche E-Mailverteiler die breite Öffentlichkeit. Der Vorsitzende Richter kenne offenbar die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht genau. Er sei vom Zeitgeist beeinflusst und wolle in der Öffentlichkeit nicht als derjenige dastehen, der dem Antrag eines Rechten stattgebe.

Für Becker ist der Kampf auch nicht mit der Urteilsverkündung, die für den 11. Juli terminiert ist, zu Ende. Er kündigt ein Enthüllungsbuch an: "Ein Burschenschafter packt aus." Laut Ankündigung darf der Leser sogar auf Verbindungen zur Zwickauer Terrorzelle gespannt sein. Autor werde sein: "Kurtchen Tucholskichen, investigativer Rechercheur". In Klammern: Künstlername.

Zitiervorschlag

Claudia Kornmeier, Burschenschaftsstreit: . In: Legal Tribune Online, 04.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6535 (abgerufen am: 09.10.2024 )

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