Zwischen Burkaverbot und Leitkultur: Wahl­kampf­stand Bun­destag

von Dr. Lorenz Leitmeier

05.05.2017

2/2: Wahlkampfstand Bundestag

Über bloße Wahlkampf-Folklore hinaus geht allerdings die traurige Rolle, die der Bundestag mit seinem Gesetz zu "bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung" spielt.

Fragwürdig ist es bereits, ein Gesetz zu verabschieden, das überhaupt keine Relevanz hat – bei dem man in der Gesetzesbegründung also nach "Erfüllungsaufwand: Keiner; Kosten: Keine" ehrlicherweise auch schreiben müsste "Nutzen: Keiner". Um ein politisches Zeichen zu setzen, das man selbst bei wohlwollender Auslegung kaum noch präventiv nennen kann, ist ein Gesetz das falsche Mittel. Der Bundestag ist kein Wahlkampfstand.

Rechtsstaatlich bedenklich ist es aber, wenn dieses Gesetz mit einer Rechtslage und einer Notwendigkeit begründet wird, welche nicht bestehen: Das Gesetz müsse erlassen werden, weil der Staat verpflichtet sei, weltanschaulich-religiös neutral aufzutreten.

Noch nicht einmal die halbe Wahrheit

Legt man diesen Maßstab zugrunde, drängen sich noch ganz andere Fragen auf: Wenn die weltanschauliche Neutralität des Staates so dringend ist, dass der Bundestag ein Gesetz erlassen muss, um ein Phantom-Problem zu regeln – mit welcher Dringlichkeit müsste er dann diskutieren und per Gesetz regeln, ob (Bundes-)Richterinnen ein Kopftuch tragen dürfen? Oder in Gerichtssälen (des Bundes) Kreuze hängen?

Diese Fragen sind in den vergangenen Monaten diskutiert worden, und ihre Praxisrelevanz ist sicherlich höher als die einer Vollverschleierung. Nur zur Klarstellung sei an dieser Stelle gesagt: Man muss nicht regelmäßig Nietzsches "Antichrist" lesen, um religiöse Symbole im Gericht zu hinterfragen. Man kann das auch als gläubiger Christ tun, der gerne in die Kirche geht – dies aber für eine private Angelegenheit hält.

Wenn es also in der Gesetzesbegründung heißt, das Gesetz sei wegen der weltanschaulichen Neutralität des Staates notwendig, ist dies rechtlich noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Neben der Neutralität des Staates gibt es nämlich noch ein kompliziertes Kooperationsverhältnis von Staat und Glaubensgemeinschaften, außerdem die Grundrechte der Beamten und die der Bürger, vor allem die positive und negative Religionsfreiheit. Das Verschleierungsgesetz ist also allein politisch gewollt.

Seine rechtliche Notwendigkeit dagegen ist offensichtlich vorgeschoben, wenn viel relevantere Fragen offensichtlich nicht notwendig geklärt werden müssen. Den Bundestag für ein reines Symbolgesetz ohne jedwede Relevanz zu instrumentalisieren und dafür auch noch eine falsche Begründung zu geben – man könnte fast von Sünde sprechen.

Der Autor ist Richter am Amtsgericht und hauptamtlicher Dozent an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Bayern.

Zitiervorschlag

Zwischen Burkaverbot und Leitkultur: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22839 (abgerufen am: 06.12.2024 )

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