In seinen verteidigungspolitischen Richtlinien betont Bundesverteidigungsminister de Maizière die Sicherung freier Handelswege und den Zugang zu Rohstoffen. Dies weckt Erinnerungen an die umstrittenen Äußerungen des ehemaligen Bundespräsidenten Köhler vor seinem Rücktritt. Was sagen Verfassungs- und Völkerrecht zur Legitimität von Wirtschaftskriegen? Von Ulrich Vosgerau.
"Risiken und Bedrohungen entstehen heute vor allem (...) aus der Verknappung oder den Engpässen bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen". Dies stellen die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien gleich auf der ersten Seite fest.
Das Thema wird dann noch mehrmals aufgegriffen und zieht sich wie ein roter Faden durch den ministeriellen "Marschbefehl für die Neuausrichtung": Vertriebswege und Märkte würden derzeit "weltweit neu geordnet"; freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung seien dabei für Deutschland und Europa von vitaler Bedeutung.
Der Zugang zu diesen und ein freier und ungehinderter Welthandel gehörten zu den deutschen Sicherheitsinteressen, die auch mit den Streitkräften – einem unentbehrlichen "Instrument der Außen-(!) und Sicherheitspolitik" – wahrgenommen würden. Freilich nur "im Rahmen des geltenden Völkerrechts", dessen "Durchsetzung" die Aufgaben deutscher Sicherheitspolitik künftig bestimmen werde.
Köhler wurde für "imperialen Zungenschlag" kritisiert
Die Leitlinien sind ein ziemlicher Paukenschlag und eigentlich die Ausarbeitung der bekannten Einschätzung Horst Köhlers im Interview mit dem Deutschlandradio am 22. Mai 2010: Ein Land von der Größe Deutschlands mit Außenhandelsorientierung müsse wissen, so der ehemalige Bundespräsident, dass im Notfall auch Militäreinsätze zur Sicherung unserer Interessen notwendig würden, "zum Beispiel freie Handelswege".
Damals wurde der "imperiale Zungenschlag" Köhlers kritisiert, und selbst in der Union sprach man von einer wenig glücklichen Formulierung. Das Bundespräsidialamt musste klarstellen, Köhler habe nicht etwa Wirtschaftskriegen das Wort geredet, sondern den Kampf gegen Piraten vor der afrikanischen Küste gemeint. Am 31. Mai 2010 schließlich trat Köhler überraschend zurück: Man unterstelle ihm zu Unrecht, dass er Einsätze der Bundeswehr befürwortet hätte, die vom Grundgesetz (GG) nicht gedeckt seien, so seine damalige Erklärung.
Ob der angegebene Grund tatsächlich derjenige für den Rücktritt gewesen ist, bleibt allerdings zweifelhaft. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler äußerte seinerzeit auf Spiegel Online die etwas überzeugendere Theorie, dass der Abgang tatsächlich mit den Querelen um das Euro-Rettungspaket zu tun hatte. Ungeachtet dessen bleibt die Frage, ob das geltende Verfassungs- und Völkerrecht Rohstoffkriege erlaubt, überaus relevant.
Nach Völkerrecht grundsätzlich bewaffneter Angriff auf einen Staat nötig
Jedenfalls eines lässt sich ohne weiteres feststellen: Der militärische Schutz eigener und verbündeter Schiffe vor Piraten und deren Bekämpfung ist seit je her als staatliche Kernaufgabe völkergewohnheitsrechtlich legitimiert gewesen. Im Zeichen der universalen Geltung der Menschenrechte gilt heute zwar, dass Piraten nicht mehr als "hostes humani generis" (Feinde der gesamten Menschheit) ohne Verfahren hingerichtet werden dürfen, wie man es mit Osama bin Laden getan hat. Aber militärisch bekämpfen darf man sie.
Auch das de-Maizière-Papier erwähnt die Störung der Transportwege "zum Beispiel durch Piraterie und Sabotage des Luftverkehrs". Ginge es ausdrücklich nur um Piraterie, wäre alles unproblematisch.
Ansonsten gilt nämlich, dass das Völkerrecht die Kriegführung nur zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs gegen einen Staat erlaubt (Art. 51 UN-Charta). Ob ein Angriff vorliegt, entscheidet der UN-Sicherheitsrat, der zugleich die notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit einleitet. Dazu zählt auch der Einsatz militärischer Gewalt (Art. 39 ff. UN-Charta). Diese darf dann durch UN-Mitgliedsstaaten ausgeübt werden.
Im Falle eines Krieges um Ressourcen müsste der UN-Sicherheitsrat unterscheiden: Die gewaltsame Wegnahme von Rohstoffen eines anderen Staates oder die Erzwingung von Zugangsrechten zu oder Wegerechten durch diesen Staat wären eindeutig ein Angriffskrieg und damit völkerrechtlich verboten.
Anders liegt der Fall bei einem defensiven Ressourcenkrieg, wenn also ein Staat Blockaden beseitigen will, mit denen ein anderer Staat ihn von Rohstoffen abschneiden oder aushungern will. Solche Blockademaßnahmen sind nicht nur Angriffshandlungen, sondern auch per se kriegsrechtswidrig, weil sie sich von Anfang an primär gegen die Zivilbevölkerung richten.
Karlsruhe erlaubt Auslandeinsätze nur unter strengen Vorgaben
Das GG erlaubt nach seinem Wortlaut militärische Gewalt überhaupt nur "zur Verteidigung" (Art. 87a GG), worunter man sich die Abwehr eines militärischen Angriffs auf das Bundesgebiet vorzustellen hat. Auch wenn die verteidigungspolitischen Richtlinien mit großer Selbstverständlichkeit von der "Wahrnehmung internationaler Verantwortung" sprechen und klarstellen, Sicherheit werde nicht ausschließlich geographisch definiert: Von möglichen Einsätzen der Bundeswehr im Ausland ist im GG an keiner Stelle die Rede.
Dass diese gleichwohl möglich sind, liegt an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 (AWACS-Urteil). Die Karlsruher Richter befanden, dass Art. 24 Abs. 2 GG als die Norm, die Deutschland unter anderem den NATO-Beitritt erlaubte, auch alle militärischen Auslandsaktivitäten rechtfertigen kann, die aus diese Mitgliedschaft folgen. Voraussetzung sei jedoch, dass der Bundestag dem jeweiligen Einsatz zustimmt und ein Mandat des UN-Sicherheitsrats vorliegt.
Im Ergebnis darf die Bundesrepublik Deutschland Piraten selbstverständlich durch die Bundeswehr abwehren oder verfolgen lassen; erst recht dürfte sie sich gegen eine systematische Blockade, eine von fremden Mächten verfolgte Aushungerungsstrategie militärisch wehren. Letzteres erscheint allerdings schon aufgrund der europäischen Einigung derzeit als unwahrscheinlich. Ein einseitiger Handels- oder Rohstoffkrieg Deutschlands, etwa zur zwangsweisen Öffnung von Märkten, wäre auf jeden Fall sowohl durch die Verfassung als auch durch das Völkerrecht ausgeschlossen.
Anders sähe die Lage aus, sollte sich die NATO dereinst schrittweise in ein militantes Wirtschafts- und Rohstoffkartell verwandeln. Dann käme alles darauf an, ob der UN-Sicherheitsrat die Vorenthaltung von Rohstoffen oder die Abschirmung von Märkten als eine "Bedrohung des Friedens" einstuft. Tut er das, wäre militärische Gewalt nach dem geltenden Völkerrecht wie auch nach dem bundesverfassungsgerichtlichen Verständnis des GG legitim.
Der Autor Dr. Ulrich Vosgerau ist Akademischer Rat am Seminar für Staatsphilosophie und Rechtspolitik der Universität zu Köln.
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