Das Parlamentsbeteiligungsgesetz wird bis auf Weiteres doch nicht geändert, die Union hat die Umsetzung gestoppt. Gut so, findet Simon Gauseweg. Die Änderungen hätten mehr verschlechtert als verbessert.
Der Bundestag muss bewaffneten Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen. Das schreibt die Verfassung vor und so regelt es das Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG). Die Koalition hat im Januar 2016 einen Änderungsentwurf (BTDrs 18/7360) in den Bundestag eingebracht, mit dem sie im Wesentlichen die Vorschläge der sog. Rühe-Kommission übernahm. Diese war zuvor von den Regierungsfraktionen zur "Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr" eingesetzt worden.
Von diesem Entwurf hat die CDU-Fraktion nun Abstand genommen. Mindestens bis zur Bundestagswahl liegt die Reform auf Eis. Grund dafür dürfte sein, dass Sachverständige zentrale Punkte der geplanten Änderungen scharf kritisierten. Und das zu Recht.
Der Änderungsentwurf hatte den Anspruch, die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von EU, NATO und UN abzusichern und zu stärken. Dieses Ziel hat er verfehlt. Zwar beinhaltete das Papier diskussionswürdige Ansätze: Art und Umfang der Unterrichtung des Parlaments sollten auch im nächsten Änderungsentwurf eine Rolle spielen. Ebenso sollte die Anpassung des Gesetzes an neuere Rechtsprechung des BVerfG weiterhin ein Thema bleiben. Teilweise verfassungswidrige, in anderen Teilen nicht praktikable Versuche, die Reichweite des Parlamentsvorbehalts zu konkretisieren bzw. zu begrenzen, hätten im Ergebnis nur zu mehr Verfahren vor dem BVerfG geführt. Und die moderne Kriegsführung ignorierte der Entwurf völlig.
Mehr Papier fürs Parlament
Die Änderungen umfassten im Wesentlichen zwei Punkte: Einerseits sollte der Entwurf die Voraussetzungen ändern, unter denen das Parlament zustimmen muss. Andererseits sollte er die Regierung zu umfangreichen Berichten an das Parlament verpflichten.
Eine dieser Berichtspflichten setzt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) um: Der Entwurf sah eine Unterrichtung des Parlaments über Grundlagen und Verlauf eines Einsatzes vor, der zum Zeitpunkt der frühestmöglichen Beteiligung des Parlaments bereits beendet war – lex pegasus.
Zudem sollte das Parlament frühestmöglich über konkret geplante Einsätze unterrichtet werden. Vor Mandatsverlängerung sollte die Bundesregierung bilanzierende Bewertungen des Einsatzes, insbesondere zu dessen Auswirkungen auf die politische und humanitäre Lage im Einsatzland, vorlegen. Abgeschlossene Einsätze sollte sie ressortübergreifend evaluieren und dabei die Wirksamkeit der zivilen und militärischen Komponenten der Mission bewerten. Darüber hinaus enthält der Entwurf einen eigens neu eingeführten Paragraphen zur "Unterrichtung zu geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen der Spezialkräfte".
Derartige Berichte waren bereits in der Begründung zum ursprünglichen ParlBG angedacht. Gesetzescharakter haben sie bisher allerdings nicht.
Wie viel Parlament braucht die Entscheidung über Krieg und Frieden?
Militäreinsätze sind klassisch exekutive Maßnahmen und folglich Aufgabe der Regierung. Zur Entscheidung über Krieg und Frieden soll jedoch laut dem BVerfG das Parlament "Herr des Geschäfts" sein. Aufgrund des exekutiven Charakters der Einsätze hat es kein Initiativrecht und kein Mitspracherecht in der operativen Planung; beides liegt in der Zuständigkeit der Regierung. Letztendlich treffen jedoch beide Gewalten, Exekutive und Legislative, die Entscheidung über die Durchführung von bewaffneten Auslandseinsätzen gemeinsam.
Je eher aber das Parlament von konkreten Vorhaben unterrichtet und somit in die Planungen einbezogen wird, desto besser könnte es theoretisch seiner Aufgabe als Mitentscheider gerecht werden. Gleichzeitig stärken gesetzlich verankerte Berichtspflichten allgemein die Kontrollfunktion des Parlaments. Insbesondere die stets heftig geführte Diskussion um den Sinn von Militäreinsätzen hätte durch die geplanten Zwischen- und Abschlussberichte mit Fakten angereichert werden können. Hier hätte man auch positive Auswirkungen auf die gesamtgesellschaftliche Diskussion erhoffen dürfen.
Gleichzeitig ist aber auch der Einwand des Sachverständigen Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg nicht von der Hand zu weisen. Er bemängelte einen Eingriff in Vorrechte der Exekutive "über die verfassungsrechtlichen Grenzen hinaus" einerseits und die Gefahr eines "Saturierungsangriffs" auf Regierung und Parlament andererseits: Die vorgeschriebene frühe Einbeziehung des Parlaments wäre im Einzelfall eine Beschränkung des politischen Handlungsspielraums der Regierung. Und da kein Militäreinsatz wie der andere ist, haben Evaluierungen kaum eine Aussagekraft, erst recht nicht für weitere Einsätze.
2/2: Was ist ein bewaffneter Einsatz?
Fast einhellig lehnten die Sachverständigen die geplante Beschränkung des Parlamentsvorbehalts ab. Fest steht nach den entsprechenden Entscheidungen des BVerfG, dass bewaffnete Einsätze unter dem Vorbehalt des Parlaments stehen. Fraglich ist lediglich – zuletzt entschieden zur Operation PEGASUS in Libyen –, wann die Schwelle zum bewaffneten Einsatz erreicht ist.
Werden bei humanitären Operationen (z.B. in der Katastrophenhilfe) Waffen lediglich zum Selbstschutz mitgeführt, soll eine "Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen", die dafür Voraussetzung wäre, auch nach Annahme des BVerfG nicht vorliegen. Eine parlamentarische Zustimmung ist dann nicht nötig.
Umgekehrt bedeutet der Begriff der „Unternehmung“, dass die eingesetzten Soldaten nicht selbst bewaffnet sein müssen. Es reicht stattdessen aus, wenn sie z.B. in einem AWACS-Flugzeug Luftlagebilder erstellen oder an der Einsatzleitung von Kampffliegern mitwirken und so deren Kampfhandlungen fördern. So entschied es das BVerfG anlässlich der AWACS-Einsätze in der Türkei 2003.
Verfassungsrechtlich bestenfalls bedenklich
Bislang gab das ParlBG diese Rechtslage deklaratorisch wieder. Nun aber sollten Fälle beispielhaft angeführt werden, in denen eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung in der Regel nicht zu erwarten gewesen wäre. Zudem sollte der Parlamentsvorbehalt nach Änderung erst bei "konkreter" Erwartung der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen ausgelöst werden.
Letzteres wäre unzulässig. Der Erwartungs-Begriff ist als Voraussetzung für den Parlamentsvorbehalt vom Verfassungsgericht festgeschrieben. Die "konkrete" Erwartung ist enger formuliert als die vom BVerfG geforderte „qualifizierte“ Erwartung und damit eine unwirksame einfachgesetzliche Einschränkung eines unmittelbar kraft Verfassung geltenden Rechtsbegriffs.
Wegen des Verfassungscharakters des Parlamentsvorbehalts hätten die vorgesehenen Beispiele die bestehenden Rechtsunsicherheiten eher gefördert als gemindert: Regelbeispiel hin oder her – eine Einzelfallprüfung hätte in jedem einzelnen Fall vorgenommen werden müssen. Eine Aufzählung lädt jedoch dazu ein, sie zu unterlassen.
Der Sachverständige Prof. Dr. Ulrich Hufeld fürchtete, "dass Prozesse in Karlsruhe wahrscheinlicher w[ü]rden." Dabei sollten die Änderungen der Bundesregierung und ihren internationalen Partnern eigentlich mehr Rechts- und damit Planungssicherheit zu verschaffen.
Der Entwurf hätte eine Chance vertan
Auch handwerklich vermag der Entwurf nicht zu überzeugen. Die ohnehin komplizierten Begriffszusammenhänge hätten durch die Änderung nur an Trennschärfe verloren, die Grenze zur Unwirksamkeit aufgrund des Vorrangs der Verfassung ist schnell erreicht.
Bereits in der "Rühe-Kommission" haben die Parlamentarier die Chance vertan, die Gesetzesnovelle zu nutzen, um das ParlBG den Gegebenheiten moderner Kriegsführung anzupassen. Längst müssen Soldaten das Land nicht mehr verlassen, um zu kämpfen. Sowohl Drohnen als auch rein virtuelle "Cyber"-Angriffe können von der Tastatur im Heimatland ausgehen.
Hierfür ist zwar auch nach geltender (Verfassungs-) Rechtslage ein Bundestagsmandat notwendig. Die meisten materiellen Bestimmungen des ParlBG geben indes ohnehin nur Verfassungsrecht wieder. Eine passende Ergänzung hätte nicht geschadet.
Letztlich ist positiv, dass der Entwurf wohl gescheitert ist. Die durch die Änderungen bewirkten Rechtsunsicherheiten und Probleme hätten allen Beteiligten am Ende mehr geschadet als genutzt.
Und sei es auch nur in Bezug auf Erkundungskommandos oder Ausbildungsmissionen: Ohne eine Verfassungsänderung wird eine Einschränkung des Parlamentsvorbehalts nicht zu machen sein. Im Hinblick auf die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik und auch auf den Einsatzbegriff des Grundgesetzes mag diese regelmäßig gefordert werden. Ob sie wünschenswert ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Der Autor Simon Gauseweg, LL.B. ist Reserveoffizier der Bundeswehr und legt derzeit an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) sein erstes Staatsexamen ab. Daneben forscht er dort zu völker- und verfassungsrechtlichen Aspekten moderner Kriegsführung.
Autor Simon Gauseweg, LL.B, Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen: Gute Gründe für den Reform-Stopp . In: Legal Tribune Online, 17.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22141/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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