Landwirte, die gentechnisch verändertes Saatgut verwenden, sind auch zukünftig im Internet auffindbar. Und der Einsatz der Gentechnik kann sie auch weiterhin teuer zu stehen kommen, selbst wenn sie alles richtig gemacht haben. Dennoch hat Karlsruhe eine ausgewogene Entscheidung getroffen, so Prof. Dr. Wolfgang Voit im Interview mit LTO.
LTO: Erstaunlich deutlich und mit sehr grundsätzlichen Argumenten gab der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts den Gegnern der Gentechnik Recht, indem es den Normenkontrollantrag des Landes Sachsen-Anhalt gegen einige Vorschriften des Gentechnikgesetzes (GenTG) abwies, das Landwirte benachteiligt sieht, die gentechnisch verändertes Saatgut verwenden möchten. Sofern in die Rechte der Unternehmen eingegriffen wird, seien die Eingriffe gerechtfertigt, so die Bundesrichter. Herr Professor Voit, womit genau hatte das Gericht sich zu befassen?
Voit: Es geht bei dem Urteil um die Vereinbarkeit grüner Gentechnik mit den Belangen konventioneller und ökologischer Landwirtschaft. Der Gesetzgeber hat durch die Novellierung des Gentechnikgesetzes im Jahr 2008 die Grenzen verschoben. Zum einen wurde ein öffentlich zugängliches Standortregister eingeführt, zum anderen wurden Haftungsregelungen aufgestellt, die auch dann eingreifen, wenn die Ernte dieser Landwirte wegen des Eintrags gentechnisch veränderter Organismen etwa durch Wind nunmehr als gentechnisch veränderte Ware gekennzeichnet werden muss.
LTO: Was haben die Bundesrichter nun entschieden?
Voit: Das Bundesverfassungsgericht hat die angegriffenen Vorschriften des Gentechnikgesetzes für verfassungsgemäß erklärt. Das Gericht hat also keine Bedenken hinsichtlich des Standortregisters in seiner derzeitigen Form, der Vorschriften zum Umgang mit in Verkehr gebrachten Produkten und auch der aktuelle Regelung zu Ansprüchen benachbarter Landwirte bei Nutzungsbeeinträchtigungen.
"Den Auftrag zum Ausgleich der Interessen sehr ernst genommen"
LTO: Hatte das Bundesverfassungsgericht hier zu entscheiden im klassischen Kampf "Gut gegen Böse"? Anders ausgedrückt: Sind die Gentechnikgegner die Guten, diejenigen Bauern, die gentechnisch verändertes Saatgut verwenden möchten, die Bösen?
Voit: Nein, das ist auch nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Es hatte zu entscheiden, ob die Lösung, die der Gesetzgeber in einer gesellschaftlich sehr kontrovers beurteilten Situation gefunden hat, einer verfassungsrechtlichen Kontrolle standhält.
Dabei hat das Gericht zu Recht die Grundrechtspositionen der Beteiligten sehr weit bestimmt. Es hat durchaus gesehen, dass die Regelungen über das Standortregister in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in die Berufsfreiheit und auch in die Forschungsfreiheit eingreifen. Mit Recht wurden diese verfassungsrechtlich geschützten Positionen also nicht klein geredet.
Auf der anderen Seite gesteht das Gericht dem Gesetzgeber in dieser schwierigen Situation einen weiten Gestaltungsspielraum zu. Der Gesetzgeber hat diese Entscheidungen getroffen und das Bundesverfassungsgericht hat seinen Auftrag zum Ausgleich der Interessen sehr ernst genommen.
"Aktivität von kritischen Orgamisationen unterschätzt"
LTO: Die Bundesrichter halten das Standortregister für rechtmäßig, das es für jedermann möglich macht, im Internet genau zu sehen, wo gentechnisch veränderte Pflanzen verwendet werden. In der vorgesehenen Form eines allgemein zugänglichen und eines nicht öffentlichen Teils habe der Gesetzgeber einen tragfähigen Kompromiss gefunden zwischen dem Informationsinteresse von Staat und Öffentlichkeit einerseits und dem Geheimhaltungsinteresse der Bezugspersonen andererseits. Was ermöglicht das Standortregister? Und welche Informationen sind nicht öffentlich zugänglich?
Voit: Der öffentlich zugängliche Teil des Registers enthält Angaben zur Bezeichnung und zum Erkennungsmarker des gentechnisch veränderten Organismus, seine veränderten Eigenschaften und das Grundstück der Freisetzung oder des Anabaus sowie die Flächengröße. Nicht genannt wird dort der Betreiber.
Allerdings verkennt das Gericht nicht, dass es ohne größere Schwierigkeiten möglich ist, diese Information in Erfahrung zu bringen. Wenn es im Urteil allerdings heißt, eine solche Verknüpfung werde von vielen Bürgern, die in das Register Einsicht nehmen, nicht hergestellt, dann wird möglicherweise die Aktivität von kritischen Organisationen unterschätzt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass diese die Verknüpfung herstellen und ihrerseits veröffentlichen.
Bei weiteren Zerstörungen könnten weitere Überprüfungen fällig werden
LTO: Es liegt auf der Hand, dass es durch das Standortregister für Gentechnikgegner wesentlich einfacher wird, gentechnisch veränderte Kulturen aufzuspüren und in der Folge mutwillig zu zerstören. Dem hält der Erste Senat die Schutzpflicht des Staates für die Rechte des gentechnisch veränderten Saatguts benutzenden Landwirts entgegen. Außerdem habe es auch schon vor der Einführung des Registers solche Übergriffe gegeben. Rechtlich und praktisch gesehen: Sind das aus Ihrer Sicht tragfähige Argumente?
Voit: In diesem Punkt lässt das Urteil durchaus Raum für weitere Entwicklungen. Die Richter heben hervor, dass derzeit unzumutbare wirtschaftliche Beeinträchtigungen durch die Zerstörung nicht bekannt wurden. Zugleich erinnert das Urteil den Staat an seine Aufgabe, die Betreiber vor solchen Übergriffen zu schützen.
Es ist zu hoffen, dass die Vollzugsorgane diese Aufgabe auch wahrnehmen. Sollte es auf Dauer zu Zerstörungen kommen, die nicht aufgeklärt und geahndet werden, kann die Regelung über das Standortverzeichnis durchaus noch einmal verfassungsrechtlich überprüft werden – möglicherweise auch mit anderem Ausgang.
Die "gute fachliche Praxis": Nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte
LTO: Auch die den mit Gentechnik arbeitenden Landwirten auferlegte Verpflichtung, eine so genannte "gute fachliche Praxis" einzuhalten, also Vorsorge zu treffen, dass gentechnische Änderungen nicht in andere Grundstücke eingetragen werden oder auf sonstige Art in andere Kulturen benachbarter Flächen gelangen, halten die Verfassungshüter für mit dem Grundgesetz vereinbar, vor allem nicht für zu unbestimmt. Wissen die betroffenen Landwirte, welche die Anforderungen sind? Wie kann man die Kontaminierung von Nachbargrundstücken verhindern?
Voit: Landwirte, die mit gentechnisch veränderten Organismen arbeiten, müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und sich mit der guten fachlichen Praxis vertraut machen. Dabei ist anzunehmen, dass sie von den Saatgutherstellern, die diese Ware verkaufen wollen, Hilfestellungen bekommen. Im übrigen gibt es in sehr vielen Bereichen die Verpflichtung, die Grundsätze einer guten Herstellungspraxis einzuhalten.
Umgekehrt wird auf diesem Weg auch Rechtssicherheit geschaffen: Werden diese Anforderungen eingehalten, dann kann nachbarrechtlich der Anbau nicht verhindert werden, und zwar auch dann nicht, wenn er letztlich zu einer Kontamination des Nachbargrundstücks führt.
Ansprüche des geschädigten Nicht-mehr-Öko-Bauern
LTO: Schließlich ging es noch um die Frage der Haftung der Landwirte, die gentechnisch verändertes Saatgut verwenden. Welche Fälle meint das Gesetz, wenn es davon spricht, dass gentechnisch veränderte Pflanzen auf Nachbargrundstücken eingetragen werden und bewirken, dass die dort kultivierten Pflanzen nicht mehr oder nur eingeschränkt in den Verkehr gebracht werden dürfen?
Voit: Es geht um Fälle, in denen die Produkte auf dem Nachbargrundstück nicht mehr verkauft werden dürfen oder nur nach einer entsprechenden Kennzeichnung verkauft werden dürfen. Betroffen sind nicht nur Öko-Produkte, die diese Bezeichnung nicht mehr führen dürfen, sondern auch Produkte der konventionellen Landwirtschaft, die nun als gentechnisch verändert zu kennzeichnen sind.
LTO: Die geschädigten Grundstücksnachbarn können Unterlassungs-, Abwehr- oder Ausgleichsansprüche haben. Das Problem: Die Ansprüche sind verschuldensunabhängig, das heißt, auch wenn der Landwirt sich an alle Vorschriften gehalten und alle Abstandsflächen eingehalten hat, ist er haftbar für eine eventuelle Eintragung. Dennoch sehen die Bundesrichter in der Vorschrift keine Gefährdungshaftung, ihr liege eine ausgewogene Interessenabwägung zugrunde. Wie bewerten Sie diese Einschätzung?
Voit: Man muss in diesem Zusammenhang zwischen Ausgleichsansprüchen und einer Schadensersatzhaftung unterscheiden. Bei den Ausgleichsansprüchen ist ein Verschulden nicht erforderlich. Es geht um die Verteilung einer Vermögenseinbuße, die weder von dem Landwirt, der gentechnisch veränderte Organismen anbaut, noch von seinem Nachbarn, der konventionell anbauen möchte, schuldhaft verursacht wurde.
Es ist keineswegs selbstverständlich, dass diese Einbuße der konventionell arbeitende Nachbar zu tragen hat. Das Bundesverfassungsgericht hält es für zumutbar, dieses Risiko dem zuzuweisen, der die neue Technik einsetzt.
Man darf auch nicht übersehen, dass durch diesen Ausgleichsanspruch nur ein Teil der Risiken auf den Betreiber verlagert wird. Für die benachbarten Landwirte droht nicht nur Schaden, weil ein höherer Preis – etwa für Bio-Lebensmittel –nicht mehr erzielt werden kann, sondern es stehen für die Landwirte auch Lieferbeziehungen auf dem Spiel. So kann ein Landwirt, der die Lieferung gentechnikfreier Produkte zugesagt hat, dann seinen Vertrag nicht mehr erfüllen und verliert seine Abnehmer. Derartige Schäden sind vom Ausgleichsanspruch nicht umfasst. Sie werden nur dann ersetzt, wenn den Gentechnik-Landwirt ein Verschulden trifft, also vor allem dann, wenn er die Regeln der guten fachlichen Praxis schuldhaft nicht beachtet hat.
"Die finanzielle Absicherung der Risiken ist derzeit noch schwierig."
LTO: Wie praxisrelevant ist diese Frage? Sind Ihnen Haftungsfälle bekannt? Und können die Landwirte sich jedenfalls finanziell dagegen absichern?
Voit: Die Fragen werden mit Sicherheit praxisrelevant werden, wenn im größeren Umfang von der grünen Gentechnik Gebrauch gemacht wird. Leider ist die finanzielle Absicherung dieser Risiken derzeit noch schwierig, weil in den Versicherungsbedingungen Schäden durch gentechnisch veränderte Organismen regelmäßig ausgeschlossen sind. Auch hier gehe ich aber davon aus, dass sich auf der Ebene der Saatguthersteller eine Lösung finden lässt. Sie sind aufgerufen, mit der Versicherungswirtschaft über ein Modell zur Absicherung dieser Risiken zu sprechen. Der einzelne Landwirt wird das kaum durchsetzen können.
LTO: Sehen Sie das Urteil als Grundsatzentscheidung an? Lohnt der Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut sich nun noch?
Voit: Es ist eine Grundsatzentscheidung, die im Spannungsverhältnis zwischen Grundrechten, dem Recht der Europäischen Union und einem gesellschaftlich umstrittenen Gebiet dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum einräumt.
Die Auswirkungen auf den Anbau solchen Saatguts hängen von den Rahmenbedingungen, inbesondere von der Entwicklung einer Versicherungslösung ab. Mittelfristig wird sich die zur Zeit sehr emotional geführte Diskussion entspannen. Viele importierte Produkte sind schon heute ohne Gentechnik nicht mehr zu bekommen, so dass sich die strikte Ablehnung dieser Technik durch die Verbraucher auf Dauer nicht durchhalten lässt.
"Das Urteil lässt den nötigen Freiraum für weitere Entwicklungen."
LTO: Die Bundesrichter orientieren sich an dem auch vom GenTG bezweckten verträglichen Nebeneinander konventioneller, ökologischer und unter Einsatz von Gentechnik arbeitender Produktionsmethoden und einer echten Wahlfreiheit der Produzenten und Verbraucher. Ist die Entscheidung auch aus Ihrer Sicht dieses "salomonische Urteil"?
Voit: Das Urteil schafft klare Rahmenbedingungen und führt zu vertretbaren Ergebnissen. Vor allem nimmt es die Grundrechtspositionen der Betroffenen ernst. Dabei lässt es den nötigen Freiraum für weitere Entwicklungen.
Es darf nicht als ein Sieg über die grüne Gentechnik missverstanden werden. Bestätigt wurde die Entscheidung des Gesetzgebers, die er bei einer Weiterentwicklung des Gentechnikgesetzes auch modifizieren und anders treffen kann. Der Schlussstein für den Anbau gentechnisch veränderter Organismen ist damit nicht gesetzt. Der Gesetzgeber wird diese Regelungen vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse über die Risiken dieser Technik und der gesellschaftlichen Wahrnehmung der so erzeugten Produkte immer wieder neu überarbeiten müssen.
LTO: Wir danken Ihnen für dieses Interview.
Der Autor Prof. Dr. Wolfgang Voit ist Sprecher der Forschungsstelle für Deutsches und Europäisches Lebensmittel- und Futtermittelrecht der Philipps-Universität Marburg.
Das Interview führte Pia Lorenz.
BVerfG zur Landwirtschaft: . In: Legal Tribune Online, 25.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2016 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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