Druckversion
Dienstag, 30.05.2023, 13:35 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/bundesverfassungsgericht-verfassungsbeschwerde-arbeitsbelastung-mutwillensgebuehr-kosten/
Fenster schließen
Artikel drucken
5994

Überlastete Verfassungsrichter: Eine Mutwillensgebühr gegen den Rechtsstaat

von Prof. Dr. Joachim Wieland

16.04.2012

Überlastete Richter

© fotodesign-jegg.de - Fotolia.com

Ob das BVerfG "jedermann" rechtliches Gehör schenkt, könnte bald von dessen Geldbeutel abhängen. Nach dem Willen der höchsten Verfassungsrichter sollen aussichtslose Verfassungsbeschwerden zukünftig bis zu 5.000 Euro kosten. Das Jedermannsrecht zu einem Recht der Zahlungskräftigen zu degradieren, würde aber dem Ansehen des Rechtsstaates schaden. Ein Kommentar von Joachim Wieland.

Anzeige

Das Grundgesetz garantiert jedermann das Recht, Verfassungsbeschwerden mit der Behauptung zu erheben, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein. Von dieser Möglichkeit wird häufig Gebrauch gemacht. Zu häufig, findet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), bei dem in jedem Jahr mehr als 6.000 Verfassungsbeschwerden eingehen. Eine gewaltige Arbeitslast für die 16 Mitglieder des Gerichts und ihre mehr als sechzig wissenschaftlichen Mitarbeiter. Es ist deshalb verständlich, dass in Karlsruhe nach Entlastung gerufen wird.

Der Gesetzgeber soll das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) so ändern, dass Verfassungsbeschwerden zunächst von einem Rechtspfleger überprüft werden. Sind sie nach dessen Einschätzung evident unzulässig oder unbegründet, sollen sie nur noch nach Zahlung einer so genannten "Mutwillensgebühr" von bis zu 5.000 Euro bearbeitet werden.

Damit würde das Jedermannsrecht zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ausgehöhlt. Nur wer genügend Geld hat, die Gebühr zu zahlen, hat dann noch in jedem Fall Zugang zu den vom Bundestag oder Bundesrat gewählten Richtern. Das BVerfG verdankt seine herausragende Stellung aber ganz wesentlich der Tatsache, dass jeder seine Grundrechte in Karlsruhe verteidigen kann. Er benötigt dazu weder einen Anwalt noch muss er dafür bezahlen, dass sich das höchste deutsche Gericht mit seiner Beschwerde befasst.

Der Weg nach Karlsruhe darf nicht vom Geldbeutel abhängen

Diese Möglichkeit hat viel dazu beigetragen, dass der Rechtsstaat in Deutschland nach den schrecklichen Erfahrungen der Nazizeit wieder hohes Ansehen erlangt hat. Tritt an die Stelle der demokratisch gewählten Mitglieder des Gerichts ein Rechtspfleger und hängt das Recht auf eine richterliche Prüfung zukünftig in solchen Fällen davon ab, ob ein Beschwerdeführer sich die Zahlung der Gebühr leisten kann, wird aus dem Jedermannsrecht ein Recht der Zahlungskräftigen.

Entlastet werden kann das Gericht auf anderen Wegen: Schon gegenwärtig werden über 4.000 Verfassungsbeschwerden nach einer Belehrung durch die Verwaltung des Gerichts von den Beschwerdeführern nicht weiterverfolgt und nicht als Verfassungsbeschwerden gezählt.

Von den als Verfassungsbeschwerden behandelten Anträgen nimmt  der Zweite Senat 89 Prozent und der Erste Senat 49 Prozent ohne Begründung nicht zur Entscheidung an. Das erlaubt § 93a BVerfGG, wenn der Verfassungsbeschwerde weder eine grundsätzliche Bedeutung zukommt noch ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte angezeigt ist, dem Beschwerdeführer insbesondere kein besonders schwerer Nachteil entsteht.

Mutwille und Absicht in Karlsruhe

Alle Verfassungsbeschwerden, die künftig erst nach der "Mutwillensgebühr" bearbeitet werden sollen, können also schon heute mit einer Belehrung durch die Gerichtsverwaltung im Allgemeinen Register oder durch einen Kammerbeschluss ohne Begründung erledigt werden. Wenn die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit einer Beschwerde wirklich evident ist, wird ihre von den wissenschaftlichen Mitarbeitern vorbereitete begründungslose Abweisung kaum Arbeitszeit der Richterinnen und Richter in Anspruch nehmen. Wenn mehr Zeit benötigt wird, fehlt es offensichtlich an der Evidenz.

Das Gericht sollte also nicht nach dem Gebührengesetzgeber rufen, sondern sich entlasten, indem es die ihm längst offenstehenden Möglichkeiten durch sinnvolle Gestaltung seines internen Verfahrens entschlossen nutzt. So bleibt das wichtige Jedermannsrecht erhalten und das Vertrauen der Bevölkerung in "Karlsruhe"  unangetastet.

Wer eine Verfassungsbeschwerde erhebt, handelt immer mutwillig, nämlich mit Absicht. Er behauptet eine Grundrechtsverletzung und hat ein Recht darauf, dass diese Behauptung von den gewählten Mitgliedern des Gerichts geprüft wird - selbst wenn sie diesen als fernliegend erscheint.

Der Autor Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Joachim Wieland, Überlastete Verfassungsrichter: Eine Mutwillensgebühr gegen den Rechtsstaat . In: Legal Tribune Online, 16.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5994/ (abgerufen am: 30.05.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Staatsrecht und Staatsorganisationsrecht
    • BVerfG
    • Gebühren
    • Grundrechte
    • Justiz
    • Richter
    • Verfahrensgrundsätze
  • Gerichte
    • Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
27.05.2023
BVerfG

Abschied von Baer und Britz am BVerfG:

"Diver­sität ist berei­chernd"

In einer bewegenden Abschiedsrede reflektierte Susanne Baer ihre Rolle als erste offen lesbische Verfassungsrichterin. Sie und Gabriele Britz warnten vor populistischen Angriffen auf das BVerfG. Christian Rath hat zugehört.

Artikel lesen
26.05.2023
Justiz

Justizministerkonferenz Frühjahr 2023 in Berlin:

Die wich­tigsten Beschlüsse im Über­blick

Juristenausbildung ohne Verfassungsfeinde, dafür vielleicht doch mit Ruhetagen, höhere Streitwertgrenzen an Amtsgerichten und E-Scooter ohne Haftungsprivilegierung: Die Justizministerinnen und Justizminister hatten viel zu besprechen.

Artikel lesen
30.05.2023
Abgasaffäre

BGH vor Entscheidung im Dieselskandal 2.0:

So könnte sich der Scha­dens­er­satz bei Ther­mo­fens­tern berechnen

Der BGH tendiert dazu, bei Thermofenstern einen "mittleren Schadensersatz" statt Kaufpreisrückerstattung zuzusprechen. Wieviel Geld für Dieselkunden ergäbe das und droht ein Berechnungschaos? Hans-Peter Schwintowski mit Einschätzungen. 

Artikel lesen
30.05.2023
Patente

Gemeinsame europäische Gerichtsbarkeit:

Neues Ein­heit­li­ches Pat­ent­ge­richt nimmt Arbeit auf

Am 01. Juni wird das neue EU-Einheitspatent eingeführt. Streitigkeiten darüber werden zukünftig an einem neuen Einheitlichen Patentgericht geführt. In Deutschland nehmen fünf Standorte des Gerichts ihre Arbeit auf. 

Artikel lesen
28.05.2023
Referendariat

Gestrichene Prüfungsorte in Bayern:

Laptop und Land­straße

Bayern streicht Prüfungsstandorte, um das E-Examen einzuführen. Das schafft Ungleichheit und macht nicht nur die Juristenausbildung unattraktiver, sondern wird auch zum übergeordneten Glaubwürdigkeitsproblem für die Politik, meint Holm Putzke.

Artikel lesen
29.05.2023
Jurastudium

Videobericht zu Demonstration vor Justizministerkonferenz:

"Die juris­ti­sche Aus­bil­dung darf nicht krank machen!"

Empörte Nachwuchsjuristen gewappnet mit Megaphon und Schildern richten ihre Reform-Forderungen an die in Berlin tagenden Justizminister. Angesichts sinkender Studentenzahlen liegt der Handlungsbedarf auf der Hand. Wie reagiert die Politik? 

Artikel lesen
TopJOBS
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder Frei­be­ruf­ler

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Rechts­an­wäl­te (m/w/d) für Arzt­haf­tung, Haf­tungs­recht und Ver­si­che­rungs­recht...

HALM WENZEL & Collegen , Köln

Re­fe­ren­da­re (m/w/d) für ver­schie­de­ne Rechts­ge­bie­te

Görg , Ham­burg

Geld ver­die­nen als Te­le­fon­an­walt / Te­le­fon­an­wäl­tin

DAHAG Rechtsservices AG , 100% Re­mo­te

Rich­ter/in auf Pro­be (m/w/d)

Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt , Mag­de­burg

Schu­lungs­re­fe­rent ju­ris­ti­sche Soft­wa­re­lö­sun­gen / Cli­ent Trai­ner (m/w/d) -...

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Han­no­ver

Voll­ju­ris­ten (m/w/d) – Ih­re Zu­kunft in der hes­si­schen Jus­tiz

Hessisches Ministerium der Justiz , Wies­ba­den

Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Online Info Session Part-time Master (MA)

06.06.2023

CV writing workshop – What it takes to stand out

06.06.2023

Internationale Vertragsgestaltung

07.06.2023

Online Info Session Bachelor in Law, Politics and Economics (BA)

07.06.2023

Online Info Session Bachelor in Business Studies (BSc)

07.06.2023

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH