Bundestagswahl 2017: "Minus­zu­wan­de­rung" oder Recht auf Asyl?

von Annelie Kaufmann

29.08.2017

Der Wahlkampf fällt weitgehend aus, wenige Themen sorgen wirklich für Streit. Aber in der Frage, wie sie mit Flüchtlingen umgehen wollen, unterscheiden sich die Parteien deutlich. Hier zeigt sich auch ihre Haltung zu Europa.

Wie viele Flüchtlinge kann und soll Deutschland aufnehmen? CSU-Chef Horst Seehofer bleibt im Wahlkampf bei einer Obergrenze von maximal 200.000 Flüchtlingen pro Jahr. Die Bundeskanzlerin ist dagegen, im Wahlprogramm von CDU und CSU findet sich diese Zahl nicht, hier heißt es: "Wir wollen, dass die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, dauerhaft niedrig bleibt." Während im Jahr 2016 rund 720.000 Asylanträge gestellt wurden, waren es in der ersten Hälfte des Jahres 2017 nur noch rund 100.000. Seehofer hatte vor kurzem gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters betont, ob es nun "Obergrenze" oder "Kontingent" heiße, sei "nicht mein Problem". Könnte das einen schwarz-grünen Kompromiss möglich machen?

Die Grünen lehnen zwar – wie Linke und FDP – eine Obergrenze strikt ab. Sie wollen aber Kontingente einrichten "wie beispielsweise ein großzügig angelegtes Resettlementprogramm" unter der Leitung des UN-Flüchtlingskommissariats. Gemeint sind damit Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen etwa aus Bürgerkriegsgebieten, sie können dann legal einreisen. Die Grünen betonen allerdings, Resettlement sei eine Ergänzung zum bestehenden Flüchtlingsschutz der Genfer Flüchtlingskonvention. Das individuelle Asylrecht werde dadurch nicht angetastet. Hier liegt das Problem an Seehofers Forderung: Eine absolute Obergrenze wäre mit dem Grundrecht auf Asyl nicht vereinbar und, praktisch viel relevanter, auch nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Qualifikationsrichtlinie.

Die SPD geht auf die Obergrenzen-Debatte in ihrem Wahlprogramm nicht ausdrücklich ein, betont aber, das Recht auf Asyl müsse "unangetastet bleiben". Ähnlich wie CDU, FDP und Grüne setzen die Sozialdemokraten vor allem auf eine europäische Lösung und fordern, Flüchtlinge nach einem fairen Schlüssel auf alle EU-Mitgliedstaaten zu verteilen. Die Linken sind gegen Quoten, Kontingente und auch gegen Punktesysteme, die eine Einwanderung von qualifizierten Arbeitnehmern regeln könnten: "Wir lehnen eine Einwanderungs- und Integrationspolitik ab, die Rechte danach vergibt, ob Menschen den richtigen Pass haben oder als 'nützlich' für Unternehmen gelten", heißt es im Wahlprogramm der Partei. Stattdessen müsse "das Grundrecht auf Asyl in seiner Substanz wiederhergestellt werden."

Die AfD hingegen will eine "Minuszuwanderung" und fordert eine "jährliche Mindestabschiebequote". Sie sieht eine "Bedrohung Europas durch Bevölkerungsexplosionen und Migrationsströme der globalisierten Gegenwart und Zukunft", deshalb müsse unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention "neu verhandelt werden". Zudem müsse "der massenhafte Missbrauch des Asylgrundrechts" durch "eine Grundgesetzänderung beendet werden". Außerdem fordert die AfD "strenge Kontrollen an den deutschen Grenzübergängen wie auch die Bewachung der grünen Grenze durch integrierte Sicherungssysteme, zu denen auch Zäune gehören können."

Asylverfahren, Abschiebung, Bleiberecht – es soll schneller gehen

Union, SPD und FDP wollen schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen. Die Grünen wenden sich "gegen den an Zahlen ausgerichteten Abschiebepopulismus der Großen Koalition". Die Linke lehnt Abschiebungen gänzlich ab. SPD und Grüne betonen, die Lage in Afghanistan sei zurzeit zu unsicher, um dorthin abzuschieben. Damit das Verfahren schneller geht, will die Union auch Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern erklären – mit der Folge, dass die Anträge in der Regel als offensichtlich unbegründet abgelehnt würden. Grüne und Linke halten das für falsch.

Menschen, "die seit mindestens zwei Jahren in Deutschland leben, hier nicht straffällig geworden sind und Arbeit haben oder auch zur Schule gehen", sollen nach dem Willen der SPD nicht abgeschoben werden. Die Linke will spätestens nach fünf Jahren ein Bleiberecht für alle Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus.

Seit März 2016 dürfen Menschen, die nicht als Flüchtlinge anerkannt sind, sondern – insbesondere wegen eines Bürgerkrieges im Herkunftsland – nur den sogenannten subsidiären Schutzstatus haben, ihre Familienangehörigen nicht nach Deutschland nachholen. Die SPD will diese Regelung, die bis März 2018 befristet ist, nicht verlängern. Weniger bürokratische Hürden für die Angehörigen fordern Grüne und Linke. Die AfD lehnt "jeglichen Familiennachzug für Flüchtlinge" ab – was allerdings so pauschal mit EU-Recht nicht vereinbar wäre.

Um besonders qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen, sprechen sich fast alle Parteien für ein Einwanderungsgesetz aus, beziehungsweise für ein "Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz", wie es bei der Union heißt. Nur die Linke ist dagegen und will es stattdessen Asylsuchenden und anderen Migranten gleichermaßen leichter machen, ihrer Qualifikation entsprechend in Deutschland zu arbeiten. Bei der AfD heißt es hingegen, Vorrang vor Zuwanderung hätten "familien- und bevölkerungspolitische Maßnahmen", insbesondere eine "aktivierende Familienpolitik".

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Bundestagswahl 2017: . In: Legal Tribune Online, 29.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24191 (abgerufen am: 08.10.2024 )

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