"Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben" – das Plakat, von dem die Kanzlerin lächelt, ist repräsentativ für die Inhaltsleere des Wahlkampfs. Dabei ist die innere Sicherheit ein echtes Streitthema. Wofür stehen die Parteien?
Klar ist, dass die Union über die sicherheitspolitischen Reformen, auf die sich die Große Koalition kurz vor Ende dieser Legislaturperiode geeinigt hat, noch hinausgehen will. Dazu gehört etwa der Einsatz intelligenter Videoüberwachung. Am Berliner Bahnhof Südkreuz wird das zurzeit schon in einem Pilotprojekt von Bundesinnenministerium, Bundeskriminalamt und Bundespolizei getestet, hier gleichen Kameras die Gesichter von 275 Testpersonen mit Passanten ab – künftig sollen so polizeibekannte Straftäter oder Gefährder automatisch erkannt werden. Diese Technik wollen CDU und CSU an "öffentlichen Gefahrenorten", etwa in Einkaufszentren, vor Fußballstadien und an großen Bahnhöfen, einsetzen.
Die SPD würde das mitmachen: "Wo Videotechnik hilft, Gefahren vorzubeugen und Beweise zu sichern, soll sie eingesetzt werden", heißt es in deren Wahlprogramm. "Ich kann mir vorstellen, dass wir an Bahnhöfen automatische Gesichtserkennung einsetzen, wenn sich Modellprojekte dazu bewähren", so die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl im Gespräch mit LTO. "Im Übrigen haben wir auf Bundesebene aber bereits alles getan. Jetzt müssen die Länder entscheiden, ob sie die Videoüberwachung im öffentlichen Raum ausweiten wollen."
Grüne und Linke sehen die automatische Gesichtserkennung kritisch, die AfD ist dafür. Bedeckt hält sich die FDP: Man wolle Videoüberwachung "verantwortungsvoll einsetzen" und "in jedem Einzelfall prüfen". Abzuwarten bleibt, ob die Gesichtserkennung überhaupt in absehbarer Zeit zuverlässig funktioniert. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Konstantin von Notz, kritisiert das Pilotprojekt am Südkreuz scharf: "Viele Fragen der technischen Ausgestaltung und der rechtlichen und politischen Verantwortung für das Projekt sind ungeklärt. Auf der Grundlage bestehender gesetzlicher Rechtsgrundlagen ist das Projekt schon gar nicht zulässig, weil es an einer hinreichend bestimmten und normenklaren Rechtsgrundlage fehlt." Bis diese Fragen geklärt seien, bestehe die Gefahr, "dass hier mit einem ungeeigneten und nicht erforderlichen Mittel massiv in Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird."
DNA-Analyse ausweiten: Wie sieht der Täter aus?
Ein weiteres umstrittenes Thema: Brauchen die Strafverfolgungsbehörden mehr Ermittlungsbefugnisse, um Kriminalität besser bekämpfen zu können? Die Große Koalition hat sich kurz vor Ende der Legislaturperiode noch auf einige Reformen geeinigt und viele langjährige Forderungen der Strafverfolger erfüllt. Dazu gehören die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Online-Durchsuchung von Computern oder Telefonen. Umstritten bleibt der Umgang mit DNA-Spuren: Sowohl die Union als auch die AfD wollen die Analyse ausweiten. Die Ermittler könnten dann nicht nur DNA-Spuren am Tatort mit dem genetischen Fingerabdruck eines bereits bekannten Tatverdächtigen abgleichen, sondern auch Schlüsse auf das äußere Erscheinungsbild, der Herkunft oder das Alter eines Straftäters ziehen. Die SPD hatte sich zwar darauf eingelassen, dass auch "Beinahe-Treffer" verwertet werden dürfen, also von Verwandten auf den Täter geschlossen werden darf, will eine weitere Ausdehnung der DNA-Analyse aber erst nach der Bundestagswahl diskutieren.
Grundsätzlich dagegen ist die SPD jedoch nicht. "Wir wollen die DNA-Analyse erweitern, das kann bei der Strafverfolgung sehr hilfreich sein", so Högl. "Wir müssen aber auch genau schauen, um welche Merkmale es gehen soll und was die Voraussetzungen im Einzelnen sind."
Die Grünen sehen die Methode kritisch, sperren sich aber auch nicht gegen jede Ausweitung. Bedingung sei eine hinreichende Sicherheit und Fehlerfreiheit der Analyse, sowie strikte Voraussetzungen, so von Notz: "Die derzeit mögliche Speicherung der Informationen muss bei der Erweiterung der forensischen DNA-Analyse ausgeschlossen werden. Es darf in keinem Fall zu irgendeiner Art von 'Rassedatei' oder ähnlichem kommen."
2/2: Mehr Schleierfahndung, mehr Polizei, mehr Justiz – Union und SPD machen Druck
Alle Parteien wollen die Polizei stärken. Union und SPD versprechen 15.000 zusätzliche Polizeibeamte, auch Grüne und Linke fordern mehr Personal und die FDP will eine "Haushaltspriorität für Polizei und Justiz", der Staat müsse hier "deutlich mehr Geld" ausgeben. Die AfD will nicht nur mehr Beamte, sondern auch eine bundeseinheitliche Besoldung, Bodycams und Taser für alle Polizisten sowie "bundeseinheitliche Uniformen".
Dabei gilt auch hier: Neue Stellen müssen die Länder schaffen und allein sie sind auch dafür zuständig, Ausstattung, Aufgaben und Befugnisse der Polizei zu regeln. Die Innenminister haben sich allerdings bereits darauf geeinigt, ein neues Musterpolizeigesetz zu entwerfen. Bindend wäre das nicht, aber es könnte zu einheitlicheren Polizeigesetzen in den Ländern führen. Vor allem die Union will hier Druck machen.
Högl betont, neben der Polizei müsse auch die Justiz gestärkt werden: "Die Staatsanwaltschaften und die Strafgerichte sind nicht so ausgestattet, dass sie eine effektive Strafverfolgung leisten können. Hier müssen die Länder dringend nachbessern." Auch die Union hatte mehrfach eine bessere Ausstattung der Justiz angemahnt. Mehr als an die Länder appellieren kann sie allerdings nicht.
Ähnlich sieht es bei der Schleierfahndung aus: CDU/CSU haben sie zum Wahlkampfthema gemacht und fordern anlasslose Polizeikontrollen "in ganz Deutschland". Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hatte auf der Innenministerkonferenz im Juni sogar von einer "eklatanten Sicherheitslücke" gesprochen, "die unbedingt geschlossen" werden müsse. Bisher ziehen jedoch nicht alle Bundesländer mit. Bremen und Berlin halten die Schleierfahndung schlicht nicht für erforderlich, in Nordrhein-Westfalen musste sich die Union mit der FDP auf einen Kompromiss einigen – die "strategische Fahndung" darf dort zwar auch verdachtsunabhängig erfolgen, soll aber zumindest einen bestimmten Anlass haben, etwa wenn die Polizei Hinweise auf eine flüchtige Einbrecherbande hat.
Zudem hat der Europäische Gerichtshof vor kurzem auf Vorlage des Amtsgerichts Kehl klargestellt, dass anlasslose Kontrollen der Bundespolizei im Grenzgebiet nur dann zulässig sind, wenn sie nicht die gleiche Wirkung haben wie Grenzübertrittskontrollen.
Grüne, Linke und FDP wollen die Nachrichtendienste reformieren
Im Gegensatz zur Stärkung der Polizei ist der Umbau der Sicherheitsbehörden ein Thema, das der Bundesgesetzgeber weitgehend selbst in der Hand hat. Ideen gibt es einige, vor allem aus der Opposition: Die Grünen wollen den Verfassungsschutz umstrukturieren und stattdessen ein neues "Bundesamt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr" schaffen. Das soll mit nachrichtendienstlichen Mitteln "klar abgegrenzt von polizeilichen Aufgaben" arbeiten. Die allgemeine Beobachtung demokratie- und menschenfeindlicher Bestrebungen soll nach dem Willen den Grünen ein unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung übernehmen, das ausschließlich öffentliche Quellen nutzt. Zudem soll das System der Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskriminalamt und den Staatsschutzdienststellen der Bundesländer verbessert werden.
Auch die FDP will eine Reform der Sicherheitsarchitektur. Zurzeit seien "zu viele Behörden für unsere Sicherheit zuständig", heißt es im Wahlprogramm. Wie die "klare Kompetenzabgrenzung ohne Doppelzuständigkeiten" aussehen soll, bleibt allerdings unklar. Die Liberalen wollen außerdem das parlamentarische Kontrollgremium und die G-10-Kommission stärken. Den von ihr geforderten Parlamentarischen Geheimdienstbeauftragten gibt es allerdings schon, SPD und Union haben Anfang des Jahres den Juristen Arne Schlatmann zum "Ständigen Bevollmächtigten des Parlamentarischen Kontrollgremiums" ernannt. In der Öffentlichkeit ist er allerdings bisher kaum in Erscheinung getreten.
Die AfD versteht unter einer "nationalen Sicherheitsstragtegie" vor allem mehr "zivil-militärische Zusammenarbeit". In ihrem Wahlprogramm heißt es: "Staat und Bürger müssen gegen gewaltbereite Akteure, die sich bereits legal oder illegal im Land befinden, geschützt werden. Zu erreichen ist dies durch neue dezentralisierte Strukturen mit zentraler Koordination und allzeit verfügbare schnelle Reaktionskräfte."
Die Linke will die Geheimdienste "perspektivisch ganz abschaffen." Als erstes müsse der Einsatz von V-Leuten durch Polizei und Verfassungsschutz beendet werden. Union und SPD verweisen hingegen auf die Reformen der vergangenen Legislaturperiode und setzen auf mehr Zusammenarbeit mit den Ländern. CDU und CSU wollen in Absprache mit den Ländern das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) "so weiterentwickeln, dass dort gemeinsam über verbindliche Maßnahmen entschieden werden kann", die SPD insbesondere das Bundeskriminalamt "in seiner zentralen Koordinierungsfunktion stärken." Dass sich die Sicherheitsbehörden nicht nur mit dem Islamismus befassen, sondern auch Strategien gegen Rechtsextremismus finden müssen, betonen insbesondere SPD, Linke und Grüne.
Annelie Kaufmann, Bundestagswahl 2017: Immer mehr innere Sicherheit? . In: Legal Tribune Online, 16.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23969/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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