Die Vergütung von Betriebsräten hat zuletzt zu vielen Klageverfahren vor den Arbeitsgerichten geführt. Nun hat der Bundestag eine Neuregelung verabschiedet. Klarheit bringt sie nur teilweise, meint Jörn Kuhn.
Über Jahre erhielten nicht nur Betriebsräte bei VW üppige Vergütungen. Doch was steht ihnen zu, um das Ehrenamt attraktiv zu halten und gleichzeitig schon den Anschein von Käuflichkeit zu vermeiden? Der Bundestag hat sich an einer Regelung versucht, die nun verabschiedet wurde. Leider bietet die Formulierung noch immer Raum für Kritik, erste Verfahren bei den Arbeitsgerichten dürften nicht lange auf sich warten lassen.
Dabei ist die Tätigkeit von Betriebsräten seit jeher mit einigen wesentlichen Leitplanken ausgestattet. Da sie ein privatrechtliches und unentgeltliches Ehrenamt ist, erhalten die Betriebsräte für ihre Tätigkeit nach dem Lohnausfallprinzip die Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Das ist im Wesentlichen das Arbeitsentgelt, welches sie erhalten hätten, wenn sie gearbeitet hätten, § 37 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Zudem gibt es das so genannte Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot aus § 78 Satz 2 BetrVG. Danach dürfen die Ehrenamtler nicht auf ihrer Gehaltstufe bei Übernahme der Betriebsratstätigkeit stehen bleiben, vielmehr muss ihr Gehalt sich mit den Lohnzuwächsen der vergleichbaren Kolleg:innen ebenfalls weiterentwickeln. Die Idee dahinter ist, dass auch eine Betriebsratstätigkeit nicht zu Nachteilen durch ausbleibende Gehaltssteigerungen führen darf.
In der betrieblichen Praxis kam es nach Medienberichten ungeachtet dessen vor, dass manch ein Betriebsratsmitglied auf dem Gehaltsniveau eines leitenden Angestellten oder eines Geschäftsführers ankam. So erhielt etwa der langjährige VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh in bonusstarken Jahren einschließlich seines Gehalts bis zu 750.000 Euro.
Es stellte sich die Frage, ob die Vergütungsfestlegungen strafrechtlich relevant waren. Gegen die zuständigen Personalmanager standen Vorwürfe der Untreue nach § 266 Strafgesetzbuch (StGB) und verbotene Betriebsbegünstigung nach § 119 BetrVG im Raum. Der BGH sah diese Möglichkeit und hob Freisprüche der Vorinstanz Anfang 2023 auf (Urt. v. 10.01.2023, Az. 6 StR 133/22).
Bei der Argumentation setzte sich der BGH allerdings in Widerspruch zur Rechtsprechung des fachlich zuständigen Bundesarbeitsgerichts (BAG) - die Verwirrung war komplett. Die Unternehmen sahen sich bemüßigt, die Gehälter ihrer Betriebsräte vorsichtshalber zu kürzen, was wiederum zu einer Klagewelle vor den Arbeitsgerichten führte. Diese war allerdings durchaus in aller Regel im Sinne der Unternehmen, um gemeinsam zu einer Klarstellung zu kommen. Denn Rechtssicherheit gab es für keinen der Beteiligten.
Wörtliche Übernahme des Experten-Vorschlags
Der Gesetzgeber beauftragte im Mai 2023 eine Expertenkommission "Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung". Der Vorschlag der Kommission ging auf Anpassung der Regelungen in § 37 und § 78 BetrVG, die wörtlich in dem Entwurf für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes-mündeten. Im November 2023 ging dieser Entwurf an den Bundestag und danach passierte eine Weile nicht viel. Es gab Kritik von der juristischen Literatur, es gab Ausschusssitzungen und das Übliche. Ein schneller Durchmarsch wie von vielen erwartet mit einer Gesetzesänderung noch im Januar oder Februar dieses Jahres fand nicht statt.
Für viele überraschend hat dann am 28. Juni 2024 der Bundestag in dritter Lesung die Gesetzesänderung beschlossen, die wiederum eine nahezu eins-zu-eins-Umsetzung des Expertenvorschlag beinhalten.
Danach werden nun wie schon im September 2023 von der Kommission vorgeschlagen in § 37 Abs. 4 BetrVG folgende Sätze ergänzt:
"Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Satz 1 ist auf den Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes abzustellen, soweit nicht ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung vorliegt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; Gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist."
In § 78 BetrVG wird folgender Satz ergänzt:
"Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Arbeitsentgelt nicht vor, wenn das Mitglied einer in Satz 1 genannten Vertretung in seiner Person die für die Gewährung des Arbeitsentgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt."
Mehr Bürokratie dank BGH
Kritik an dem Gesetzentwurf gab es bereits reichlich angefangen mit deutlicher Schelte für den BGH, ohne den es nach einigen Ansichten keiner gesetzlichen Neuregelung bedurft hätte. Der hätte vielmehr vorab ein Vorlegungsverfahren an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe einleiten müssen. Dies vor allem, weil sich der BGH in seiner Entscheidung auch auf das BAG bezieht. Die Rechtsunsicherheit ist also durch den BGH verschuldet. Der BGH hätte schon aus der Kritik an einer früheren Entscheidung vom 25. Oktober 2012 (AZ: III ZR 266/12) lernen können. Damals hat er die persönliche Haftung für Betriebsratsmitglieder bei Kosten für deren Berater angenommen – was ebenfalls zu Divergenzen zur BAG-Rechtsprechung geführt hatte. Er hätte also bereits lernen können, das Terrain des Betriebsverfassungsrechts nicht ohne Abstimmung mit dem BAG zu betreten. Faktisch sind jetzt dadurch weitere Normen geschaffen worden, die zu mehr Bürokratie bei den Unternehmen führen.
Die Kritik aus den Reihen der Arbeitnehmer- und Betriebsratsanwälte machte sich vor allem daran fest, dass die gesetzliche Neuregelung nur eine eindimensionale Betrachtungsweise zu Gunsten der Unternehmen und dort handelnden Personen zulässt. Diese sollen vor etwaigen Straftaten geschützt werden. Umgekehrt sei der aus ihrer Sicht in der betrieblichen Praxis häufig auftretende Sachverhalt der Benachteiligung von Betriebsräten durch die Festlegung einer zu geringen Vergütung nicht geklärt. Betriebsratsmitgliedern bliebe nur der steinige Weg der Individualklage bei Benachteiligungen. Ein ergänzender Vorschlag war also – hier nur verkürzt wiedergegeben –, die Festlegung zur Vergütung, inkl. Vergleichspersonen, im Zweifel durch Spruch einer Einigungsstelle, wenn keine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vorliegt.
Keine Lösung für nicht-freigestellte Betriebsräte
Im Einzelnen gibt es auch von Arbeitgebervertretern Kritik, dass die Änderungen nur halbherzig sind und offene Fragen ungeklärt bleiben. In der Praxis stellen sich nicht nur bei voll freigestellten Betriebsratsmitgliedern Fragen der Vergütung, sondern häufig auch bei nicht freigestellten Betriebsratsmitgliedern. So ist vor allem die Frage der Bemessung variabler Vergütungsbestandteile nicht geklärt. Das BAG hat hierzu schlichtweg keine praktikable Lösung (vgl. BAG v. 29. 04.2015, Az. 7 AZR 123/13).
Generelle Kritik, die auch zukünftig wesentlich für den Umgang mit der gesetzlichen Neureglung ist, liegt zunächst in der deutlichen Mehrung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die gesetzlichen Neuregelungen und eines damit deutlich 'schwammigeren' Umgangs mit der Vergütung von Betriebsräten. Das ist aber das Dilemma vieler Gesetze: Einerseits zeichnen sie sich gerade dadurch aus, dass abstrakte Sätze eine Vielzahl von Sachverhalten erfassen, andererseits führt dieses häufig nicht zu mehr Rechtssicherheit für den Einzelfall.
Zudem sind unzulässige Kopplungsgeschäfte mit dem Betriebsrat zu fürchten. Die vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung zur Festlegung des Verfahrens für Betriebsratsvergütungen ist ein sehr gewichtiger Punkt, dem sich manches Unternehmen wohl oder übel stellen muss.
Mehr Schlaf für die Personalmanager
Der Warnschuss war laut und deutlich. In der betrieblichen Praxis ist ein hohes Maß an Sensibilisierung bei dem Thema der Betriebsratsvergütung eingetreten. Dabei darf man auch nicht außer Acht lassen, dass weniger die betroffenen Beteiligten Anzeigen gestellt haben, sondern – so in vielen Fällen in der Vergangenheit – auch gewerkschaftsseitig zum Schutz der betrieblichen Mitbestimmung der Ball ins Rollen gebracht wurde. Dass kann man insoweit nachvollziehen, als dass der Verdacht der Käuflichkeit/Bestechlichkeit von Betriebsräten durch hohe Vergütungen einen erheblichen Flurschaden für die Mitbestimmung generell auslösen kann.
Auch die Staatsanwaltschaften werden es sich zukünftig nicht nehmen lassen, angezeigten Missständen nachzugehen. Die Regelung des § 119 BetrVG mag ein schwaches Schwert sein, aber Verfahren wegen Untreue nach § 266 StGB sind ein anderes Kaliber.
Unternehmen kann man keine pauschale Antwort geben, wie sie mit dem neuen Gesetz umzugehen haben. Wichtig ist zukünftig die Festlegung einer lückenlosen Dokumentation unter Beachtung der aus dem Gesetz und der Gesetzesbegründung vorhandenen Anhaltspunkte.
Was bleibt ist also die Erkenntnis, dass es ein weiteres Gesetz gibt. Es wird manch ein Gerichtsverfahren erledigen. Einzelne werden wieder ruhiger schlafen können. Und die Juristen brauchen angesichts der Auslegungsspielräume, die im Gesetz liegen, keine Sorge haben müssen, dass sie von einer KI abgelöst werden.
Jörn Kuhn ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Oppenhoff in Köln.
Neue Betriebsratsvergütung: . In: Legal Tribune Online, 04.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54930 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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