Bundestagsfraktion kann Forderung nicht begleichen: Eine pro­fi­table Pleite

Gastbeitrag von Alexander Hobusch

06.08.2018

Die "alte" FDP-Fraktion kann ausstehende Rechnungen einer Versorgungskasse in Millionenhöhe nicht zahlen, weil sie ihre Rücklagen verprasst hat. Ein Beispiel für klaffende Lücken im Recht der Fraktionsfinanzierung, meint Alexander Hobusch.

Wäre die FDP-Fraktion mal besser im Bundestag verblieben - das wird sich gerade die Rheinische Zusatzversorgungskasse (RZVK) denken. Denn diese läuft seit dem zwischenzeitlichen Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag im Jahr 2013 einer Forderung von 5,8 Millionen Euro hinterher. Da sich die enormen Rücklagen der damaligen FDP-Fraktion aber just in den zwei Jahren vor dem Ausscheiden in Luft auflösten, ist die Forderung uneinbringlich. Zuletzt ließ die Kasse verlauten, die Forderung nicht weiter betreiben zu wollen.

Würden Fraktionen wie ein normales Unternehmen behandelt, so hätten sich die Beteiligten wohl des Bankrotts (§ 283 StGB) strafbar gemacht. Ein normales Unternehmen ist eine Fraktion aber nicht, die ausbleibenden Zahlungen werden jetzt die anderen Zahler der RZVK ausgleichen müssen. Ein Paradebeispiel dafür, wie wenig reguliert die Fraktionsfinanzierung noch immer ist und welcher offensichtliche Missbrauch möglich ist.

Großer Spielraum beim Geldausgeben

Die Fraktionen werden nahezu ausschließlich staatlich finanziert. Und das nicht zu knapp: Die staatlichen Zuschüsse belaufen sich zukünftig auf knapp 115 Millionen Euro jährlich. Dass das zu viel ist und die Fraktionen überfinanziert werden, ist vielerorts heftig kritisiert worden.

Das Besondere: Die Fraktionen erhalten ihre Gelder als Globalzuschuss, das heißt, sie können selber entscheiden, für welche Posten sie das Geld ausgeben wollen. Das einzige Kriterium, das für sie gilt, ist die allgemeine Zweckbindung. Das Geld muss also für parlamentarische Aufgaben ausgegeben werden, was den Fraktionen eine gewisse Flexibilität gewährt.

Vorgesehen ist auch die Möglichkeit, Geld zurückzulegen. In den Rechnungen der Fraktionen wird zwischen Rückstellungen und Rücklagen unterschieden. So sieht es das Abgeordnetengesetz (AbgG) in § 53 Abs. 3 Nr. 2 a) und b) vor. Rückstellungen werden nach steuerrechtlichem Verständnis für ungewisse Verbindlichkeiten oder drohende Verluste gebildet. Sie bilden also Belastungen ab, die am Bilanzstichtag bestehen. Rücklagen hingegen sind nicht risikobelastetes Vermögen, also weiterhin bestehendes Eigenkapital, was zweckfrei verfügbar ist.

Rücklagen laden zu Missbrauch ein

Die angehäuften Rücklagen der Fraktionen sind enorm. Bei der CDU/CSU waren es 2016 über 20 Millionen Euro, bei der SPD knapp 10 Millionen Euro. Diese Rücklagen können die Fraktionen auch bequem mit in die nächste Legislatur mitnehmen – sofern sie in dieser auch vertreten sind und nicht wie die FDP eine Zwangspause einlegen müssen: Nach § 54 Abs. 7 AbgG kann eine Fraktion des neuen Parlaments die Rechtsnachfolge der alten Fraktion antreten – und die Ersparnisse direkt mitnehmen. Dass so die Überfinanzierung verschärft wird, liegt auf der Hand.

Ebenso klar ist, dass Rücklagen in Millionenhöhe zum Missbrauch einladen. Zwar ist hinlänglich geklärt, dass Fraktionsgelder nicht für Öffentlichkeitsarbeit der Parteien ausgegeben werden dürfen. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Fraktionen diesen (illegalen) Weg bestreiten; zu groß ist die Verlockung, die Parteiarbeit quer zu finanzieren.

So auch bei eben der FDP-Bundestagsfraktion, die in den Jahren 2012 und 2013 ihre Rücklagen auflöste: Ein Werbeschreiben der damaligen Fraktion im Vorfeld der Landtagswahl 2012 in NRW wurde vom Verfassungsgerichtshof etwa als unzulässige Wahlwerbung gerügt. Eine ähnliche Aktion gab es auch im Jahre 2013 im Vorfeld der Bundestagswahl.

Verstoß gegen Buchführungspflicht?

Der Gesetzgeber hat es mit der Differenzierung von Rücklagen und Rückstellungen durchaus gut gemeint: Nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und drohende Verluste zu bilden. Sie dürfen nur dann aufgelöst werden, wenn der Grund für die Rückstellung entfallen ist (Abs. 2). Diese Norm gilt für die Fraktionen zwar nicht unmittelbar.

Allerdings schreibt § 51 Abs. 2 AbgG den Fraktionen vor, ihre Bücher nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung zu führen. § 249 HGB ist eine Konkretisierung des in diesen Grundsätzen enthaltenen Vorsichtsprinzips: Drohenden Verlusten soll der Kaufmann mit Rückstellungen begegnen. Ausreichende Rückstellungen hat die damalige FDP-Fraktion aber vorliegend überhaupt nicht gebildet, ganz im Gegenteil. Die Rechnungsprüfer (§ 52 Abs. 4 AbgG) stellten für 2013 lediglich fest, dass die Höhe der sonstigen Rückstellungen nicht geklärt sei, da möglicherweise ein Anspruch der Versorgungskasse bestehe (BT-Drs. 18/1485, S. 4). Für solche ungewisse Verbindlichkeiten hätte die Fraktion aber Gelder zurücklegen müssen.

Acht Millionen Euro Rücklagen in zwei Jahren verprasst

Bei der FDP-Fraktion wurde überschüssiges Geld stattdessen vor allem in Rücklagen geparkt. So hatte man im Jahr 2010 8,7 Millionen als Rücklagen hinterlegt, aber nur gut 461.000 Euro als Rückstellung. Im Jahr 2011 wuchs der Rücklagenberg sogar noch an, gut neun Millionen Euro waren es dann. Die Rückstellungen zu diesem Zeitpunkt stiegen zwar ebenfalls an, aber nur vergleichsweise mager: Sie lagen mittlerweile bei etwa 500.000 Euro. Die Summe der Rücklagen und Rückstellungen erreichte damals schon eine enorme Höhe dafür, dass die FDP zu den kleineren Fraktionen zählte.

Im Jahr 2012 zapfte man erstmals in größerem Umfang die Rücklagen an: Gut drei Millionen Euro wurden dabei ausgegeben. Bei der Ausgabenübersicht lässt sich das vor allem an dem Posten für Öffentlichkeitsarbeit ablesen. Der liegt plötzlich mit über 5 Millionen Euro deutlich über den Vorjahren (2010: ca. 1,4 Millionen Euro; 2011: ca. 2,8 Millionen Euro).

Dennoch verblieben weitere 5,8 Millionen Euro als Rücklagen, auch die Rückstellungen waren vergleichsweise wenig, aber immerhin auf ansehnliche 600.000 Euro gewachsen. Im Jahr 2013, welches für die Fraktion nur von Januar bis zum Ausscheiden aus dem Parlament im Oktober ging, setzt sich der Trend fort: In nur 10 Monaten gab die Fraktion noch einmal eine Million Euro mehr für Öffentlichkeitsarbeit aus als im gesamten Jahr zuvor und das Vierfache von 2010, also über sechs Millionen Euro. Zum Vergleich: Die Wahlkampfausgaben der Mutterpartei FDP für die Bundestagswahl 2017 lagen bei etwa fünf Millionen Euro! Die Rücklagen der Fraktion sanken in der Folge 2013 um 5 Millionen auf nur noch 800.000 Euro ab - und (plötzlich) waren 1,1 Millionen Euro als Rückstellung verbucht. Zu wenig, um die Forderungen der Versorgungskasse zu begleichen.

Missbrauch ist Tür und Tor geöffnet

Dass eine Fraktion derart mit öffentlichen Mitteln umgehen kann und dafür keine Sanktionen vorgesehen sind, ist ein großes Versäumnis. Mehr als unwahrscheinlich ist, dass im vorliegenden Fall niemand in der damaligen FDP-Fraktion um die drohenden Zahlungsverpflichtungen an die Versorgungskasse wusste. Alleine die Tatsache, dass man im vorerst letzten Jahr im Bundestag die Rückstellungen für Personal verdoppelt hat, zeigt durchaus ein gewisses Problembewusstsein. Umgekehrt ist das Auflösen der Rücklagen in dem Wissen um eine drohende Zahlungsunfähigkeit nicht nur moralisch zu missbilligen.

Wie oben schon geäußert: Wäre die Fraktion ein "normales" Unternehmen und hätten die Beteiligten kurz vor einem möglichen Crash in dem Wissen um die Ansprüche der Kasse innerhalb von zwei Jahren 8 Millionen Euro Ersparnisse verpulvert, so läge der Verdacht einer Strafbarkeit nahe. Aber weil die Fraktion insolvenzunfähig ist (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 InsO), greift auch § 283 StGB für die Beteiligten nicht ein.

Öffentlichkeitsarbeit als verdeckte Parteiarbeit?

Auch zeigen die genannten Ausgaben der Fraktion aus den Jahren 2012 und 2013, dass gerade die Öffentlichkeitsarbeit, für welche die Rücklagen größtenteils benutzt wurden, noch immer besonders anfällig für Missbrauch ist, gerade weil hier oftmals das gleiche Ziel wie mit der Arbeit der Partei angestrebt wird. Für solche zweckwidrig verwendeten Fraktionsmittel gibt es nur Sanktionen im Parteienrecht (§ 31c PartG), ein Rückzahlungsanspruch gegen die Fraktion ist gesetzlich nicht vorgesehen.

So zeigt sich, dass nicht nur die Höhe der Fraktionsfinanzierung Kopfzerbrechen bereitet. Die mangelnde Transparenz, auch in Bezug auf die Verwendung der nahezu ausschließlich staatlichen Mittel, trägt ihren Teil dazu bei, Missbrauch zu ermöglichen. Eine stärkere Regelungsdichte zur Rechnungslegung oder zu den Rücklagen und Rückstellungen wäre wünschenswert.

Auch ist die Frage der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einer Fraktion nicht kodifiziert, es bestehen dabei größere Lücken. Hier ist der Gesetzgeber – und damit die Fraktionen in eigener Sache! – berufen, missbräuchlicher Verwendung von Mitteln effektiver entgegenzuwirken.

Der Autor Alexander Hobusch ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Prof. Dr. Martin Morlok). Er ist ferner Vorsitzender der SPD Vohwinkel sowie Mitglied der dortigen Bezirksvertretung. 

* Information zur Parteiarbeit des Autor ergänzt am 07.08.2018, 16.58 Uhr, korrigiert am 19.09., 18:03 Uhr. 

Zitiervorschlag

Bundestagsfraktion kann Forderung nicht begleichen: Eine profitable Pleite . In: Legal Tribune Online, 06.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30173/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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