Neues Darknet-Strafrecht im Bundesrat: Über­flüs­sige Strafnorm mit Risiken und Neben­wir­kungen

von Dr. Christian Rückert

15.03.2019

Auftragskiller, Drogenmärkte – aber auch Diskussionsforen? Der Bundesrat diskutiert ein neues Gesetz zur Kriminalisierung von Darknetmarktplätzen. Selten ist ein Gesetzesvorhaben so weit über das Ziel hinaus geschossen, meint Christian Rückert.

Im Bundesrat wird am Freitag ein neues Gesetz zur strafrechtlichen Erfassung von sog. Darknetmarktplätzen diskutiert. Dabei handelt es sich um digitale Marktplätze in einem Teil des Internets, in dem die Identitäten der Nutzer verschleiert werden und der nur mit einer speziellen Browser-Software zugänglich ist. Solche Plattformen können von Suchmaschinen wie Google & Co nicht gefunden werden. Auf diesen Marktplätzen werden alle Arten von illegalen Gütern gehandelt, z.B. Drogen, Waffen und Falschgeld. Als Zahlungsmittel dienen Bitcoins. Die technischen Vorkehrungen sichern die Anonymität von Nutzern und Plattformbetreibern.

Strafverfolger weisen schon lange auf die Bedrohungen hin, nun will auch der Gesetzgeber tätig werden. Der Gesetzentwurf hat aber mittlerweile eine Art rechtspolitische Eigendynamik entwickelt. In dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Länder Nordrhein-Westfalen und Hessen war die Zielvorgabe zunächst noch klar auf Darknetmärkte zugeschnitten, dort hieß es:

"Wer eine internetbasierte Leistung anbietet, deren Zugang und Erreichbarkeit durch besondere technische Vorkehrungen beschränkt und deren Zweck oder Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten im Sinne von Satz 2 zu ermöglichen oder zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Rechtswidrige Taten im Sinne des Satzes 1 sind".Es folgte ein Straftatenkatalog mit den üblicherweise aus solchen Plattformen gehandelten illegalen Gütern, z.B. Betäubungsmittel und Waffen). Handelt der Täter gewerbsmäßig ist eine Strafe von sechs Monaten bis zu 10 Jahren vorgesehen. In den Ausschüssen wurde der Entwurf deutlich ausgeweitet. Die Parlamentarier haben die Beschränkung auf das Darknet genauso gestrichen, wie den Straftatenkatalog und die Obergrenze der Freiheitsstrafe auf fünf Jahre angehoben. Der neue Entwurf sieht so aus:

"Wer eine internetbasierte Leistung anbietet, deren Zweck oder Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten zu ermöglichen, zu fördern oder zu erleichtern wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist."

Der Bundesrat will eine Strafbarkeitslücke schließen, die es nicht gibt

Der ursprüngliche Entwurf war gut gemeint. Ermittler beklagen seit Langem, dass die Betreiber der Darknet-Plattformen oft nur mit geringen Freiheitsstrafen rechnen müssen. Dies gelte vor allem im Vergleich zu den Händlern und Kunden, die auf der Plattform ihre illegalen Geschäfte abwickeln. In Strafverfolgerkreisen werden jedoch die Betreiber der Marktplätze als die eigentliche Gefahr gesehen, weil nur durch ihre Plattformen die illegalen Geschäfte im Darknet möglich sind.

Bereits diese Einschätzung ist zweifelhaft. Für die praxisrelevanten Fälle des Handels mit illegalen Gütern sind bereits jetzt Deliktsgruppen einschlägig, die sehr weite Anwendungsbereiche haben. Z.B. wird "Handeltreiben" mit Betäubungsmitteln i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) von der Rechtsprechung definiert als "edes eigennützige Bemühen, das darauf gerichtet ist, den Umsatz von Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern". Hiervon ist auch die bloße Vermittlung von Geschäften erfasst. Wer eine Darknethandelsplattform betreibt, auf der Drogen verkauft werden, der "vermittelt" ein solches Geschäft.

Da die meisten professionellen Plattformen über ein Treuhand- und Provisionssystem verfügen, kann auch die Eigennützigkeit zumeist bejaht werden. Ist dies nicht möglich, kann auf § 29 Abs. 1 Nr. 10 BtMG zurückgegriffen werden. Hiernach ist bereits die Verschaffung oder öffentliche Mitteilung einer Gelegenheit zum Erwerb oder zur Abgabe von Betäubungsmitteln strafbar. Gleiches gilt für den Waffenhandel. Dort ist ebenfalls gem. § 52 Abs. 1 Nr. 1 Nr. 2 c) Waffengesetz (WaffG) i.V.m. Anlage 1 Abschnitt 2 Nr. 9 bereits die Vermittlung des Vertriebs von Waffen strafbar.

Miterfassung von strafunwürdigem Verhalten?

Angeblich sollen die Betreiber der Plattformen dennoch häufig nur wegen Beihilfe belangt werden können. Dies mag für einzelne Deliktsgruppen richtig sein. So sind z.B. die Normen gegen den Handel mit rechtswidrig erlangten Daten wie Kreditkartendaten enger gefasst. Dass die Betreiber hier nur wegen Beihilfe bestraft werden, erscheint jedoch systematisch richtig. § 27 Strafgesetzbuch (StGB) stellt die Hilfeleistung für fremde Taten unter Strafe. Genau das tun die Plattformbetreiber, indem sie lediglich Infrastruktur für die Tatbegehung durch andere bereitstellen. Aus Kreisen der Strafverfolger heißt es hierzu, dass aber der Nachweis des auch bei der Beihilfe notwendigen Vorsatzes häufig nicht gelinge.

Dies ist nicht nachvollziehbar. Dem Bundesgerichtshof (BGH) genügt es, wenn der Gehilfe dem Täter willentlich ein entscheidendes Tatmittel (hier: die Darknethandelsplattform) zur Verfügung stellt und damit bewusst das Risiko erhöht, dass durch den Einsatz des Tatmittels eine "typischerweise" geförderte Haupttat (hier: Handel mit illegalen Gütern wie Betäubungsmitteln und Waffen) verübt wird. Diese Kriterien werden im Regelfall von den Marktplatzbetreibern erfüllt. Ist dies nicht der Fall, muss man ernsthaft die Frage stellen, ob das Verhalten überhaupt noch strafwürdig ist.

Kollateralschaden: Die Kriminalisierung aller Internetplattformen

Ganz unabhängig von der Notwendigkeit der Neuregelung ist der Entwurf handwerklich misslungen. Durch die Streichung des Darknetbezugs und des Straftatenkatalogs erfasst er nämlich potentiell jede Internetplattform. Das einzige strafbarkeitsbegrenzende Merkmal ist die Ausrichtung des Zwecks auf die Förderung rechtswidriger Taten.

Wirklich strafbarkeitsbegrenzend wirkt das Merkmal allerdings nicht. Denn auf nahezu allen frei zugänglichen Internetplattformen werden Straftaten verübt. Auf E-Commerce-Plattformen mit Drittanbieterverkauf wird Hehlerware veräußert und werden Betrugsdelikte begangen, in Sozialen Medien wird eine Vielzahl von Äußerungsdelikten verübt und auf nutzerbasierten Videoportalen finden häufig Urheberrechtsverletzungen statt. Der neue Absatz 4 Nr. 1 des Gesetzentwurfs nimmt nur solche Plattformen aus, bei denen die "Begehung von Straftaten nur einen Zweck (…) von untergeordneter Bedeutung darstellt". Angesichts der Anzahl der Delikte, die auf legalen Plattformen verübt werden, dürfte diese Grenze häufig überschritten sein.

Ob der Zweck einer Plattform auf die Förderung rechtswidriger Taten gerichtet ist, soll in der Praxis anhand folgender Indizien bestimmt werden: das tatsächliche Angebot einer Plattform, der Umgang mit Hinweisen auf Handel mit illegalen Waren und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Die Anpassung der AGB ist trivial und macht die Strafbarkeit davon abhängig, wie gut die Rechtsberatung des Betreibers ist. Die anderen Kriterien zwingen die Plattformbetreiber, auf eine gute "Hygiene" zu achten.

Bislang müssen Betreiber nach §§ 7 ff. Telemediengesetz (TMG) und Art. 12 ff. der E-Commerce-Richtlinie gerade nicht aktiv nach illegalen Inhalten suchen. Nur wenn sie Kenntnis von illegalen Aktivitäten erlangen müssen sie einschreiten. Dieses System wird ad absurdum geführt, wenn Dienstanbieter nun "durch die Hintertür" verpflichtet werden, aktiv nach illegalen Inhalten zu fahnden, um eigene Strafbarkeitsrisiken zu minimieren.

Politisches Strafrecht?

Ein Anfangsverdacht lässt sich jedenfalls mit dem Gesetzentwurf gegen nahezu jeden Plattformbetreiber begründen. Ein solcher Anfangsverdacht kann genutzt werden, um strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Betreiber einzuleiten, z.B. eine Durchsuchung und Beschlagnahme der Server. Auf diese Weise können die Behörden auch an Informationen über die Nutzer der Plattform gelangen. Wenn man sich fragt, welche Plattformen die Macher des Entwurfs neben den Darknetmärkten im Blick haben, hilft auch hier ein Blick in die Begründung. Neben Online-Auftragskillerservices sollen Plattformen erfasst werden, die "auf die Begehung von Äußerungsdelikten gerichtet sind". Das legt den Verdacht nahe, dass die Norm als Grundlage für strafprozessuale Eingriffe gegen (Untergrund-)Foren dienen soll.

Dort werden häufig politisch extreme oder gesellschaftlich abweichende Meinungen vertreten. In der Vergangenheit ist es den Behörden schwer gefallen, gegen diese Foren vorzugehen. Teilweise wurden Maßnahmen auf rechtlich fragwürdige Konstruktionen gestützt, wie das Vereinsrecht im Fall "Linksunten Indymedia".

Besonders misslich ist dabei, dass der Darknet-Paragraf bei gewerbs- oder bandenmäßiger Begehungsweise sogar als Katalogtat für eine Online-Durchsuchung dienen soll. So wird ein unverhältnismäßiger und unbestimmter Tatbestand Grundlage für den schwersten Grundrechtseingriff, den die Ermittlungsbefugnisse der Strafprozessordnung hergeben.

Der Autor Dr. Christian Rückert ist Akademischer Rat a.Z. am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist Cybercrime-Experte und forscht u.a. seit einigen Jahren zum Darknet und zu virtuellen Kryptowährungen. Er hat zu beidem bereits mehrfach einschlägig publiziert und bundesweit zahlreiche Vorträge gehalten. Dr. Rückert ist Mitglied der Expertenkommission der Justizministerkonferenz zur "Digitalen Agenda Straf- und Strafprozessrecht".

Zitiervorschlag

Neues Darknet-Strafrecht im Bundesrat: Überflüssige Strafnorm mit Risiken und Nebenwirkungen . In: Legal Tribune Online, 15.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34399/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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