Der Bundesrat plant, Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern eine Art gesetzliche Vorsorgevollmacht einzuräumen. Herbert Grziwotz hält die Idee für gut – aber die Umsetzung für ziemlich misslungen.
Die Regelung des § 1357 BGB (bzw. § 8 Abs. 2 LPartG) ist eigentlich etwas außer Mode gekommen. Sie sieht vor, dass Ehegatten bzw. eingetragene Lebenspartner bei Geschäften zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs auch den jeweils anderen mitverpflichten können. Ursprünglich sollte so der Frau, die den Haushalt führte, sich um die Kinder kümmerte und über kein eigenes Einkommen verfügte, die Möglichkeit gegeben werden, zur Erledigung der Einkäufe "anschreiben" zu lassen – der mitverpflichtete Ehemann musste die Rechnung ja später bezahlen.
Weil dieser Anwendungsfall heute kaum noch existiert und unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten wenig für die automatische Haftung beider Eheleute spricht, fordern namhafte Familienrechtler die Abschaffung dieser sog. "Schlüsselgewalt". Zugleich wird dem Gedanken einer Vollmacht für bestimmte Rechtsgeschäfte unter Eheleuten derzeit jedoch von anderer Seite neues Leben eingehaucht – zur Lösung eines durchaus aktuellen Problems.
Denn eine vom Bundesrat auf den Weg gebrachte Gesetzesinitiative sieht vor, Ehegatten bzw. eingetragenen Lebenspartnern im Fall einer schweren Erkrankung oder eines Unfalls ihres Partners die Vollmacht zur Besorgung der erforderlichen Angelegenheiten zu übertragen (§ 1368 BGB-Entwurf, § 11 Abs. 3 LPartG-Entwurf). Leider ist die zur Erreichung dieses durchaus sinnvollen Ziels ersonnene Regelung jedoch um einiges komplexer ausgefallen als ihr historischer Vorgänger, sodass sie die Betroffenen in der Praxis eher abschrecken und im Rechtsverkehr kaum eine Erleichterung bringen dürfte. Auch die Bundesregierung hat sie in einer Stellungnahme abgelehnt.
Gesetzliche Gesundheitsvollmacht ohne Befristung
Der Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/10485) schlägt eine gesetzliche Vollmachtsvermutung für den Ehegatten und eingetragenen Lebenspartner vor, wenn der Partner einwilligungsunfähig ist. Dieser darf dann in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ähnliche Eingriffe für seinen Partner einwilligen oder diese auch untersagen. Zusätzlich darf er die erforderlichen ärztlichen Behandlungsverträge, Krankenhausverträge sowie Verträge mit Anbietern von Rehabilitations- und Pflegeleistungen abschließen und kündigen. Gleiches gilt für Heimverträge.
Zu freiheitsentziehenden Maßnahmen und ärztlichen Zwangsmaßnahmen ist wie bei einer Vorsorgevollmacht die Zustimmung des Betreuungsgerichts erforderlich. Ferner soll der Ehegatte/Lebenspartner auch gegenüber den Trägern der Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherung die entsprechenden Ansprüche geltend machen und Leistungen einfordern können. Allerdings erhält er keine Inkassovollmacht, darf diese Leistungen also zwar an das Krankenhaus oder Pflegeheim abtreten, aber nicht selbst in Empfang nehmen. Hat er diesbezüglich keine (Konto-)Vollmacht, ist ein gerichtliches Betreuungsverfahren weiterhin erforderlich. Schließlich werden die behandelnden Ärzte und andere Berufsgeheimnisträger von ihrer Schweigepflicht gegenüber dem Ehegatten/Lebenspartner entbunden, sodass dieser Krankenunterlagen einsehen und ihre Weiterleitung bewilligen kann. Er kann die Ärzte ferner im Namen des Partners von ihrer Schweigepflicht gegenüber Dritten entbinden.
Keine Vollmacht bei getrennt lebenden Ehegatten
Die gesetzliche Vollmacht soll wie die alte Schlüsselgewalt nicht gelten, wenn die Ehegatten/Lebenspartner getrennt leben. Darunter ist keine räumliche Trennung infolge einer Pflegeheimunterbringung zu verstehen, sondern die Trennung "von Tisch und Bett" als Vorstufe zu einer etwaigen Scheidung bzw. Lebenspartnerschaftsaufhebung. Leben Ehegatten bzw. Lebenspartner seit Jahren getrennt, ohne sich scheiden zu lassen, besteht die Vollmacht somit nicht.
Bei der klassischen "Schlüsselgewalt" nach § 1357 BGB hat dies nur zur Folge, dass der Geschäftspartner keinen weiteren Schuldner für seine Geldforderung erhält. Bei einer Einwilligung in eine Operation oder beim Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen kann die Einwilligung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Abgeschaltet ist abgeschaltet! Der behandelnde Arzt soll auf die Vollmacht "qua Trauschein" bei einer diesbezüglichen Erklärung des Ehegatten/Lebenspartners vertrauen können, ohne die Details der konkreten Lebensgemeinschaft überprüfen zu müssen. Allerdings kann ein Partner auch erklären, dass er von der Vollmacht, gleichgültig aus welchen Gründen, keinen Gebrauch machen möchte.
2/2: Kontrolle durch wen?
Jeder Ehegatte kann der gesetzlichen Vollmachtsvermutung mündlich oder schriftlich gegenüber dem Partner oder beispielsweise seinem Hausarzt widersprechen. Auch eine bereits erteilte Vorsorgevollmacht führt zum Ausschluss der gesetzlichen Bevollmächtigung. Anders als bei der Schlüsselgewallt kann ein Widerspruch aber nicht in ein öffentliches Register eingetragen werden. Die Eintragung im Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer kostet Geld, bringt aber nichts, da in dieses nur der Betreuungsrichter einsehen kann. Und dieser soll ja gerade nicht mehr beteiligt werden. Hat der behandelnde Arzt vom Vollmachtswiderruf, ohne diesbezüglich grob fahrlässig zu handeln, keine Kenntnis, gelten die Erklärungen trotz des Fehlens der Vollmacht. Ist der Partner nicht mehr geschäftsfähig, kann die gesetzliche Vollmacht überdies sogar zeitlich unbegrenzt gelten.
Glauben die Kinder, dass die Mutter nicht die Vorstellungen ihres Vaters zur Geltung bringt, sondern ihre eigenen, müssen sie wiederum das Betreuungsgericht anrufen. Auch ein Arzt muss bei Zweifeln das Betreuungsgericht einschalten und den Groll des handelnden Ehegatten/Lebenspartners auf sich ziehen. Gegenüber anderen Geschäftspartnern muss die Geschäftsfähigkeit des Ehegatten/Lebenspartners, für den gehandelt werden soll, durch ein ärztliches Attest, das nicht älter als sechs Monate ist, nachgewiesen werden. Das ist nicht Vereinfachung, sondern potenzierte Bürokratie. Zudem kann sich in einem halben Jahr der Gesundheitszustand, gerade bei Unfällen, erheblich ändern.
Werden beide Ehegatten/Lebenspartner aufgrund der demografischen Entwicklung gemeinsam alt und sind beide nicht mehr zu Handlungen in der Lage, hilft die gesetzliche Vollmacht ohnehin nicht. Ob die gesetzliche Vollmacht auch für ausländische Ehegatten/Lebenspartner wirkt, wenn sie sich im Inland aufhalten, wie dies der Gesetzesentwurf vorsieht, ist höchst fraglich, wenn das ausländische Güterrecht eine abweichende Regelung enthält.
Gut gemeint, schlecht gemacht
Der Versuch, ein Notvertretungsrecht von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern im Bereich der Gesundheitsvorsorge zu schaffen, ist lobenswert. Dieses sollte sich, wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme ausführt, auf einen überschaubaren Zeitraum von wenigen Tagen oder Wochen beschränken. Die gesetzliche Bevollmächtigung wird in den meisten Fällen eine Betreuung nicht entbehrlich machen. Auch bei einer zusätzlichen Vorsorgevollmacht werden keine Kosten durch die Ausklammerung des gesetzlich geregelten Bereichs eingespart.
Die Initiative des Bundesrats könnte nur den falschen Eindruck vermitteln, dass eine Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung nicht mehr erforderlich sind. Diejenigen, die sich mit dem unangenehmen Thema von Unglücksfällen und dem eigenen Tod nicht auseinandersetzen wollen, erhalten dadurch möglicherweise eine bequeme Ausrede.
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel.
Herbert Grziwotz, Gesetzentwurf zur Vollmacht zwischen Ehegatten: "Schlüsselgewalt" in der Gesundheitssorge? . In: Legal Tribune Online, 17.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22405/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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