Ob Cum-Ex, Arbeitskleidung im Bestattungsgewerbe, NATO-Bezüge, Gemeinnützigkeit von Kitas, Steuerprivilegien für Sportvereine oder das Kindergeld: Der BFH hat 2022 Entscheidungen gefällt, von denen Sie gelesen haben sollten.
Weitere Absage an Cum-Ex-Geschäfte
Der Bundesfinanzhof (BFH) sieht Cum-Ex-Geschäfte als steuerrechtlich unzulässig an und schaffte mit einer Entscheidung im Februar Rechtsklarheit (Urt. v. 2.2.2022; Az. I R 22/20). Die Revision eines US-Pensionsfonds gegen eine Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Köln (Urt. v. 19. Juli 2019; Az. 2 K 2672/17), das einen Anspruch auf eine Kapitalertragssteuererstattung verneint hatte, wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) Cum-Ex-Deals bereits im Juli 2021 als Steuerhinterziehung gewertet hatte (Urt. v. 28.07.2021, Az. 1 StR 519/20), folgte der BFH mit einer Entscheidung, in der er die steuerrechtliche Unzulässigkeit von Praktiken zur mehrfachen Erstattung von nur einmal abgeführten Steuern auf Aktiendividenden festgestellt hat.
Vermeintliche Gesetzeslücke inspiriert zu lukrativem Geschäftsmodell
Das Geschäftsmodell Cum-Ex beruht auf der Idee, Unsicherheiten hinsichtlich der wirtschaftlichen Zuordnung von Aktien dahingehend zu nutzen, dass eine einmal einbehaltene Steuer vom Fiskus anschließend mehrfach angerechnet wird und/oder zur Auszahlung kommt. Netzwerke bestehend aus Banken sowie in- und ausländischen Anlegern machten sich über Jahre hinweg eine vermeintliche Gesetzeslücke zunutze, indem sie Leerverkäufe auf Aktien mit Dividendenberechtigung tätigten.
Im Streitfall klagte der US-Pensionsfonds KK Law Firm Retirement Plan Trust, der Teil eines solchen Netzwerks war. Der von einer inländischen Abzugsteuer befreite Fonds begehrte eine Steuererstattung, da er kurz vor dem jeweiligen Dividendenstichtag Aktien deutscher Aktiengesellschaften als Futures "cum (also mit) Dividende" erworben hatte, die ihm zeitverzögert erst nach dem Stichtag "ex (also ohne) Dividende" zivilrechtlich übereignet wurden. Zugleich erhielt er eine Kompensationszahlung. Von der Staatskasse forderte der Fonds die Erstattung einer angeblich abgeführten Kapitalertragssteuer von 27 Millionen Euro.
Vorinstanz würdigt "kriminelle Glanzleistung"
Das FG Köln hatte vorinstanzlich entschieden, dass es sich hierbei um einen rechtlich unzulässigen Versuch handele, eine mehrfache Erstattung einer nur einmalig abgeführten Steuer zu erreichen. Das Gericht wertete das Vorgehen seinerzeit als "kriminelle Glanzleistung" und wies die Klage auf Steuerrückerstattung ab. Die Betreiber des Pensionsfonds stellen sich indes auf den Standpunkt, dass die Transaktionen legal gewesen seien.
Die Revision des Fonds wurde vom I. Senat des BFH abgewiesen. Das Gericht stellte fest, dass es nur einen wirtschaftlichen Eigentümer einer Aktie geben kann: "Die Stellung als wirtschaftlicher Eigentümer einer Aktie könne nur einnehmen, wer den Aktieninhaber zugleich von den wesentlichen Rechten (Dividendenbezug, Stimmrecht) ausschließe ("Alternativität“).
Diese Position gegenüber dem Aktieninhaber könne allein durch eine rechtlich gesicherte Erwerbsaussicht und einen (wirtschaftlichen) Dividendenbezug nicht vermittelt werden. Dies gelte ebenfalls für die Teilnahme an einer "Gesamtvertragskonzeption", die geradezu ausschließe, dass diese Person die wesentlichen Rechte der Aktieninhaberschaft einnehmen und das finanzielle Risiko der Transaktionen tragen solle, so das Gericht. Spätere gesetzliche Änderungen wurden in dem Urteil nicht berücksichtigt, weil diese im Streitjahr noch nicht gültig waren.
* Textversion vom 2.1.2023, 16:45 Uhr
Arbeitskleidung im Bestattungsgewerbe
Trauerredner und andere Berufe aus dem Bestattungsgewerbe können ihre schwarze Kleidung nicht von der Steuer absetzen. Das geht aus einer im Juni dieses Jahres veröffentlichten Entscheidung des BFH hervor. Bürgerliche Kleidung könne auch dann nicht als Betriebsausgabe geltend gemacht werden, wenn sie bei der Berufsausübung getragen werde, so das Gericht (Urt. v. 16.03.2022, Az. VIII R 33/18).
Geklagt hatten selbstständige Trauerredner. Sie wollten ihre Kosten für schwarze Anzüge, Blusen und Pullover als Betriebsausgaben geltend machen. Sowohl das Finanzamt als auch die Vorinstanz wollten die Aufwendungen jedoch nicht steuerlich berücksichtigt wissen. Der BFH bestätigte, dass nur Aufwendungen für typische Berufsbekleidung im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 Einkommenssteuergesetz bei den Betriebsausgaben berücksichtigt werden könnten.
Selbst wenn das Tragen schwarzer Kleidung von den Trauernden erwartet werde, handle es sich doch um bürgerliche Kleidung, die auch privat getragen werden könne. Deren Kosten könnten selbst dann nicht geltend gemacht werden, wenn sie nur bei der Berufsausübung getragen wird. Laut BFH ist die Entscheidung auf die gesamte Bestattungsbranche übertragbar.
Steuerminderung für Zweitgrab?
Das Thema Grabstätten beschäftigte den BFH zwar bereits im vergangenen Jahr, die Veröffentlichung der zugehörigen Entscheidung erfolgte aber erst im April 2022. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass eine Erbin oder ein Erbe die Erbschaftsteuer durch Kosten für ein angemessenes Grabdenkmal für den Erblasser mindern kann. Dabei komme es nicht darauf an, ob es sich um ein Erst- oder Zweitgrab handelt (Urt. v. 01.09.2021, Az. II 8/20).
In dem Fall wollte der Erbe für seinen verstorbenen Bruder ein Mausoleum errichten. Zunächst war der Mann in einem herkömmlichen Grab bestattet worden. Die Kosten für die aufwendige zweite Grabstätte machte der Erbe in seiner Erbschaftsteuererklärung geltend. Sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht lehnten einen Abzug ab.
Dem ist der BFH entgegengetreten und entschied, dass zwar grundsätzlich nur die Kosten für das zeitlich zuerst errichtete Grab abzugsfähig seien. Gleichwohl gibt es nach Auffassung des II. Senats aber auch Fälle, in denen der Verstorbene vorerst nur provisorisch bestattet und im Anschluss dauerhaft in einem Zweitgrab bestattet werde. Entscheidend sei die Dauerhaftigkeit - es komme darauf an, wo der Erblasser "seine letzte Ruhe findet", so das Gericht.
Die Kosten für das Mausoleum seien demnach in angemessener Höhe abzugsfähig, so der BFH. Was "angemessen" ist, wird nunmehr das Finanzgericht München zu klären haben. Nach Ansicht des Gerichts ist dabei einerseits zu berücksichtigen, wie der Erblasser gelebt hat und wie viel er hinterlassen hat. Andererseits seien auch für den Erblasser relevante Bräuche und religiöse Vorgaben zu beachten.
Kein Steuerprivileg mehr für Sportvereine
Deutschlands Sportvereinen droht nach einem Grundsatzurteil des BFH das Ende eines traditionellen Steuerprivilegs. Entgegen der bisher von den Finanzämtern geübten Praxis sind Angebote von Sportvereinen an ihre Mitglieder gegen allgemeine Mitgliedsbeiträge "steuerbar", entschied der Fünfte Senat des Gerichts im April dieses Jahres (Urt. v. 21.04.2022, Az. V R 48/20). Demnach komme es "durch die nunmehr versagte Steuerbefreiung zu einer Umsatzsteuerpflicht".
Sportvereine müssen also damit rechnen, "dass die Rechtsprechung ihre Leistungen an Mitglieder ohne Berufungsmöglichkeit als umsatzsteuerpflichtig ansieht". Gesetzgeberisch lösen könnte der Bund dies nach Einschätzung des BFH durch eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes. Im konkreten Fall ging es um einen Golfclub, doch das Urteil hat Bedeutung über diesen Einzelfall hinaus.
Fitnessstudios standen schlechter da als Vereine
Ob und inwieweit die Steuerprivilegien von Sportvereinen noch angemessen sind, wird nicht nur von Steuerjuristen seit Jahren diskutiert. Ein maßgeblicher Grund ist die Grauzone zwischen traditionellem Vereinsleben und Kommerz. So beschweren sich etwa Betreiber von Fitnessstudios und Kletterhallen, dass sie Umsatzsteuer berechnen und an das Finanzamt abführen müssen, sehr ähnliche Vereinsangebote und -kurse jedoch steuerbefreit sind.
Der Golfclub hatte abgesehen von seinen Mitgliedsgebühren noch allerlei zusätzliche Gebühren von seinen Mitgliedern kassiert, unter anderem für die Benutzung des Platzes, das Ausleihen von Golfbällen für das Training mit Ballautomat oder die Teilnahme an Turnieren und Veranstaltungen. Ähnlich wie der Golfclub verlangen in Deutschland auch viele andere Sportvereine Eintritt für die Benutzung ihrer Anlagen sowie Gebühren für Kurse.
Im Fall des Golfclubs berechnete das örtliche Finanzamt Umsatzsteuer für diese "gesondert vergüteten Leistungen", verlor jedoch in der ersten Instanz. In zweiter Instanz änderte der BFH seine bisherige Rechtsprechung. Als rechtliche Grundlage des sportlichen Steuerprivilegs dienten bislang unter anderem die europäischen Vorschriften der sogenannten Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Diese soll eine einheitliche Handhabung der Umsatzsteuer in der EU sicherstellen.
Der BFH rief deswegen im Revisionsverfahren den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. Dieser entschied, dass eine Berufung auf die Steuerfreiheit nach der Richtlinie nicht möglich ist. In der Folge rückte nun auch der BFH von der Privilegisierung für die Sportvereine ab.
Keine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch das Finanzamt
Eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung zur Überprüfung der Angaben zu einem häuslichen Arbeitszimmer ist rechtswidrig, wenn der betroffene Steuerpflichtige bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt. Dies hat der BFH im Juli dieses Jahres entschieden (Urt. v. 12.07.2022, Az. VIII R 8/19).
Das Gericht gab einer selbstständigen Unternehmensberaterin Recht, die in ihrer Einkommensteuererklärung erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend gemacht hatte. Auf Nachfrage reichte sie eine Skizze der Wohnung ein, die das Finanzamt aber für klärungsbedürftig hielt. Das Finanzamt schickte einen Beamten der Steuerfahndung zur Wohnung der Unternehmensberaterin, der unangekündigt an der Wohnungstür erschien, sich als Steuerfahnder auswies und unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren die Wohnung betrat. Die Frau widersprach der Besichtigung nicht.
Die daraufhin erhobene Klage auf Feststellung, dass die Besichtigung rechtswidrig war, wies das Finanzgericht Münster mangels Feststellungsinteresse als unzulässig ab. Zu Unrecht, wie der BFH entschied. Da die Klägerin bald umziehen werde, liege eine konkrete Wiederholungsgefahr vor.
Finanzamt muss Besichtigung ankündigen
Auch in der Sache hielt der BFH die Revision für begründet. Die unangekündigte Wohnungsbesichtigung sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Zur Überprüfung der Angaben zum häuslichen Arbeitszimmer sei angesichts des in Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verbürgten Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung eine Besichtigung in der Wohnung eines mitwirkungsbereiten Steuerpflichtigen erst dann erforderlich, wenn die Unklarheiten durch weitere Auskünfte oder andere Beweismittel wie z.B. Fotografien nicht mehr sachgerecht aufgeklärt werden könnten. Dies gelte auch dann, wenn die Steuerpflichtige – wie im Streitfall – der Besichtigung zugestimmt habe und deshalb ein schwerer Grundrechtseingriff nicht vorliege.
Das Finanzamt dürfe nicht einfach unterstellen, dass eine vorherige Benachrichtigung generell dazu benutzt werde, das häusliche Arbeitszimmer noch entsprechend herzurichten und die Spuren bisheriger Nutzung als Wohnraum zu vernichten. Dafür, dass der Kontrollzweck durch die Benachrichtigung gefährdet oder vereitelt werde, müssten im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte vorliegen. Solche Anhaltspunkte habe das Finanzamt nicht dargelegt.
Wie der BFH weiter ausführte, war die Ermittlungsmaßnahme auch deshalb rechtswidrig, weil sie von einem Steuerfahnder und nicht von einem Mitarbeiter der Veranlagungsstelle durchgeführt wurde. "Denn das persönliche Ansehen des Steuerpflichtigen kann dadurch gefährdet werden, dass zufällig anwesende Dritte (z.B. Besucher oder Nachbarn) glauben, dass beim Steuerpflichtigen strafrechtlich ermittelt wird", so das Gericht.
Betriebsnahe Kitas sind nicht gemeinnützig
Eine Kinderbetreuungseinrichtung ist nicht gemeinnützig tätig, wenn sie sich bei der Platzvergabe vorrangig an den Belegungspräferenzen ihrer Vertragspartner orientiert. Dies hat der BFH in einem Mitte August veröffentlichten Urteil zur Gemeinnützigkeit nach § 52 der Abgabenordnung entschieden (Urt. v. 01.02.2022, Az. V R 1/20).
Die Klägerin im Streitfall hatte mit Unternehmen Verträge über die Einrichtung und den Betrieb von Betreuungseinrichtungen für die Kinder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Unternehmen geschlossen. Dabei sollte die Klägerin auf die Belegungspräferenz der Unternehmen Rücksicht nehmen, sofern dies mit den gesetzlichen Bestimmungen, behördlichen Auflagen und dem pädagogischen Konzept vereinbar war. Andere Personen, die nicht bei den Unternehmen beschäftigt waren, konnten einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen, wenn die Unternehmen aus ihrer Belegschaft keinen Bedarf hatten oder wenn Plätze über einen längeren Zeitraum hinweg unbelegt blieben.
Das beteiligte Finanzamt war der Auffassung, dass die Klägerin damit keine gemeinnützigen Zwecke verfolge. Da ihre Einrichtungen den Beschäftigten ihrer Vertragspartner vorbehalten seien, fördere sie nicht die Allgemeinheit. Die Befreiung von der Körperschaftsteuer wegen der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes sei daher nicht zu gewähren. Einspruch und Klage dagegen blieben erfolglos.
Der BFH schloss sich der Ansicht des Finanzamts an und versagte die Gemeinnützigkeit ebenfalls. Von einer Förderung der Allgemeinheit sei nur auszugehen, wenn im Grundsatz jedermann freien Zutritt zu der Kita habe. Der geförderte Personenkreis müsse zumindest einen Ausschnitt der Allgemeinheit darstellen und die Allgemeinheit repräsentieren. Dies sei jedoch nicht der Fall, da die Klägerin nur einen fest abgeschlossenen Personenkreis fördere. Eine verbindliche "Restplatzquote" für andere Personen als die Beschäftigten der Vertragspartner gab es laut BFH nicht.
Taxi zur Arbeit nicht voll absetzbar
Arbeitnehmer können Taxifahrten zum Arbeitsplatz nicht komplett von der Steuer absetzen. Stattdessen dürfen sie für ein Taxi nur die übliche Pendlerpauschale von 30 Cent pro Kilometer absetzen. Das entschied der Sechste Senat des Bundesfinanzhofs im Juni (Urt. 09.06.2022, Az. VI R 26/20).
Der in Thüringen wohnende Kläger hatte in den Jahren 2016 und 2017 über 9.000 Euro für Taxifahrten zum Arbeitsplatz ausgegeben, die er von der Steuer absetzen wollte. Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und der sogenannten ersten Tätigkeitsstätte (zumeist dessen üblicher Arbeitsplatz) sind grundsätzlich pauschal in Höhe von 0,30 Euro für jeden Entfernungskilometer anzusetzen. Das gilt unabhängig davon, welches Verkehrsmittel genutzt wird. Eine Ausnahme gilt nach § 9 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) jedoch bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. In diesem Fall darf der Arbeitnehmer anstatt der Entfernungspauschale auch höhere tatsächliche Kosten ansetzen.
Der BFH hatte daher die Frage zu klären, ob es sich bei einem Taxi um ein solch begünstigtes öffentliches Verkehrsmittel handelt - und dies verneint. Zur Begründung stellte der Senat darauf ab, dass der Gesetzgeber bei Einführung der Ausnahmeregelung in § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG eine Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln im Linienverkehr – insbesondere Bus und Bahn– und damit ein enges Verständnis des Begriffs des öffentlichen Verkehrsmittels vor Augen hatte. Ein Arbeitnehmer, der die Wege zwischen seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte mit einem "öffentlichen" Taxi zurücklegt, könne seine Aufwendungen daher nur in Höhe der Entfernungspauschale geltend machen, so das Gericht.
Knock-out-Zertifikate sind keine Termingeschäfte
Der Bundesfinanzhof hat sich im Zuge der Revisionen der Klägerin und des Beklagten gegen ein Urteil des Finanzgerichts (FG) Berlin-Brandenburg (Urt. v. 14.02.2019, Az. 10 K 10235/16) mit der steuerrechtlichen Klassifizierung von Knock-Out-Zertifikaten, konkret mit der Variante "Unlimited Turbo Bull", befasst. Diese Zertifikate bieten Anlegern eine Möglichkeit, mit vergleichsweise geringem Kapitaleinsatz überproportional an der Kursentwicklung eines zugrunde liegenden Basiswerts teilzuhaben.
Nach Einschätzung des Gerichts handelt es sich dabei nicht um Termingeschäfte mit der Folge, dass etwaige Verluste steuerlich voll abziehbar sind und nicht unter das Ausgleichs- und Abzugsverbot für Termingeschäfte fallen (Urt. v. 08.12.2021, Az. I R 24/19). § 15 Abs. 4 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sieht vor, dass Verluste aus Termingeschäften grundsätzlich einem Ausgleichs- und Abzugsverbot unterliegen und nur eingeschränkt mit Gewinnen aus vergleichbaren Geschäften verrechnet werden können.
Knock-Out-Zertifikate sind Schuldverschreibungen
Hintergrund des Rechtsstreits ist die Klage einer GmbH, die bei Investitionen in Turbo-Bull-Zertifikate erhebliche Verluste erlitten und realisiert hatte. Das zuständige Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Zertifikatsverluste dem Ausgleichs- und Abzugsverbot unterliegen. Das FG hat der dagegen erhobenen Klage stattgegeben, soweit sie die Anwendbarkeit von § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG betraf. Hinsichtlich der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Gebühren für die verbindliche Auskunft blieb die Klage ohne Erfolg.
Der I. Senat des BFH argumentierte nun, dass die Anwendung des § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG entscheidend davon abhänge, ob ein Termingeschäft vorliege. Dieses sei vom sogenannten Kassageschäft abzugrenzen, bei dem der Leistungsaustausch sofort oder innerhalb einer kurzen Frist zu vollziehen sei. Bei Knock-Out-Produkten in Form von Zertifikaten handelt es sich nach Ansicht des BFH aber um gewöhnliche Schuldverschreibungen, die im Streitfall Zug um Zug gegen Bezahlung übertragen worden seien. An dem für ein Termingeschäft typischen Hinausschieben des Erfüllungszeitpunkts habe es gefehlt.
Die Gebühren für eine verbindliche Auskunft unterfallen als Kosten dem Abzugsverbot nach § 10 Nr. 2 Halbsatz 2 KStG, wenn diese bei abstrakter Betrachtung auf eine der in § 10 Nr. 2 Halbsatz 1 KStG genannten Steuern entfallen, so das Gericht weiter. Die Revisionen der Klägerin und des Beklagten gegen das Urteil des FG wurden als unbegründet zurückgewiesen.
Kein Kindergeld für jurastudierende Finanzbeamtin
Die Mutter einer ausgebildeten und angestellten Finanzbeamtin, die neben ihrer Anstellung Rechtswissenschaften studiert, hat keinen Anpruch mehr auf Kindergeld. Das entschied der Bundesfinanzhof im April (Urt. v. 07.04.2022, Az. III R 22/21).
Geklagt hatte die Mutter einer 23-jährigen Tochter. Das Kind schloss im August 2020 ein duales Studium zur Diplom-Finanzwirtin ab und nahm eine Tätigkeit im gehobenen Dienst der Finanzverwaltung auf. Zunächst arbeitete sie 40 Wochenstunden, dann nur noch 28. Im Oktober begann die Tochter berufsbegleitend ein Studium der Rechtswissenschaften, woraufhin die Familienkasse die Kindergeldzahlungen einstellte.
Die Familienkasse war der Auffassung, dass die Tochter ihre Erstausbildung bereits abgeschlossen habe und der Mutter für die Zweitausbildung des Kindes wegen der Erwerbstätigkeit als Finanzwirtin kein Kindergeld zu gewähren sei. Dagegen zog die Mutter vor Gericht - und scheiterte sowohl vor dem Finanzgericht, als auch vor dem BFH.
Inhaltliche Nähe der Studiengänge
Der BFH begründete die Entscheidung folgendermaßen: Volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, werden während einer Zweitausbildung kindergeldrechtlich nur berücksichtigt, wenn sie keiner Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden nachgehen. Das ergebe sich aus § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Ob mehrere Ausbildungen zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden könnten - und damit Kindergeld doch noch in Betracht komme - oder es sich um eine Erst- und eine Zweitausbildung handele, hänge von mehreren Faktoren ab, so der BFH. Zunächst setze eine einheitliche Erstausbildung einen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten voraus. Diesen hatte nach Ansicht des BFH das FG im Hinblick auf den kurzen zeitlichen Abstand und die inhaltliche Nähe der beiden Studiengänge zu Recht bejaht.
28 Stunden sind zu viel für Kindergeld
Zudem müsse die Ausbildung im zweiten Abschnitt noch die Haupttätigkeit des Kindes darstellen und nicht hinter die Erwerbstätigkeit zurücktreten, so der BFH. Insofern sei eine Gesamtbetrachtung durchzuführen. Da das FG festgestellt habe, dass die Tochter bereits ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis aufgenommen hatte und allenfalls gleich viel Zeit in das Studium und in die Erwerbstätigkeit investierte, spreche die Gesamtbetrachtung für eine berufsbegleitende Zweitausbildung. Die Ausbildungszeiten der Tochter hätten sich nach den arbeitsfreien Zeiten gerichtet. Außerdem habe der Umfang der Erwerbstätigkeit mit 28 Stunden über der Grenze von 20 Wochenstunden gelegen.
Zivile Tätigkeit für die ISAF in Afghanistan unterliegt der Einkommensteuer
Der für eine Tätigkeit als ziviler Berater bei der International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan gezahlte Arbeitslohn unterliegt der Einkommensteuer. Das entsprechende BFH-Urteil wurde im März dieses Jahres veröffentlicht (Urt. v. 13.10.2021, Az. I R 43/19). Aus völkerrechtlichen Vereinbarungen ergebe sich kein Anspruch auf Steuerbefreiung, hieß es.
Geklagt hatte ein ehemaliger Soldat der Bundeswehr. Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst war er in den Jahren 2012 und 2013 als ziviler Berater bei der ISAF in Afghanistan tätig. Sein Gehalt dafür wurde von der NATO gezahlt.
Sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht gingen von einer Steuerpflicht der gezahlten Bezüge aus. Der Kläger argumentierte dagegen, dass sein Arbeitslohn in Deutschland nicht der Besteuerung unterliege. Dies folge aus internationalen Abkommen, welche die NATO bzw. die ISAF beträfen.
BFH sieht keine rechtliche Grundlage für eine Steuerbefreiung
Der BFH sah das anders. Da zwischen Deutschland und Afghanistan kein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung existiere, könne sich eine Steuerbefreiung nur aus internationalen Abkommen ergeben, die die Rechtsstellung der Mitglieder internationaler Organisationen betreffen, so das Gericht in einer Mitteilung. Im Falle des Klägers sei aber kein Abkommen einschlägig.
Die entsprechenden Regelungen des NATO-Truppenstatuts seien von vornherein auf Tätigkeiten im Bündnisgebiet beschränkt. Auch das sogenannte Ottawa-Abkommen, das für bestimmte Gruppen von NATO-Beschäftigte gilt, greife nur ein, wenn der Beschäftigte seinen Dienstort auf deutschem Hoheitsgebiet habe. Steuerrechtliche Regelungen für die Vereinten Nationen und deren Sonderorganisationen wie die WHO oder die UNESCO kämen ebenfalls nicht in Betracht, da die ISAF selbst keine solche Sonderorganisation sei.
Sollte man kennen: Zehn wichtige BFH-Entscheidungen in 2022 . In: Legal Tribune Online, 02.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50430/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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