Aus verfassungsrechtlichen Gründen gibt es seit 2008 keinen bundeseinheitlichen Presseausweis mehr. Durch eine neue Kooperation zwischen Innenministern und Presserat soll sich das nun wieder ändern. Jonas Kahl zu einem langjährigen Streit.
Eine über fast ein Jahrzehnt dauernde Debatte fand in der vergangenen Woche ihr vorläufiges Ende: Die Innenministerkonferenz der Länder beschloss, ab 2018 wieder einen bundeseinheitlichen Presseausweis einzuführen. Zu diesem Zweck soll künftig mit dem Deutschen Presserat kooperiert werden. Bisher bestehende juristische Bedenken möchte man künftig durch für alle geltende Vergabekriterien ausräumen, die von einer "Ständigen Kommission" überprüft werden.
Ausgangspunkt der jahrelangen Debatte war ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf aus dem Jahr 2004. Dieses hatte die bis dahin übliche Praxis zur Vergabe der Presseausweise auf den Kopf gestellt, denn lange Zeit war das Vergabeverfahren für Presseausweise in einem Runderlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 1993 geregelt, der ebenfalls schon auf einer Vereinbarung der Innenminister der Länder basierte. Nach diesem Erlass durften die fünf großen Journalisten- und Verlegerverbände in Absprache mit den Innenministerien der Länder "in eigener Verantwortung" für die Vergabe der Presseausweise zuständig sein.
Voraussetzung für den Erhalt eines Ausweises war, dass die Journalisten "hauptberuflich" tätig sind. Das heißt, sie mussten ihren Lebensunterhalt mit journalistischer Tätigkeit verdienen. Zwar war auch dieser Runderlass seiner Natur nach nur eine Verwaltungsvorschrift ohne jede Außenwirkung, dennoch diente er viele Jahre als anerkannte Grundlage für das Vergabeverfahren. Durch dieses Kriterium der Hauptberuflichkeit wurde allen anderen der Zugang zu einem Presseausweis verwehrt, so zum Beispiel nebenberuflichen Journalisten, ehrenamtlich Tätigen, Bloggern und Bürgerjournalisten.
Nach VG-Urteil: Ausweis-Aussteller überall
Ein Verein von Fotojournalisten klagte gegen dieses Kriterium. Sein Ziel war es, ebenso wie der Kreis der bisher berechtigten Verbänden eigene Presseausweise ausstellen zu dürfen. Dieses Recht wurde der Fotojournalisten-Vereinigung vom VG im Ergebnis zuerkannt. Das Gericht stellte fest, dass dem Ausweis der großen Verbände keine "öffentlich-rechtliche Tatbestandswirkung" zukomme und damit auch andere Organisationen eigene Presseausweise ausstellen dürften, soweit sie ihre Zugehörigkeit zur Presse anhand nachvollziehbarer Kriterien nachweisen können.
Entscheidend dabei: die Pressefreiheit. Der Staat darf keinen Einfluss darauf nehmen, zu entscheiden, wer als Journalist gilt und wer nicht. In der Folge versuchten die Innenminister den bundeseinheitlichen Presseausweises noch zu retten, indem sie den großen Verbänden vorschlugen, dass Merkmal der Hauptberuflichkeit zu überarbeiten und nur noch als "Leitbild" anzusehen. Nachdem solche Bemühungen aber scheiterten, zogen sich die Länder Ende 2008 komplett aus der Vergabe von Presseausweisen zurück.
So kam es, dass es neben dem weiterhin von den großen Verbänden angebotenen Presseausweis für hauptberufliche Journalisten, der seine staatliche Legitimationswirkung verloren hatte, zahlreiche weitere Aussteller für Presseausweise förmlich aus dem Boden sprossen. Diese boten nach eigenen Kriterien, teils auch völlig ohne Kriterien und nur gegen Geld eigene Ausweise an.
2/2: Der Presseausweis verlor seinen Wert
In der Praxis führte das zu einer enormen Schwächung des Instruments Presseausweis. Bei Demonstrationen und Veranstaltungen musste wieder größerer Aufwand betrieben werden, um Journalisten von Nicht-Journalisten zu unterscheiden. Plötzlich spielten auch wieder Redaktionsbestätigungen und andere Dokumente zum Nachweis der Legitimation eine Rolle.
Manche Stellen, wie beispielsweise der Deutsche Bundestag im Jahr 2014, zogen hingegen immer noch solche Journalisten mit "Hauptberufler-Ausweis" anderen Journalisten vor. Eine Praxis, die man im Bundestag erst auf massive Kritik hin überdachte.
Mit der in der letzten Woche unterzeichneten Kooperation zwischen Innenministern und Deutschem Presserat zur Wiedereinführung eines bundeseinheitlichen Presseausweises wurde nun eine Forderung zahlreicher Akteure und nicht zuletzt der großen Verlegerverbände realisiert, welche 2013 sogar Eingang in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung gefunden hatte.
"Ständige Kommission" soll Bedenken abhelfen
Künftig soll für die Vergabe der bundeseinheitlichen Presseausweise eine "Ständige Kommission" zuständig sein, die beim Deutschen Presserat angesiedelt und paritätisch mit je zwei Vertretern vom Deutschen Presserat und von der Innenministerkonferenz besetzt werden soll.
In Anbetracht der verfassungsrechtlichen Gratwanderung, welche die Vergabe von Presseausweisen ist, erscheint es sinnvoll, die Entscheidung einem gemischten Gremium zu überlassen. So entkräftet man das Argument, der Staat entscheide, wer Presse sein darf und wer nicht. Die Entscheidung einem Gremium zu übertragen, auf welches der Staat durch die Innenministerkonferenz zwar einen gewissen Einfluss hat, welches durch den Deutschen Presserat aber bei einer Einrichtung angesiedelt ist, die der freiwilligen Selbstkontrolle entspringt, macht Sinn, denn der Presserat ist unabhängig vom Staat durch die Presseverbände selbst organisiert. So wird der Einfluss des Staates auf die Vergabe der Presseausweise auf ein Mindestmaß begrenzt, gleichwohl erfährt der Ausweis aber eine gewisse staatliche Legitimationswirkung.
Als förderlich kann sich dieses Gremium auch dann noch erweisen, wenn es um die Praktikabilität der einzelnen Vergabekriterien geht. Zum Beispiel, wenn sich einzelne der neu festgelegten Kriterien für die Ausweisvergabe in der Praxis als untauglich erweisen sollten.
Laut der in der vergangenen Woche getroffenen Vereinbarungen werden diese Kriterien etwa eine gewisse Mitgliederzahl der ausstellenden Verbände, eine Mindestexistenzdauer der Verbände, eine Branchenkenntnis und insbesondere die Vorgabe sein, dass der Ausweis nur an hauptberufliche Journalisten ausgegeben werden darf.
Die alte Leier: Wann arbeitet ein Journalist hauptberuflich?
Das Kriterium der "hauptberuflichen journalistischen Tätigkeit" wird also tatsächlich wieder ein K.O.-Kriterium sein. "An Personen, die diese Tätigkeit nur gelegentlich ausüben, wird ein Presseausweis nicht erteilt", heißt es in der Vereinbarung. Doch wie definiert man diese Hauptberuflichkeit? Gerade im letzten Jahrzehnt haben sich zahlreiche neue Formen von journalistischen Arbeitsweisen entwickelt. Seien es Bürgerjournalisten, Blogger oder freiberufliche Journalisten, die zwar regelmäßig, aber nur nebenbei schreiben und ansonsten einem anderen Job nachgehen: Darf man solche Akteure von vornherein vom Begriff der Presse ausnehmen? Nach Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz jedenfalls nicht, denn die Pressefreiheit ist ein Jedermanns-Grundrecht. Es wird daher in der Praxis entscheidend auf die Auslegung der Vergabekriterien für den bundeseinheitlichen Ausweis ankommen.
Dabei muss man im Hinterkopf behalten, dass der neue bundeseinheitliche Presseausweis nicht dazu führen wird, dass die Ausweise anderer Aussteller sofort vom Markt verschwinden. Diese können in Folge des Düsseldorfer Urteils aus 2004 weiterhin ihre Ausweise verbreiten. Unterschied ist allein, dass nur der bundeseinheitliche Presseausweis über eine quasi-staatliche Legitimation verfügt und sich dadurch von den anderen Ausweisen abheben wird. Journalisten mit anderen Ausweisen werden im Einzelfall Überzeugungsarbeit leisten müssen, wenn sich die Frage stellt, ob sie tatsächlich zur Presse gehören.
Dr. Jonas Kahl, LL.M. ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Spirit Legal LLP in Leipzig. Er ist spezialisiert im Presse-, Urheber- und Medienrecht und befasst sich seit Jahren mit Fragen der Zugangsrechte von Journalisten.
Dr. Jonas Kahl, Bundeseinheitlicher Presseausweis: Die Zwei-Klassen-Journalisten . In: Legal Tribune Online, 06.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21366/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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