Die Ampel will das Lieferkettengesetz wieder "wegbolzen" – zu viel Bürokratie. Mit solchen Ankündigungen wird den Unternehmen nicht geholfen, meint Bastian Brunk. Fehlentwicklungen in der Umsetzung lassen sich mit weniger Aufwand beheben.
Spitzenpolitiker aller drei Regierungsparteien sind sich einig: In seiner jetzigen Form hat das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) keine Zukunft. Besonders drastisch brachte es Bundeswirtschafts- und -klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) Anfang Oktober auf dem BGA-Unternehmertag mit seiner Forderung auf den Punkt, "die Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen". Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sekundierte vergangene Woche auf dem Deutschen Arbeitgebertag: "Das haben wir ja gesagt, das kommt weg." Auch FDP-Justizminister Marco Buschmann äußerte auf X deutliche Kritik.
Jedenfalls Habeck und Buschmann sind die mit dem Gesetz einhergehenden Berichts- und Dokumentationspflichten ein Dorn im Auge. Das Gesetz "hat sich als Ursache für eine Unmenge an Papierkram erwiesen", tweetete Buschmann. Habeck forderte ein Umdenken, was den Regulierungsansatz angeht: "Klare Regelgesetzgebung, aber keine Berichtspflichten, sondern an Regeln halten und im Zweifelsfall die Strafen dafür zu bezahlen, wenn man erwischt wird."
Derartige Äußerungen mögen zwar in den Ohren bürokratiegeplagter Unternehmerinnen und Unternehmer gut klingen. Sie erscheinen aber nicht aufrichtig oder zumindest nicht recht durchdacht. Denn dabei werden die Vorgaben des EU-Rechts ausgeblendet und die mit dem LkSG selbst gemachten Versprechen missachtet. Dass es bei der Umsetzung des LkSG zu Fehlentwicklungen gekommen ist, lässt sich nicht abstreiten – die kann der deutsche Gesetzgeber aber mit einfachen Klarstellungen korrigieren, die Kettensäge sollte er in der Garage lassen.
Menschenrechtsschutz als Bürokratiemonster – eine eindimensionale Sicht
Erstens bringt eine Abschaffung des LkSG oder zumindest der darin enthaltenen Berichtspflicht allenfalls eine kurzfristige Entlastung. Denn die europäische Richtlinie über Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) und die europäische Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) warten bereits auf ihre Umsetzung ins deutsche Recht. Erste Unternehmen sollen schon für das Berichtsjahr 2024 einen Nachhaltigkeitsbericht nach der CSRD vorlegen, und dieser geht nach Inhalt und Umfang deutlich über den vom LkSG geforderten Menschenrechtsbericht hinaus. Unternehmen, die zur CSRD-Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sind, sollen nach dem Willen des Gesetzgebers zumindest nicht verpflichtet sein, zusätzlich einen LkSG-Bericht vorzulegen.
Zweitens wird in der Diskussion über die mit dem LkSG verbundene Bürokratielast oft übersehen, dass das Gesetz auf den Schutz der Menschenrechte abzielt. Unternehmen sind verpflichtet, menschenrechts- und umweltbezogene Risiken im eigenen Geschäftsbereich wie auch bei Zulieferern und Abnehmern zu erkennen und zu minimieren. Dass dies nicht kostenfrei zu haben ist, ist klar und stand bereits bei Verabschiedung des Gesetzes fest. Wer es ernst meint mit dem Menschenrechtsschutz, sollte unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen daran festhalten.
Drittens sind derartige Abschaffungs-Rufe zwar aus Opportunitätsgründen nachvollziehbar. Gute Politik zeichnet sich aber durch informierte Entscheidungen und Verlässlichkeit aus. Dementsprechend hatte sich die Bundesregierung – damals übrigens nicht die Ampel, sondern eine unionsgeführte GroKo – bei der Verabschiedung des LkSG dazu verpflichtet, die Wirksamkeit des Gesetzes wie auch die damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen zu evaluieren. Erst auf Grundlage dieser Evaluation sollte entschieden werden, ob eine Gesetzesreform erforderlich sein und wie diese aussehen würde. Dabei kam ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/28649, S. 32) sogar eine "Absenkung des Schwellenwertes der Unternehmensgrößenklassen" in Betracht. Dass die Politik auf diese Evaluation nun kurzerhand verzichtet und sich stattdessen dem Druck der Wirtschaftsverbände beugt, ist nicht nur mit Blick auf den ausbleibenden Erkenntnisgewinn bedauerlich; es lässt sie auch wie das berühmte Fähnchen im Wind erscheinen.
Fehlentwicklungen in der Umsetzung des LkSG
Dessen ungeachtet lässt sich nicht von der Hand weisen, dass bei der Umsetzung des LkSG gewisse Fehlentwicklungen eingetreten sind, die tatsächlich zu einer erheblichen Belastung für die Unternehmen führen, ohne dass ihnen ein unmittelbar erkennbarer Nutzen für den Menschenrechts- und Umweltschutz gegenübersteht. Diese Fehlentwicklungen sind bereits im Gesetzestext angelegt: Die Unterscheidung zwischen unmittelbaren (Tier 1) und mittelbaren Zulieferern (Tier 2 etc.) und die damit verbundenen abgestuften Rechtspflichten in den §§ 5 ff. bzw. § 9 LkSG haben vielfach dazu geführt, dass Unternehmen massenweise Fragebögen an ihre unmittelbaren Zulieferer versenden und Zertifizierungen von ihnen verlangen, obwohl dort in aller Regel nur geringe Menschenrechts- und Umweltrisiken bestehen. Wenn Zulieferer entsprechende Anfragen von mehreren Abnehmern erhalten und dabei unterschiedlichen oder sogar widersprüchlichen Anforderungen ausgesetzt sind, ist es wenig verwunderlich, wenn sie über Überlastung klagen. Das trifft vor allem auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu, die nicht über ausreichende personelle und finanzielle Mittel verfügen, um eine Vielzahl entsprechender Anfragen zu bearbeiten.
Dies wirft die Frage auf, wie eine bürokratieärmere Lieferkettenregulierung angesichts der Anforderungen des Unionsrechts gelingen kann. Die Beantwortung dieser Frage drängt, weil die Bundesregierung in ihrer Wachstumsinitiative vom 5. Juli 2024 angekündigt hat, die CSDDD noch in dieser Legislaturperiode umsetzen zu wollen. Entsprechend wird sich das "window of opportunity" für sinnvolle Regulierungsansätze in absehbarer Zeit schließen. Dazu werden vor allem drei Ansätze diskutiert.
Erstens ist es vor dem Hintergrund der dargestellten Fehlentwicklungen von zentraler Bedeutung, den risikobasierten Ansatz der Sorgfaltspflichten im Gesetz stärker hervorzuheben. Das Gesetz sollte ausdrücklich klarstellen, dass Unternehmen nicht wahllos Maßnahmen gegenüber ihren sämtlichen unmittelbaren Zulieferern ergreifen dürfen, sondern sich prioritär den schwerwiegendsten Risiken widmen müssen – und zwar unabhängig davon, wo genau in der Lieferkette sie auftreten. Die Vorgaben der europäischen CSDDD zur Risikoermittlung und -bewertung und zur Priorisierung der ermittelten Risiken gehen ebenfalls von einem solchen risikobasierten Ansatz aus. Ohnehin sieht die CSDDD keine dem LkSG entsprechende Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern vor.
Bürokratie besser verteilen
Zweitens sollte klargestellt werden, dass die verbreitete Praxis, sämtlichen Zulieferern den gleichen generischen und häufig sehr umfangreichen Fragebogen zuzusenden, keine sinnvolle Risikoanalyse darstellt. Dies führt nämlich nicht nur zu einer unnötigen Belastung derjenigen Zulieferer, bei denen allenfalls geringe Menschenrechts- und Umweltrisiken bestehen. Es ist auch nicht zielführend, weil sich mit derartigen Fragebögen die tatsächliche Risikolage kaum sinnvoll ermitteln lässt. Stattdessen sollten Unternehmen verpflichtet werden, bereits bei der Entwicklung und Versendung von Fragebögen das Risikoprofil der jeweiligen Zulieferer(-kategorie) angemessen zu berücksichtigen. Entsprechend kann die Zulieferer- und Fragenauswahl auf diejenigen Bereiche beschränkt werden, bei denen die schwerwiegendsten Risiken zu erwarten sind.
Im künftigen Gesetz ließe sich dies durch eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen abstrakter und konkreter Risikoanalyse umsetzen. Ergänzend sollte das Gesetz ausdrücklich anordnen, dass die Ergebnisse der abstrakten Risikoanalyse im Rahmen der konkreten Risikoanalyse (z.B. bei der Einbeziehung von Interessenträgern) zu berücksichtigen sind. In der Sache entspricht dies ohnehin der Auslegungspraxis des für die Durchsetzung des LkSG zuständigen Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Die Unternehmen müssten diese Auslegungspraxis allerdings auch verinnerlichen.
Drittens sollte – auch dies entspricht der Auslegungspraxis des BAFA – ausdrücklich klargestellt werden, dass die verpflichteten Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten nicht dadurch erfüllen, dass sie sich deren Einhaltung von ihren Zulieferern schlicht zusichern lassen, sie also auf diese abwälzen. Stattdessen sollten verpflichtete Unternehmen mit ihren Zulieferern zusammenarbeiten, um die Sorgfaltspflichten gemeinsam zu erfüllen. Dies kann u.a. bedeuten, dass das verpflichtete Unternehmen seinen Zulieferern ganz oder teilweise die erforderlichen finanziellen oder personellen Mittel bereitstellen muss. In der CSDDD sind entsprechende Mechanismen für eine Zusammenarbeit in der Lieferkette bereits angelegt. Darüber hinaus sieht die Richtlinie vor, dass die EU-Kommission in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten Mustervertragsklauseln entwirft; insoweit wäre darauf zu achten, dass durch diese Klausel die Zusammenarbeit sichergestellt wird, z.B. indem Zulieferern in den Verträgen nicht einseitig Verpflichtungen auferlegt werden, sondern auch Pflichten des Abnehmers festgelegt sind (shared responsibility). Orientierung für entsprechende Mustervertragsklauseln bieten die European Model Clauses (EMCs) des Responsible Contracting Project.
Beim Bürokratieabbau ist schließlich nicht nur der Gesetzgeber gefragt. Vielmehr können die Unternehmen selbst einen Beitrag dazu leisten, die Sorgfaltspflichten zielgerichteter und dadurch mit geringerem Aufwand umzusetzen. Alle drei vorgeschlagenen Maßnahmen ließen sich nämlich bereits heute und auf Grundlage des gegenwärtigen Rechts umsetzen. Auch den Sorgfaltspflichten des aktuellen LkSG liegt ein risikobasierter Ansatz zugrunde, weshalb eine lückenlose Überwachung der unmittelbaren Zulieferer nicht erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund tragen die vom LkSG betroffenen Unternehmen für die dargestellten Fehlentwicklungen eine gewisse Mitverantwortung.
Politik und Unternehmen sollten sich beim LkSG daher neu besinnen. Angesichts des bevorstehenden Inkrafttretens der CSDDD lässt sich das LkSG nicht einfach "wegbolzen". Eine Abschaffung des Gesetzes ist aber auch nicht nötig. Vielmehr kann mit wenigen Klarstellungen eine abgewogene Lieferkettenregulierung erreicht werden, die zu weniger Papierkram und mehr Menschenrechtsschutz führt.
Dr. Bastian Brunk ist wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg. Die in diesem Beitrag vertretenen Ansichten geben ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder.
Bürokratiemonster Lieferkettengesetz?: . In: Legal Tribune Online, 30.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55748 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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