Der Bürgermeister von Kamp-Lintfort sieht sich Bedrohungen von rechts ausgesetzt und klagt auf Erteilung eines Waffenscheins. Aber dürfen sich Kommunalpolitiker zur Selbstverteidigung bewaffnen? Das wird das VG Düsseldorf entscheiden.
Christoph Landscheidt möchte einen Waffenschein. Der Mann ist Bürgermeister im nordrhein-westfälischen Kamp-Lintfort am Niederrhein und hat sich mit der rechten Szene angelegt: Er hatte Wahlplakate der Kleinstpartei "Die Rechte" zur Europawahl 2019 aus der Stadt entfernen lassen und wegen der Slogans darauf Strafanzeige wegen Volksverhetzung und Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten erstattet. Seitdem werde er massiv aus der rechten Szene bedroht, teilte er kürzlich per eigener Pressemitteilung mit.
Den sogenannten kleinen Waffenschein iSd § 10 Abs. 4 Satz 4 Waffengesetz (WaffG) hat Landscheidt schon. Damit darf er bereits außerhalb der eigenen Wohnung, von Geschäftsräumen, dem eigenen befriedeten Besitztum oder einer Schießstätte Schreckschuss-, Gas- und Signalwaffen bei sich führen. Bei öffentlichen Veranstaltungen wie Volksfesten, Messen oder Sportveranstaltungen ist das Mitführen allerdings grundsätzlich verboten, § 42 WaffG.
Doch Landscheidt möchte den echten, großen Waffenschein, der juristisch richtig lediglich Waffenschein heißt. Die zuständige Waffenbehörde – die Kreispolizeibehörde Wesel – lehnte den Antrag ab. Gegen den ablehnenden Bescheid hat der Bürgermeister im Oktober 2019 Verpflichtungsklage beim Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf eingereicht (Az. 22 K 7682/19), ein Eilverfahren hat er nicht gleichzeitig angestrengt. Am Dienstag wird in der Sache verhandelt – der Kläger hat jedoch einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit gestellt. Die Verhandlung wird zunächst mit Öffentlichkeit eröffnet werden, § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), dann entscheidet das VG, ob die öffentliche Verhandlung schutzwürdige Interessen des Bürgermeisters verletzten könnten. Nur wenn diese gegenüber dem Interesse an der öffentlichen Erörterung überwiegen, wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, § 171b GVG. Das entscheidet sich am Dienstagmorgen.
Ziel ist immer Einschüchterung
Die ganze Geschichte hätte wohl kaum eine derartige Öffentlichkeit ausgelöst, wenn nicht bekannt geworden wäre, dass der Bürgermeister den Waffenschein haben möchte. Nach Berichten des Nachrichtenmagazins Der Spiegel hatte sogar seine eigene Partei, die SPD, erst vergangene Woche Donnerstag erfahren, dass es sich bei dem bis dahin nur abstrakt bekannten Fall um ihr Parteimitglied handelte. An dem Tag habe "Die Rechte" seinen Namen öffentlich gemacht und zugleich eine Demo angekündigt. Daraufhin ging Landscheidt mit seiner eigenen Erklärung an die Öffentlichkeit.
Mit seinem Antrag auf Erteilung des Waffenscheins hat der Bürgermeister eine bundesweite Diskussion ausgelöst. Von Bayern bis Berlin gab es Solidarität und Meinungskundgebungen zu Bedrohungen und Angriffen von Politikern. Die Bedrohungen und andere Straftaten gegen Kommunalpolitiker und kommunale Amtsträger kommen meistens aus rechtsradikalen Kreisen. Die Mehrheit dieser Straftaten sei rechtsextremistisch motiviert, teilte das NRW-Innenministerium in Düsseldorf auf Anfrage der dpa mit. Demokratische Kommunalpolitiker gehörten zu den Feindbildern der rechtsextremistischen Szene. Die Mitglieder dieser Szene schreckten auch vor Gewalttaten nicht zurück.
Von 2016 bis zum 8. August 2019 seien 125 Straftaten gegen Mandats- und politische Amtsträger der Kommunen in NRW erfasst worden. Dabei handele es sich meistens um Bedrohungen. Es sei allerdings davon auszugehen, dass sehr viele dieser Delikte gar nicht angezeigt und erfasst werden. Von den 125 Straftaten wurden 66 der rechten Szene zugeordnet, 27 der linken Szene. Drei gingen auf das Konto ausländischer Ideologien und 29 seien keinem Bereich zuzuordnen gewesen. Die Zahlen waren bereits im vergangenen September auf Anfrage eines SPD-Landtagsabgeordneten veröffentlicht worden.
Seit 2016 werden Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger in den Kommunen erfasst. "Es gibt eine Vielzahl von Formen der Anfeindung, die von verbalen Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen reichen. Immer zielen sie darauf, sowohl den einzelnen Politiker als auch das Umfeld einzuschüchtern und von ihrem Engagement abzuhalten", sagte eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums.
Rücktritte von Kommunalpolitikern
Kamp-Lintfort ist also kein Einzelfall: Bundesweit sind bereits mehrere Bürgermeister, die von Rechtsradikalen terrorisiert wurden, zurückgetreten: Ende Dezember in der niedersächsischen Gemeinde Estorf etwa der SPD-Bürgermeister Arnd Focke. Er gab an, sein Auto sei mit Hakenkreuzen verunstaltet worden. In seinem Briefkasten seien Zettel mit der Aufschrift "Wir vergasen dich wie die Antifa" aufgetaucht. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte am Wochenende ein Interview mit der Bürgermeisterin der schwäbischen Gemeinde Kutzenhausen, Silvia Kugelmann, die wegen zermürbender Anfeindungen nicht mehr kandidieren will. Einmal sei ein Nagel in den Reifen ihres Autos gedrückt worden, ein anderes Mal habe jemand ihr Auto mit Katzenkot beschmiert.
Und es bleibt nicht bei Bedrohungen: 2017 wurde im sauerländischen Altena Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU), Vertreter einer liberalen Flüchtlingspolitik, attackiert. Henriette Reker (parteilos), inzwischen Oberbürgermeisterin von Köln, wurde 2015 - einen Tag vor ihrer Wahl - niedergestochen und lebensgefährlich verletzt. Der zu 14 Jahren Haft verurteilte Attentäter hatte eingeräumt, der rechten Szene angehört zu haben. Im vergangenen Jahr hatte eine Welle von Morddrohungen gegen Politiker für Aufsehen gesorgt - besonders vor der Landtagswahl in Thüringen. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) wurde im Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses erschossen, Hauptverdächtiger ist ein Mann mit Neonazi-Vergangenheit.
Am heutigen Donnerstag wurde bekannt, dass das Bürgerbüro des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby im sachsen-anhaltischen Halle angegriffen wurde. An einer Scheibe seien am Mittwochvormittag mehrere Einschusslöcher festgestellt worden, teilte die Polizei mit. Der Staatsschutz habe die Ermittlungen aufgenommen. Wer dahinter steckt, ist noch unklar. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte ihre Solidarität mit Diaby: "Demokratiefeinde müssen konsequent zur Verantwortung gezogen werden."
Das BMJV arbeitet bereits an einer Gesetzesänderung für einen besseren strafrechtlichen Schutz von Kommunalpolitikern gegen Anfeindungen und Hass. Konkret soll Paragraf 188 des Strafgesetzbuches (StGB) geändert werden, der "eine im politischen Leben des Volkes stehende Person" vor übler Nachrede schützt.
Bürgermeister: "Größtes Vertrauen in die Polizei"
Bewaffnung als Konsequenz der Bedrohungen wird jedoch kritisch gesehen: So äußerten sich der Deutsche Städtetag ablehnend, auch NRW-Innenminister Herbert Reul sagte: "Persönlich halte ich nichts davon, wenn sich Privatpersonen und Mandatsträger bewaffnen".
Auch Landscheidt selbst erklärte: "Ich habe größtes Vertrauen in die Polizei und respektiere selbstverständlich das Gewaltmonopol des Staates. Aufgrund zahlreicher Erfahrungen, Vorfälle und Gefährdungssituationen in der jüngsten Vergangenheit hat es allerdings konkrete Situationen in meinem privaten und beruflichen Umfeld gegeben, in denen polizeiliche Hilfe nicht rechtzeig erreichbar gewesen wäre und auch in Zukunft nicht erreichbar sein würde", so der Kommunalpolitiker und weiter: "Speziell für diese konkret benannten außergewöhnlichen Notwehrsituationen - die niemals in öffentlichen Veranstaltungen oder im Kontakt mit Bürgern oder Dritten zu sehen waren - habe ich den Waffenschein beantragt, um Angriffen gegen mich und meine Familie nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Dieses Recht ist speziell für Hoheitsträger im Gesetz vorgesehen."
Wann ist eine Gefährdung erheblich?
Landscheidt bezieht sich damit auf § 55 Abs. 2 WaffG. Danach wird Personen, die wegen der von ihnen wahrzunehmenden hoheitlichen Aufgaben des Bundes oder eines Landes erheblich gefährdet sind, (…) eine Bescheinigung über die Berechtigung zum Erwerb und Besitz von Waffen oder Munition sowie eine Bescheinigung zum Führen dieser Waffen erteilt.
Doch so einfach anwendbar wie diese Norm auf den ersten Blick scheinen mag, ist es nicht: "Eine Gefährdung im Sinne dieser Norm muss konkret und erheblich sein", erklärt Dr. Hans Scholzen, Anwalt für Waffenrecht in Düsseldorf und zudem Vorsitzender des Verbandes für Waffentechnik und -geschichte e. V. (VdW) sowie Präsident des Verbandes Deutscher Sportschützen e.V. (vds). "Eine solche Gefährdung muss sehr konkret sein, abstrakte Bedrohungen oder Hetze über das Internet reicht da etwa nicht aus", so der Anwalt.
Außerdem müsse der Betroffene sich zunächst anderweitig als mit einer Waffe schützen, soweit dies zumutbar ist. Das könnten etwa Personenschutz, Ausrüstung mit Überwachungstechnik des eigenen Hauses/der Wohnung oder die besondere Sicherung der eigenen Befriedung sein. "Überspitzt gesagt muss schon die Bombe vor der Tür liegen oder jemand körperlich angegriffen worden sein, bevor eine Gefährdung angenommen wird", so Scholzen. Entsprechend schwierig sei es auch für Politiker, einen Waffenschein zu bekommen, "das Führen einer Waffe wird sehr restriktiv gehandhabt".
Politiker nicht trainiert im Umgang mit Waffen
Zuständig für die Entscheidung über die Erteilung sind die örtlichen Polizeibehörden. Die haben Experten in den diversen Fachbereichen, die bei jedem Antrag eine Gefährdungsanalyse anstellen“, teilte eine Polizeidienststelle in NRW auf Anfrage mit. Die Polizisten prüften die Situation des Antragstellers dann ganz individuell.
Die Entscheidung habe dann nichts damit zu tun, dass die Polizei den Betroffenen nicht ernst nehme oder dieser nicht gefährdet sei, so der Polizist weiter. "Fakt ist aber, dass eine Bewaffnung kein Plus an Sicherheit bedeutet, sie gibt vielmehr eine trügerische Sicherheit. Polizisten und Sicherheitsdienste trainierten sehr regelmäßig den Einsatz von Waffen, um in Stresssituationen handlungssicher damit umgehen zu können. Alles andere ist für die Betroffenen und auch ihr Umfeld hochgradig gefährlich", heißt es aus der Polizeidienststelle in NRW.
Bürgermeister Landscheidt ist selbst Jurist
Der hauptamtlich als Bürgermeister tätige Landscheidt wird juristisch wissen, was er tut: Der Mann ist promovierter Jurist, arbeitete nach 2. Staatsexamen zunächst als Syndikus-Anwalt; dann einige Jahre als Richter mit Stationen in Krefeld, Kempen und Duisburg und schließlich als Referent in der Staatskanzlei in Düsseldorf. 1993 wurde er in Kamp-Lintfort zum Ersten Beigeordneten gewählt, drei Jahre später zum Stadtdirektor. Im Herbst 1999 wurde er der erste direkt gewählte hauptamtliche Bürgermeister in Kamp-Lintfort. Nach seinen Wiederwahlen 2004 und 2009 begann 2014 seine vierte Amtszeit. Im Nebenamt ist der 61-Jährige Professor für Internationales Wirtschaftsrecht an der Hochschule der Sparkassen-Finanzgruppe in Bonn. Auf die LTO-Anfrage zu seiner Klage antwortete er jedoch nicht.
Sein Anwalt, Wolfgang Spiske aus Duisburg, sagte: "Meiner Meinung nach wird man bald keine Bürgermeister mehr finden, wenn man sie mit dieser Bedrohung alleine lässt." Es helfe ihnen nicht, wenn ein Streifenwagen etwas häufiger als üblich am Wohnhaus vorbeifahre.
Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen wegen der Wahlplakate seinerzeit übrigens eingestellt.
Mit Material von dpa
VG zu Drohungen gegen Kommunalpolitiker: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39715 (abgerufen am: 03.10.2024 )
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