Siebte Person im Budapest-Komplex ist Syrer: Fünf euro­päi­sche Haft­be­fehle aus Ungarn

von Tanja Podolski

28.01.2025

Gegen fünf mutmaßliche Linksextreme liegen europäische Haftbefehle im Budapest-Komplex vor. Insbesondere einem von ihnen droht die Auslieferung nach Ungarn. Dieser Mann ist ein syrischer Flüchtling.

Zaid A. (Z.) ist die siebte Person der mutmaßlichen Linksextremisten, die sich vergangene Woche den Ermittlungsbehörden gestellt hatten. Er ist jedoch der Einzige aus der Gruppe, der in keiner Mitteilung der Behörden erwähnt wurde. Denn gegen ihn hat die Bundesanwaltschaft keinen Haftbefehl beantragt. Gegen ihn liegt ausschließlich ein europäischer Haftbefehl aus Ungarn vor. Denn Z. ist Syrer, und damit ist die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf ihn als Ausländer wegen Tatvorwürfen in Ungarn mindestens in Frage zu stellen. Damit droht ihm unmittelbarer als den anderen aus der Gruppe die Auslieferung. 

Den mutmaßlichen Linksextremisten wirft die Generalbundesanwaltschaft im Wesentlichen vor, als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung gemeinsam mit weiteren Personen Sympathisanten der rechtsextremen Szene im ungarischen Budapest angegriffen und schwer verletzt zu haben, §§ 129 Abs. 1, §§ 223, 224 Strafgesetzbuch (StGB). Sie sollen ihnen aufgelauert, sie verfolgt und dann mit Teleskopschlagstöcken auf sie eingeschlagen haben. Diese Taten werfen die ungarischen Behörden auch Z. vor, auch gegen mindestens vier der sechs weiteren Beschuldigten liegen neben den nationalen auch europäische Haftbefehle aus Ungarn vor.

Zuständigkeit für einen Ausländer

Die Ermittlungen gegen alle sieben Beschuldigten aufgenommen hatte zunächst die Generalstaatsanwaltschaft in Sachsen: Auffällig wurde diese Gruppe den Behörden rund um die bereits verurteilte Lina E. Später, etwa im April 2024, übernahm die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen. Verdächtigt und Gegenstand der Ermittlungen war stets auch Z. Soweit den Anwält:innen bekannt, wird er auch in den gegen die anderen Beschuldigten mit deutscher Staatsbürgerschaft ergangenen Haftbefehlen des Bundesgerichtshofs als Mittäter aufgeführt. Haftbefehle des Ermittlungsrichters des BGH ergingen jedoch nur gegen die sechs Personen. 

Z. (21) ist kein deutscher Staatsbürger. Er lebte in Nürnberg, ist in Deutschland zur Schule gegangen, spielte im Orchester Musik, hat einen Schutzstatus als Geflüchteter und eine Niederlassungserlaubnis. Doch auch mit einem Aufenthaltstitel bleibt er rechtlich ein Ausländer. "Bei möglichen Taten eines Ausländers muss die Staatsanwaltschaft prüfen, ob überhaupt deutsches Strafrecht anwendbar ist", erklärt Professor Dr. Mark A. Zöller, Geschäftsführer des Instituts für Digitalisierung und das Recht der Inneren Sicherheit (IDRIS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 

"Der für die vorgeworfenen Körperverletzungsdelikte angegebene Tatort ist Ungarn, damit ist für diese Taten auch Ungarn zuständig, sofern es sich bei den Tatverdächtigen nicht um deutsche Staatsbürger handelt", so Zöller, und verweist auf §§ 3, 9 StGB. Bei der Bildung einer kriminellen Vereinigung müsse man bei der Frage, ob es sich um eine inländische oder ausländische Organisation handelt, auf den Schwerpunkt der Organisationsstruktur abstellen, etwa, wo der Wille zur Bildung begründet worden sei aber auch auf das Aktionsfeld. In den bisherigen Mitteilungen des GBA bezieht sich die Behörde auf Taten in Budapest, hinreichende Informationen hinsichtlich des Ortes der Gründung der Vereinigung geben die Mitteilungen nicht. 

"Doch selbst, wenn die Bundesanwaltschaft bei Z. noch die Möglichkeit für Ermittlungen wegen der Vereinigung annehmen würde, fiele bei ihm eine Strafverfolgung wegen möglicher Körperverletzungsdelikte weg", sagt Zöller. In Bezug auf deutsche Staatsbürger gelte dann das aktive Personalitätsprinzip, nach dem ein Staat seine eigenen Staatsbürger selbst verfolgen dürfe. "Diese Personalitätsprinzip ist eine völkerrechtlich anerkannte Ausnahme, weil man durch Verfolgung von Auslandstaten in das ureigenste Recht des Tatortstaates auf eigene Strafverfolgung eingreift", so Zöller. Daher gelte es für einen Ausländer nicht. Selbst wenn also der Vorwurf der kriminellen Vereinigung im Inland bliebe, hätte Ungarn den Zugriff auf Z.

Nach Zöllers Ansicht ändert daran auch die Regelung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB nichts. Die Norm regelt die Zuständigkeit für die Strafverfolgung bei Taten im Ausland und auch den besonderen Fall, dass ein Ausländer eine Tat im Ausland begangen hat. Dann ist das deutsche Strafrecht nur anwendbar, wenn der Täter zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und keine Auslieferung stattfinden kann. "Die Regelung käme zum Tragen, wenn es um die Auslieferung in einen Unrechtsstaat ginge, wo etwa die Todesstrafe oder sonst eine unmenschliche Behandlung droht, so dass eine Auslieferung ein Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention wäre", sagt Zöller. Bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gelte dies aber nicht. 

Kriminelle Vereinigung im In- oder Ausland

"Die Situation betrifft bei Zaid A. als anerkannten Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention eine äußerst vulnerable Person", sagt seine Anwältin Anna Busl, Fachanwältin für Strafrecht und für Migrationsrecht in Bonn, gegenüber LTO. "Die Bundesrepublik ist in gleicher Weise verpflichtet, ein faires Verfahren für ihn zu gewährleisten."

"Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Inland begangen werden. Nach den uns vorliegenden Informationen wird immer wieder davon gesprochen, dass der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung bereits im Inland konstruiert wird", so die Anwältin weiter. "Damit wäre aber ein Anknüpfungspunkt für die Anwendung des deutschen Strafrechts auch für Zaid gegeben. Andernfalls hätte man auf § 129b StGB abstellen müssen, die Bildung einer kriminellen Vereinigung im Ausland. Dieser Paragraph findet aber in keiner uns vorliegenden Akte oder Entscheidung Erwähnung." 

Die Norm findet sich auch nicht in Pressemitteilungen der Bundesanwaltschaft. Die Behörde kommentierte die Vorgänge gegenüber LTO nicht. 

Ermittlungen gegen mehr als zwölf Personen

Auch gegen vier weitere Beschuldigte liegen europäische Haftbefehle aus Ungarn vor, bei zwei weiteren Personen ist das bisher unklar. Die nach Aussage der Anwälte "junge Antifaschist:innen" im Alter zwischen 21 und 27 Jahren, waren seit März 2023 untergetaucht. Sie hatten mehrfach mitgeteilt, dass sie sich den Strafverfolgungsbehörden stellen würden. Sie wollten jedoch eine Zusicherung, dass sie nicht nach Ungarn ausgeliefert werden würden. Diese Zusicherung hatten die Behörden verweigert. 

Stellen die ungarischen Behörden ein Auslieferungsersuchen, werde bei sogenannten Katalogstraftaten nicht viel geprüft, hatte der Anwalt Dr. Nikolaos Gazeas von der Kölner Kanzlei Gezeas Nepomuck bereits anlässlich des Falles von Maja T. erklärt. Entscheidend sei, dass das Auslieferungsersuchen vorliegt, der Vorwurf von Taten – in T.s Fall die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung – im Raum stehen und keine Auslieferungshindernisse bestehen, sagte er damals.

Zu dem Auslieferungsersuchen nehmen die Strafverfolgungsbehörden Stellung. Das Ersuchen kann abgelehnt werden. Eine weitere Person aus dem Umfeld der jetzt Inhaftierten, Maja. T., die ebenfalls mit den Tatvorwürfen konfrontiert ist, wurde aufgrund eines europäischen Haftbefehls bereits nach Ungarn ausgeliefert. Die Umstände dieser Auslieferung hatten zu kritischen Reaktionen geführt, das Bundesverfassungsgericht hatte sie als rechtswidrig eingestuft. Die Verfassungsbeschwerde der Anwälte ist noch in Karlsruhe anhängig. Nach Berichten der taz steht eine Haftstrafe von bis zu 24 Jahren im Raum.

Im Zusammenhang mit diesem sogenannten Budapest-Komplex werden in Deutschland und Ungarn nach Angaben der Anwälte Strafverfahren gegen mehr als zwölf Personen geführt. Die Verfahren stünden miteinander in Verbindung. Dazu zählt auch das Verfahren gegen ein weiteres Mitglied der Gruppe, Hanna. S. Der Prozess beginnt im Februar vor dem Oberlandesgericht München

Zitiervorschlag

Siebte Person im Budapest-Komplex ist Syrer: . In: Legal Tribune Online, 28.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56447 (abgerufen am: 17.03.2025 )

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