Bei Streit über Abrechnungen von Krankenhausleistungen sollte schon bisher eine Schlichtung obligatorisch sein. Das BSG verleiht dem praktische Wirksamkeit. Alle Details erklärt Anders Leopold.
Wer als gesetzlich Krankenversicherter im Krankenhaus behandelt werden muss, wird mit den Kosten nicht unmittelbar belastet. Die Träger der Krankenhäuser machen ihre Vergütungsansprüche direkt gegenüber den Krankenkassen geltend. Seit Jahren mehren sich jedoch die Fälle, in denen es zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen zu Meinungsverschiedenheiten über die Abrechnungen kommt.
Gestritten wird über die grundsätzliche Notwendigkeit einer stationären Behandlung des Patienten, deren erforderliche Dauer oder die zutreffende Kodierung von Diagnosen beziehungsweise. vorgenommenen Prozeduren. Gemein haben diese Aspekte vor allem eines: Auswirkungen auf die konkreten Kosten einer Krankenhausbehandlung. Der Umfang und die Komplexität dieser Rechtsmaterie führten dazu, dass sie Gegenstand einer Vielzahl gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden ist – mit der Folge einer erheblichen Belastung der Gerichte.
Gesetzlich vorgesehene Schlichtung bleibt wirkungslos
Der Gesetzgeber hat daher bereits 2013 den Versuch unternommen, die Sozialgerichtsbarkeit zu entlasten. Für Streitigkeiten über Abrechnungen bis zu 2000 Euro hat er mit § 17c Abs. 4b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) ein obligatorisches vorgerichtliches Schlichtungsverfahren eingeführt. In Ausführung dessen sind auf Landesebene Schlichtungsausschüsse einzurichten. Das Gesetz blieb bisher indes weitgehend wirkungslos: Seit Inkrafttreten wurden Schlichtungsausschüsse entweder nicht eingerichtet oder nicht funktionsfähig ausgestaltet. Angesichts dessen hat der Bundestag nachgelegt und im Jahr 2014 ersatzweise die nach § 18a KHG bereits vorhandenen Schiedsstellen zur Wahrnehmung der Schlichtungsaufgabe verpflichtet.
Bisher: Klagen auch ohne Schlichtungsverfahren zulässig
Es war zu erwarten, dass der fehlende Wille in den Ländern, Schiedsstellen einzurichten und sie ihrem Auftrag entsprechend auszustatten, ebenfalls die Sozialgerichtsbarkeit beschäftigen würde. Auf eine Sprungrevision des Sozialgerichts Berlin hat der 3. Senat des BSG im vergangenen Jahr entschieden, dass das Fehlen eines Schlichtungsausschusses auf Landesebene oder dessen Funktionsunfähigkeit einer unmittelbaren Klagerhebung nicht als notwendig einzuhaltende Sachurteilsvoraussetzung entgegengehalten werden dürfe (Urt. v. 8.10.2014, Az: B 3 KR 7/14 R). Dies erfordere die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Direkt erhobene Klagen seien daher nicht unzulässig. Bestehe auf Landesebene kein (funktionsfähiger) Schlichtungsausschuss nach § 17c KHG, sei bis zur Errichtung eines solchen die Schiedsstelle nach § 18a KHG zuständig; dies aber auch nur, wenn sie ihre Bereitschaft dazu angezeigt hätte.
Mit dem Jahreswechsel 2014/2015 hat der 3. Senat des BSG infolge einer Neuordnung der Geschäftsverteilung beim BSG indes die Zuständigkeit für Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenhausträgern und gesetzlichen Krankenkassen abgegeben. Der seitdem allein hierfür zuständige 1. Senat des BSG hat nun jüngst auf eine vom Sozialgericht Mainz zugelassene Sprungrevision (Urt. v. 04.06.2014, Az. S 3 KR 645/13) die Gelegenheit erhalten, die nach wie vor strittige Frage erneut einer Klärung zuzuführen.
2/2: Künftig obligatorische Schlichtung in Bagatellverfahren
Der 1. Senat des BSG konnte in der legislativen Einführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens keine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG erkennen (Urt. v. 23.06.2015, Az: B 1 KR 26/14 R).
In allen Streitigkeiten über Krankenhausvergütungen bis zur Höhe von 2.000 Euro, in denen eine sogenannte Auffälligkeitsprüfung (vgl. § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch V, SGB) tatsächlich stattgefunden hat, sind die Beteiligten daher verpflichtet, vor Erhebung einer Klage den Schlichtungsausschuss anzurufen. Im Rahmen des dort geführten Verfahrens soll die Streitigkeit durch öffentlich-rechtlichen Vertrag beigelegt werden.
Erst im Falle des Scheiterns des Schlichtungsverfahrens kann anschließend Klage beim Sozialgericht erhoben werden. Aufgrund der Rechtsprechung des zuvor zuständigen 3. Senats des BSG sah sich der 1. Senat indes aus Vertrauensschutzgründen daran gehindert, die Wirksamkeit dieser Sachurteilsvoraussetzung mit Wirkung ex tunc anzunehmen. Den Beteiligten soll Gelegenheit gegeben werden, sich auf die neue Situation einzustellen. Im dem Urteil ist daher eine – wenn auch recht kurze – Übergangsfrist bis zum 1.September 2015 eingeräumt worden, mit deren Ablauf neue Bagatell-Klagen ohne vorherige Anrufung des Schlichtungsausschusses als unzulässig anzusehen sind. Existiert bis zum Stichtag auf Landesebene kein (funktionsfähiger) Schlichtungsausschuss nach § 17c KHG, sind ersatzweise und ohne das Erfordernis einer Bereitschaftserklärung die Schiedsstellen nach § 18a KHG zur Durchführung des Schlichtungsverfahrens berufen, urteilte der 1. Senat.
Konsequenzen aus dem Urteil
Im Nachgang dieses BSG-Urteils sind verschiedene Szenarien denkbar: So erscheint es als möglich, dass die Schlichtungsausschüsse in den Ländern ihre Arbeit jetzt (wieder) aufnehmen und die zwischenzeitlich aufgelaufenen Rückstände schrittweise abbauen. Dies dürfte jedoch insbesondere in Ballungszentren angesichts der hohen Zahl dort ansässiger Krankenhäuser mit erheblichem organisatorischem und personellem Aufwand verbunden sein.
Da die Zulässigkeit von Klagen mit einem Streitwert von bis zu 2.000 Euro gegenwärtig unbestritten sein dürfte, ist es ebenso wahrscheinlich, dass sich die Beteiligten dazu entschließen, die aus ihrer Sicht ungeliebten Schlichtungsverfahren zu vermeiden und alle derzeit ruhenden Abrechnungsstreitigkeiten in den verbleibenden zehn Wochen bis zum 1. September noch direkt zu Gericht zu tragen.
Dies falls würden mit Blick auf die große Zahl dieser Verfahren – allein im Bundesland Hamburg sind es dem Vernehmen nach Verfahren in mehrfach vierstelliger Anzahl – der Sozialgerichtsbarkeit die Konsequenzen aus der Nichtbeachtung des seit 2013 gesetzlich normierten Schlichtungsverfahrens aufgebürdet. Rückschauend betrachtet ist es bedauerlich, dass es einer Anrufung des BSG bedurfte, um das faktische „Inkrafttreten“ eines sinnvollen Instruments zur Streitbeilegung in Bagatellverfahren zu erreichen, welches zur Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit konzipiert ist.
Der Autor Dr. Anders Leopold ist Richter am Sozialgericht Hamburg und Lehrbeauftragter der Universität Kassel.
Dr. Anders Leopold, BSG zu Krankenhaus-Vergütungs-Streitigkeiten: Gesetz erhält praktische Wirksamkeit . In: Legal Tribune Online, 24.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15978/ (abgerufen am: 27.09.2023 )
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