Selbstständig oder abhängig beschäftigt? Eine Entscheidung des Bundessozialgerichts schaffte Unsicherheiten, die der Gesetzgeber mit einer neuen Regelung im Sozialgesetzbuch eindämmen will. Ob ihm das gelingt, analysiert Simon Mantsch.
Der am 1. März 2025 in Kraft getretene § 127 Sozialgesetzbuch (SGB) IV ermöglicht es Lehrkräften, ihre Lehrtätigkeiten bis Ende 2026 rechtssicher als selbständige Tätigkeit ausüben – und zwar selbst dann, wenn sie nach den richterrechtlich fortentwickelten Maßstäben zur Statusbeurteilung als abhängig beschäftigt zu qualifizieren wären. Was auf den ersten Blick paradox anmutet, hat bei näherer Betrachtung eine Legitimation, reicht jedoch kaum über einen ersten Schritt hinaus.
Hintergrund der neuen SGB-Norm ist die Herrenberg-Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahr 2022 (Urt. v. 28.06.2022, Az. B 12 R 3/20 R). Sie hat das Sozialrecht der vergangenen Jahre geprägt wie kaum eine andere. Für viele überraschend kamen die Kasseler Richter zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit einer Musikschullehrerin trotz anderslautender vertraglicher Übereinkunft zwischen Musikschule und Lehrerin als abhängige Beschäftigung zu qualifizieren ist. Es löste Unsicherheiten und sozialgerichtliche Folgeentscheidungen aus, die in ihrer Reichweite weit über (Musik-)Schulen hinausgingen.
In vielen Bereichen fragte man sich nach dem Urteil teils zu Recht, teils aber auch zu Unrecht, ob die Tätigkeiten von "freien Mitarbeitern" tatsächlich selbständig oder vielmehr nur im Gewand der Selbständigkeit ausgeübt werden und nach den neu justierten Maßstäben eine abhängige Beschäftigung verdecken. Damit einher gehen zwei große Sorgen: Erstens ist die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung auch für die Vergangenheit mit der Erhebung erheblicher Nachforderung zur Sozialversicherung verbunden. Ansprüche auf Sozialversicherungsbeiträge verjähren nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV schließlich erst nach vier Jahren. Andererseits aber – und gerade das dürfte bei vielen für Unbehagen sorgen – drohen auch strafrechtliche Konsequenzen. Denn wer als Arbeitgeber vorsätzlich Beiträge zur Sozialversicherung vorenthält, macht sich auch nach § 266a StGB strafbar.
Diese Unsicherheit hat der Gesetzgeber erkannt. Er verabschiedete im letzten Zuge der 20. Legislaturperiode im Rahmen eines sogenannten Omnibusgesetzes den neuen § 127 SGB IV und mit ihm eine "Übergangsregelung für Lehrtätigkeiten" (BGBl. 2025 I Nr. 63, 7 f.).
Mit Zustimmung der Lehrkraft bleibt es bei einer selbständigen Beschäftigung
Zentral schafft die Vorschrift die Möglichkeit, eine als selbständige Tätigkeit vereinbarte Lehrtätigkeit bis zum 31. Dezember 2026 auch rechtssicher als selbständige Tätigkeit auszuüben, und zwar selbst dann, wenn es sich nach den modifizierten Maßstäben des BSG, die die Sozialversicherungsträger im Rahmen ihrer Prüfverfahren zugrunde legen, um eine abhängige Beschäftigung handelt. Erreicht wird dadurch eine Befriedung auf Zeit. Lehreinrichtungen erhalten die Gelegenheit, ihre Vertragswerke mit Lehrkräften sowie ihre internen Strukturen so anzupassen, dass jene Lehrkräfte auch ab dem 1. Januar 2027 – selbst nach den neuen, wenn auch weiterhin vagen Maßstäben – rechtssicher als Selbständige behandelt werden können oder einvernehmlich in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis übergehen. Zu Nachforderungen zur Sozialversicherung für den Zeitpunkt vor dem 1. Januar 2027 kommt es bei Anwendung der Übergangsregelung hingegen ebenso wenig wie zu einer Strafbarkeit nach § 266a StGB. Gerade dies dürfte bei vielen für Erleichterung sorgen.
Obligatorisch für die Anwendung der Übergangsvorschrift bleibt jedoch eine nach Inkrafttreten der Vorschrift erklärte Zustimmung der Lehrkraft. Erklärt sie sich gegenüber dem Sozialversicherungsträger bzw. dem Vertragspartner mit der Anwendung der Übergangsregelung des § 127 SGB IV nicht einverstanden, bleibt der mit Rechtsunsicherheiten verbundene status quo ante erhalten. Kommt ein Sozialversicherungsträger in diesem Falle im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens oder einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die von der Lehrkraft ausgeübte Tätigkeit eine abhängige Beschäftigung darstellt, ist daran (nach etwaiger Bestreitung des Rechtswegs) nicht zu rütteln. Die damit verbundene Nachforderung für nicht entrichtete Sozialversicherungsbeiträge ist für die Lehreinrichtung dann unvermeidbar. Ist das Ergebnis demgegenüber, dass die Tätigkeit selbständig ausgeübt wird, so ist zumindest aus Sicht der Lehreinrichtung "nochmal alles gut gegangen".
Warum sollten Lehrkräfte zustimmen?
Nun ergibt sich unweigerlich die Folgefrage, warum die Lehrkraft ihre Zustimmung erteilen sollte. Erkennbarer Zweck des Zustimmungserfordernisses ist es, der Lehrkraft kein Ergebnis aufzudrängen, das mit der gegenwärtigen Rechtsprechung zur Statusbeurteilung nicht im Einklang steht. Doch kann es zu einem solchen bei Anwendung der Übergangsregelung durchaus kommen: Selbst wer schon nach "alten Maßstäben" als abhängig beschäftigt hätte qualifiziert werden müssen, würde bei Anwendung der Übergangsregelung nicht als aufgrund abhängiger Beschäftigung sozialversicherungspflichtig behandelt. Dabei kann eine womöglich tatsächlich vorliegende abhängige Beschäftigung, die durch Anwendung der Übergangsregelung ja gerade bis Ende 2026 ausgeschlossen wird, aus Sicht der Lehrkraft durchaus verlockend sein: Wer als abhängig beschäftigt eingeordnet wird, profitiert von der arbeitgeber(mit)finanzierten Absicherung in den Sozialversicherungssystemen, während die Lehrkraft im Falle einer Selbständigkeit für jene Kosten alleine aufkommen muss.
Und dennoch ist zu erwarten, dass zumindest einige Lehrkräfte ihre Zustimmung erteilen werden. Denn auch die durch § 127 SGB IV (zumindest auf Zeit) abgesicherte selbständige Tätigkeit hat Vorteile. In erster Linie erhalten Selbständige ein Honorar, das regelmäßig höher ist als die Vergütung eines abhängig Beschäftigten, der arbeitsrechtlich regelmäßig als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist. Gerade dieses höher angesetzte Honorar droht die Lehrkraft aber zu verlieren, wenn sie sozialrechtlich als abhängig beschäftigt und arbeitsrechtlich als Arbeitnehmer qualifiziert wird.
Und mehr noch: Die Lehrkraft kann gar mit Rückforderungen für die an sie als vermeintlich selbständige Lehrkraft geleisteten Honorarzahlungen konfrontiert werden. Denn mit der Feststellung, dass keine selbständige Tätigkeit vorliegt, steht regelmäßig zugleich fest, dass der Dienstverpflichtete auch nur als Arbeitnehmer hätte vergütet werden müssen. Für Honorarzahlungen, die über die durch Auslegung oder nach § 612 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) maßgebliche “übliche Vergütung” hinausgehen und dem Dienstverpflichteten in der Annahme einer selbständigen Tätigkeit gewährt wurden, besteht dann kein Rechtsgrund mehr. Die Konsequenz: Der Differenzbetrag kann oftmals über § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückverlangt werden (BAG, Urt. v. 04.12.2024, Az. 5 AZR 272/23). Daran jedoch wird der Lehrkraft kaum gelegen sein. Mit der Zustimmung in die Anwendung der Übergangsregelung ließe sich dieses Problem zumindest vorübergehend umgehen.
Zu eng gefasster Anwendungsbereich: verfassungsrechtlich dünnes Eis?
Frei von verfassungsrechtlichen Bedenken ist die Regelung des neuen § 127 SGB IV derweil nicht. Der Gesetzgeber ist nach Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet, vergleichbare Sachverhalte auch gleich zu behandeln – tut er dies nicht, bedarf es der Rechtfertigung. Man wird sich in Zukunft umfassend mit der Frage beschäftigen müssen, ob der auf Lehrtätigkeiten begrenzte Anwendungsbereich haltbar ist.
Zu kurz gegriffen ist die Annahme, dass ein Sonderrecht für Lehrtätigkeiten bereits dadurch zu legitimieren sei, dass auch die Herrenberg-Entscheidung, auf die der Gesetzgeber mit dem neuen § 127 SGB IV unzweifelhaft Bezug genommen hat, die Beurteilung nur von Lehrtätigkeiten (konkret: die Tätigkeit einer Musikschullehrerin) zum Gegenstand hatte. Insoweit ist schließlich offenkundig, dass sich Auswirkungen der neu justierten Rechtsprechung auch in anderen Bereichen gezeigt haben. Neu hinzugetretene Rechtsunsicherheiten waren und sind insoweit keinesfalls auf den Bereich von Lehrtätigkeiten begrenzt.
Auch dem Ansatz, dass eine Sonderrechtsprechung bei der Beurteilung von Lehrtätigkeiten bestanden habe, die nunmehr aufgegeben wurde und zur Vermeidung erheblicher Rechtsunsicherheiten ein vorübergehendes Sonderrecht legitimiere, hat das BSG jüngst explizit einen Riegel vorgeschoben. Eine so verstandene Sonderrechtsprechung hat nach Ansicht der Kasseler Richter noch nie existiert – daran wird man sich orientieren müssen (Urt. v. 06.11.2024, Az. B 12 BA 3/23 R).
Der Gesetzgeber stützt sich insgesamt recht pauschal auf die Bedeutung eines gut funktionierenden Bildungsbereichs und seine gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Die Bedeutung des Bildungsbereichs ist immens und in Gestalt der schulischen Bildung erfährt ein Teil dessen, was sich unter den Oberbegriff des Bildungsbereich fassen lässt, durch Art. 7 Abs. 1 GG eine grundrechtliche Absicherung. Es besteht gar eine staatliche Pflicht zur Gewährleistung eines funktionierenden Schulsystems (BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021, Az. 1 BvR 971/21, 1 BvR 1069/21). Doch wird allein dies als Legitimation für das mit § 127 SGB IV verbundene Sonderrecht für den gesamten Lehrbereich nicht genügen, weil die von § 127 SGB IV erfassten Lehrtätigkeiten weit über das durch Art. 7 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Schulwesen hinausgehen. Schon die Musikschulen, die der Gesetzgeber als von § 127 SGB IV explizit erfasst sieht, fallen nicht unter Art. 7 Abs. 1 GG. Auch dürfte recht unstreitig sein, dass Lehrtätigkeit nicht gleich Lehrtätigkeit ist. Bei allzu vorschnellen Schlüssen ist daher Vorsicht angebracht. Verfassungsrechtlich könnte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.
Ein guter Anfang, dem mehr folgen muss
Insgesamt bleibt die Vorschrift der richtige erste Schritt, auch wenn sie wohl zu eng gefasst ist. Doch wer einen Schritt geht, der muss auch an den zweiten denken. Der Vorschrift des § 127 SGB IV als Übergangsregelung ist immanent, dass ihre Geltung befristet ist. Doch auch nach dem 31. Dezember 2026 werden sich Abgrenzungsfragen zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit stellen. Die Rechtsprechungslinie ist insgesamt strenger geworden und tendiert zu einer vermehrten Annahme von abhängigen Beschäftigungen. Gleichsam aber bleibt sie inhaltlich vage und konturiert nur wenig, unter welchen Voraussetzung eine selbständige Tätigkeit möglich bleibt.
Es ist breiter Konsens in Wissenschaft und Praxis, dass neben der abhängigen Beschäftigung auch Raum für die Selbständigkeit bleiben muss. Der Gesetzgeber täte daher gut daran, neben der nun in Kraft getreten Übergangsregelung bis zum 31. Dezember 2026 auch eine "inhaltliche Antwort" zu geben, die aufzeigt, wie eine selbständige Tätigkeit im Lehrbereich, aber aus den genannten Gründen eben auch darüber hinaus, rechtssicher möglich bleibt. Andernfalls wird die auf Zeit gewonnene Rechtssicherheit abrupt wieder verloren gehen. Daran jedoch kann keinem gelegen sein.
Der Autor Simon Mantsch ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn.
Neue Übergangsregelung im Sozialgesetzbuch: . In: Legal Tribune Online, 04.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56726 (abgerufen am: 19.04.2025 )
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