Ist ein Modedesigner ein Künstler? Es ist keine einfache Frage, die den Kasseler Richtern zur Entscheidung vorlag. Die Antwort bestimmt immerhin über den Zugang zur Künstlersozialversicherung und damit auch über den Empfang staatlicher Leistungen. Ein Urteil, das in letzter Konsequenz nicht ganz zu überzeugen vermag, meint Reimund Schmidt-De Caluwe.
Selbständige Künstler befinden sich oft finanziell in einer prekären Lage. Sich für den Fall der Krankheit, Erwerbsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit abzusichern, lässt ihr Einkommen regelmäßig nicht zu. Seit 1983 bezieht das Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) daher selbständige Künstler als Pflichtversicherte in den Schutz der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, später dann auch der Pflegeversicherung ein. Danach gilt für Künstler eine den Arbeitnehmern vergleichbar günstige Lage. Sie müssen nur die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge leisten. Den Rest trägt zu 20 Prozent der Staat. Weitere 30 Prozent müssen Verlage, Galerien oder Theater, also diejenigen aufbringen, die die Kunstwerke verwerten.
Diesen Schutz wollte die am Donnerstag vor dem Bundessozialgericht (BSG) unterlegene Klägerin in Anspruch nehmen. Sie ist diplomierte Modedesignerin, die seit 1999 freiberuflich tätig, und außerdem als Damen- und Herrenschneiderin in der Gewerberolle der Handwerkskammer eingetragen ist. Die Künstlersozialkasse (KSK) lehnte es jedoch ab, die Modedesignerin aufzunehmen: Die Tätigkeit der Klägerin sei ungeachtet der gestalterischen Elemente mit eigenschöpferischem Charakter in erster Linie ein Handwerk.
Das Sozialgericht Halle und das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hatten dies noch anders gesehen: Eine Modedesignerin gehöre durchaus zu den Künstlern. Jedenfalls dann, wenn sie sich überwiegend mit der Gestaltung von Entwürfen beschäftige und nicht als Schneiderin tätig sei. Die Kasseler Richter konnte diese Argumentation wiederum nicht überzeugen.
Das BSG hatte bereits 2011 die Weichen anders gestellt und bestätigt mit dem aktuellen Urteil seine Linie (BSG Urt. v. 10.03.2011, Az. B 3 KS 4/10 R sowie BSG Urt. v. 22.06.2012, Az. B 3 KS 1/11 R). Nach Ansicht des Gerichts sind nur solche Designer als Künstler i.S.d. KSVG anzuerkennen, die ihre Entwürfe überwiegend durch die Vergabe von Lizenzen verwerten. Wer hingegen Produkte nach eigenen Entwürfen selbst fertige oder fertigen lasse und sie anschließend selbst veräußere, genieße den Schutz des KSVG nicht, weil er dem Gesamtbild nach primär als Produzent tätig werde.
Künstler oder kreativer Handwerker?
Gerade die Abgrenzung von Künstlern und kreativen Handwerkern zeigt den schmalen Grat, auf dem sich die Rechtsprechung bewegt. Wie ein Musikinstrumentenbauer (BSG Urt. v. 20.03.1997, Az. 3 RK 15/96), ein Feintäschner (BSG Urt. v. 24.06.1998, Az. B 3 KR 13/97 R) oder ein Tätowierer (BSG Urt. v. 20.08.2007, Az. B 3 KS 2/07 R) einzuordnen sind, ist durchaus knifflig und letztlich von den Umständen des Einzelfalles abhängig. Dies auch deshalb, weil der Gesetzgeber bewusst und dem verfassungsrechtlichen Gebot eines offenen Kunstbegriffs entsprechend darauf verzichtet hat, zu definieren, was Kunst ist.
Allerdings hat das BSG im Laufe der Zeit doch gewisse Grundlinien herausgearbeitet. Ausgangspunkt hierfür ist das KSVG. Nach § 2 des Gesetzes ist Künstler, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Nach dem Schutzzweck des KSVG fallen darunter solche Tätigkeiten, die im Künstlerbericht der Bundesregierung aufgeführt sind. Der Bericht nennt bestimmte Kunsttypen, wie zum Beispiel Schauspieler, Maler oder Musiker, für die das soziale Schutzbedürfnis unterstellt wird, ohne dass es auf die Qualität ihrer künstlerischen Tätigkeit ankommt. Ergänzend können auch Handwerker ausnahmsweise Künstler sein, wenn ihre Werke in fachkundigen Kreisen als Kunst anerkannt werden.
Designer oder Produzent?
Die klagende Modedesignerin erfüllt diese Kriterien nach Ansicht des BSG nicht. Zwar wird im Künstlerbericht das Designhandwerk der bildenden Kunst gleichberechtigt gegenübergestellt. Und auch die Kasseler Richter gehen davon aus, dass Designer bildende Künstler sind, unabhängig davon, ob sie Mode, CD-Cover oder Webseiten gestalten. Dies soll jedoch nur gelten, wenn sich ein Designer darauf beschränkt, Entwürfe zu kreieren und sich nicht mit Produktion und Vermarktung befasst. Denn letzteres sei ebenso wenig wie die handwerkliche Fertigung eine künstlerische Tätigkeit.
Da sich die Arbeit der Designerin nicht im Entwerfen neuer Mode erschöpfe, sondern auch durch ihre Einbindung in den Produktions- und Vermarktungsprozess geprägt werde, sei sie keine Künstlerin. Auch habe sie sich als Damenschneiderin nicht in einem solchen Maße aus dem angestammten handwerklichen Berufsfeld gelöst, dass sie in Insiderkreisen als Künstlerin anerkannt würde.
Zwar ist der Künstlersozialschutz sicher nicht für denjenigen gedacht, der sein täglich Brot überwiegend damit verdient, seine eigenen Entwürfe zu vermarkten. In letzter Konsequenz überzeugt die Kasseler Entscheidung in ihrer strikten Grenzziehung allerdings nicht ganz: Ein Designer, dessen Label sich auf dem Markt durchgesetzt hat, kann seine Entwürfe von Dritten produzieren und vertreiben lassen. Er wird folglich als Künstler anerkannt und in die KSK aufgenommen. Dem Designer dagegen, der zum Überleben darauf angewiesen ist, seine Entwürfe selbst zu schneidern und zu verkaufen, wird der Zugang zur KSK versagt. Dabei ist letzterer doch in einer sozial schutzbedürftigeren Position.
Der Autor Prof. Dr. Reimund Schmidt-De Caluwe ist Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht und Sozialrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Modedesignerin darf nicht in die KSK: . In: Legal Tribune Online, 22.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6456 (abgerufen am: 03.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag