BSG entscheidet auch zur Selbstständigkeit von Pflegekräften: Kein Spe­zial­fall

Gastbeitrag von Jessika Gruber und Ulrike Grube

06.06.2019

Nach der Entscheidung des BSG zu Honorarärzten geht es nun auch um Pflegekräfte. Die Kliniken sollten schnell handeln und vor allem nicht meinen, es gehe in ihrem Fall um eine Ausnahme, warnen Ulrike Grube und Jessika Gruber.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat nach seinen Urteilen zur Selbstständigkeit von Gesellschafter-Geschäftsführern und Altenpflegern nun auch die Ärzteschaft überprüft (Urt. v. 04.06.2019, Az. B 12 R 11/18 R als Leitfall).

Nach diesem Urteil ist klar, dass kaum mehr Spielraum für die selbständige Tätigkeit eines Honorararztes in einem Krankenhaus existiert. Das Thema wird deshalb auch eine Rolle in den Betriebsprüfungen spielen. Es ist zu erwarten, dass die sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfung ihr Augenmerk darauf legen wird, ob Honorarärzte noch als Selbstständige behandelt werden und ob dies der höchstrichterlichen Rechtsprechung stand hält bzw. ob erforderliche Korrekturen in der Handhabung erfolgt sind.

Alle Kliniken und Unternehmen, die Honorarärzte beschäftigen, müssen nun reagieren. Andernfalls drohen hohe Nachzahlungen an die Sozialversicherungsträger, auch vor dem Hintergrund, dass die 30-jährige Verjährungsfrist angewendet werden muss, wenn vorsätzlich oder fahrlässig Beiträge zur Sozialversicherung nicht entrichtet wurden.

Darüber hinaus besteht für die verantwortliche handelnde Klinikleitung bzw. Geschäftsführung die Gefahr, dass man sich den strafrechtlichen Vorwurf des Sozialversicherungsabgabenbetruges gemäß § 266a StGB sowie der Lohn- und ggf. sogar Umsatzsteuerhinterziehung gefallen lassen muss – mit erheblichen (steuer-)strafrechtlichen Konsequenzen.

Das hätte gravierende persönliche Folgen für die Verantwortlichen, aber auch nicht zu unterschätzende finanzielle Auswirkungen und Reputationsschäden für die Kliniken. Es muss also schnell gehandelt werden: Soweit Kliniken nicht bereits in der Vergangenheit ohnehin  Statusfeststellungverfahren angeregt haben, wird es spätestens jetzt Zeit, die bisherige Handhabung kritisch auf den Prüfstand, die vormalige Handhabung auf richtige Beine zu stellen und, soweit erforderlich, für die Zukunft umzustellen.

Wichtig ist, nicht weiterhin dem Irrglauben zu unterliegen, der eigene Fall sei besonders und hebe sich von den vom BSG entschiedenen ab, so dass weitergemacht werden könne, wie bisher. Die insgesamt elf Fälle, die das BSG entschieden hat, bilden ein weites Spektrum ab, so dass praktisch kaum noch Raum für eine honorarärztliche Tätigkeit bleibt.

Emotionales Thema Selbstständigkeit

Immerhin herrscht damit Rechtsklarheit, auch wenn die Entscheidung des BSG anders ausfiel als von den Kliniken – und wohl auch den meisten Honorarärzten – erhofft. Das Thema "Scheinselbständigkeit" ist in erster Linie emotional belegt und die Kriterien zur Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit im vorliegenden Fall nicht mit dem Selbstverständnis der Ärzteschaft in Einklang zu bringen.

Dies liegt zum einen an dem sozialversicherungsrechtliche Abgrenzungsmerkmal, das sich mantraartig in jeder Entscheidung wiederholt: So sei "bei Diensten höherer Art das Weisungsrecht zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert". Im Kern geht es dabei darum, dass je mehr Fachwissen eine Tätigkeit verlangt es umso weniger erforderlich ist, den Betreffenden mittels Weisungen in seiner Arbeitsleistung zu führen. Die Honorarärzte argumentierten deshalb gerne, sie seien auf Grund der hohen Qualität ihrer Heilkunde von Weisungen ausgeschlossen.

So sieht es das BSG aber nicht: Im vorliegend entschiedenen Fall ging es um eine Anästhesistin, deren Eingliederung in die Arbeitsorganisation auch damit begründet wird, dass sie bei einer Operation als Teil des Teams agiert und einheitlich unter der Leitung eines Verantwortlichen mit diesem zusammenarbeiten muss.

Dies lässt sich auch auf einen Stationsarzt übertragen, da auch dessen Tätigkeit voraussetzt, dass diese sich in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügt. Gerade die Arbeitsteiligkeit der Prozesse in einem Krankenhaus sowie die in Kliniken vorherrschende  hierarchische Struktur stellen den Begründungsschwerpunkt in vorausgegangenen Landessozialgerichtsentscheidungen dar  (exemplarisch LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.10.2018, Az. L 1 KR 185/16).

Ein hohes Honorar ist nur ein Indiz

Aufgrund dieses Trends war die vorliegende Entscheidung des BSG so zu erwarten und befindet sich im Einklang mit einer Vielzahl an Entscheidungen der Landessozialgerichte: Die Tendenz den Bereich der selbständigen Tätigkeiten immer weiter einzuschränken, hatte sich bereits mit den letzten Entscheidungen zu Gesellschafter-Geschäftsführern gezeigt und wird nun konsequent anhand der bekannten Abgrenzungskriterien fortgeführt. Die Eingliederung in den Betriebsablauf und die Weisungsgebundenheit sind dabei die klaren Abgrenzungskriterien, wobei es auch keinen aus dem Berufsbild resultierenden Anlass gibt, diesen Kriterien eine abgeschwächte oder andere Bedeutung zuzumessen.

Bemerkenswert ist zudem die deutliche Absage des BSG den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen zu berücksichtigen. Diese Argumentation ging von Anfang an am Kern der Sache vorbei und kann allenfalls als Anregung an den Gesetzgeber verstanden werden, ähnlich wie bei Notärzten im Rettungsdienst mit der Einführung von § 23c Abs. 2 SGB IV geschehen, gesetzlich eine sozialversicherungsrechtliche Beitragsbefreiung zu schaffen.  

Auch das Argument, eine Honorarhöhe, die Eigenvorsorge zulasse, spreche für eine selbständige Tätigkeit rückte das BSG nun (nachdem einer Entscheidung vom 31. März 2017, Az: B 12 R 7/15 R, die zunächst dafür zu sprechen schien): Bei der Honorarhöhe handelt sich nur um ein im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigendes Indiz und eben kein Totschlagargument.

Auch Pflegekräfte in den Blick nehmen

Nun ist schnelles Handeln gefragt. Eine Art von Vertrauensschutz durch die Betriebsprüfung wird es nicht geben, vielmehr werden diese Fälle zum Prüfungsschwerpunkt. Spätestens jetzt muss allen Beteiligten klar sein, dass Handlungsbedarf besteht. Oft wird irrtümlich angenommen, dass eine vorangegangene Betriebsprüfung ohne Beanstandungen dokumentiert, dass die bisherige Handhabung auch richtig sei. Dem ist aber nicht so: Nur Sachverhalte die explizit geprüft und auch damit dokumentiert als richtige von der Betriebsprüfung attestiert wurden, unterliegen in Grenzen einem Vertrauensschutz.  Nach diesem Urteil noch unreflektiert an der bisherigen Handhabung festzuhalten, ist auf Grund der strafrechtlichen Relevanz nur schwerlich hinnehmbar.

Im Zuge der Korrektur des Status auf "abhängig beschäftigt" muss neben den steuerlichen Aspekten ebenso geprüft werden, ob ein Befreiungsbescheid von der deutschen Rentenversicherung zu Gunsten des Versorgungswerks vorliegt, oder ob eine Neubeantragung zwingend erforderlich ist.

Und: Die Kliniken sollten nicht nur die Honorarärzte in den Blick nehmen. Am Freitag wird das BSG sich mit Pflegekräften befassen, die ebenfalls auf Honorarbasis tätig sind, so dass sich dann in einem weiteren Bereich der Gesundheitsberufe für Betroffene und Berater die notwendige Klarheit in der Rechtsanwendung ergibt.

Bei einer konventionellen Pflegetätigkeit ist für die Argumentation zu Gunsten einer selbständigen Tätigkeit ebenfalls kaum Raum;  die erwartete BSG- Entscheidung hierzu wird voraussichtlich ebenfalls keine Überraschung darstellen, sondern nur die noch offene Flanke entsprechend schließen.

Ulrike Grube ist Rechtsanwältin, Wirtschaftsjuristin (Univ.BT) und Partnerin bei Rödl & Partner in Nürnberg, Leiterin des Teams "Prävention und Verteidigung".

Jessika Gruber ist Rechtsanwältin und Senior Associate bei Rödl & Partner in Nürnberg, International Expatriate Consulting Team, Schwerpunkt nationales und internationales Sozialversicherungsrecht.

Zitiervorschlag

BSG entscheidet auch zur Selbstständigkeit von Pflegekräften: . In: Legal Tribune Online, 06.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35797 (abgerufen am: 05.12.2024 )

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