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Brexit: Und nun?

24.06.2016

Brexit

© Eisenhans - Fotolia.com

Jetzt ist es tatsächlich so gekommen. Das Vereinigte Königreich hat sich gegen den Verbleib in der EU ausgesprochen. Wie es jetzt weitergeht, und wer mit welchen Konsequenzen rechnen muss, erklärt Jochen Kindermann.

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Gemäß § 2 des „European Union Referendum Act 2015 (Referendum Act) vom 17. Dezember 2015 durften alle Staatsbürger Großbritanniens, Irlands und des Commonwealth, die über 18 Jahre alt sind und auch zur Teilnahme an britischen Parlamentswahlen berechtigt gewesen wären, an der Volksabstimmung teilnehmen. Hinzu kamen die Mitglieder des House of Lords und die Commonwealth Bürger in Gibraltar.

Der Referendum Act bestimmte auch die Wortwahl des Abstimmungszettels. Somit hatten die Wahlberechtigten die einfache Frage zu beantworten:

Should the United Kingdom remain a member of the European Union or leave the European Union?

Zwei Antwortmöglichkeiten standen Ihnen dabei zur Verfügung:

Remain a member of the European Union

oder

Leave the European Union.

Wie wir jetzt wissen, hat die Mehrheit der Wähler sich offensichtlich für Letzteres entschieden.

Ist das Vereinigte Königreich damit raus aus der EU?

Mit dem Ausgang der Abstimmung ist der Brexit jedoch noch längst nicht vollzogen. Tatsächlich besteht rechtlich kein Unterschied zwischen dem Zeitraum vor der Stimmabgabe und dem danach. Sämtliche europarechtlichen Vorschriften bleiben auch am Morgen nach der Abstimmung weiterhin in Großbritannien anwendbar.

Nach wochenlangem Wahlkampf markiert die Volksabstimmung lediglich den Anfang vom Ende eines langwierigen, rechtlich, politisch und auch historisch bisher beispiellosen Prozesses.

Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU erfolgt im Rahmen und unter den Bedingungen des Art. 50 des Vertrages über die Europäische Union (EUV). Ziel der Vorschrift ist die Gestaltung eines geordneten Ausstiegprozesses eines Mitgliedstaates, ohne zukünftige Beziehungen zu kompromittieren. Formaljuristisch muss die britische Regierung gem. Art. 50 (2) EUV dem Europäischen Rat nun ihre Absicht mitteilen, aus der EU auszutreten.

Weder britische noch europäische Gesetze schreiben aber einen Zeitrahmen für die Abgabe dieser Absichtserklärung vor. Man darf aber schon jetzt davon ausgehen, dass Premierminister Cameron und seine Regierung wohl nur noch kurz im Amt bleiben und sie, oder die Folgeregierung, sich gezwungen sehen werden, den Austrittsantrag recht kurzfristig zu stellen.

Zwei Jahre Zeit für Verhandlungen und Austritt

Die dann beginnende Verhandlungsphase über die Modalitäten des formellen Austritts und der Abschluss eines Austrittsabkommens können grundsätzlich bis zu zwei Jahre ab Mitteilung an den Europäischen Rat andauern. Nur durch einstimmigen Beschluss aller Mitgliedstaaten kann die Frist im äußersten Fall auch auf unbestimmte Zeit verlängert werden.

Die Verhandlung selbst richtet sich nach Art. 218 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Danach erlässt der Rat der Europäischen Union auf Empfehlung der Kommission einen Beschluss über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen sowie über die Benennung des Verhandlungsführers oder des Leiters des Verhandlungsteams der Union.

Es folgt die Abstimmung des Rates über den Abschluss der Übereinkunft, welcher wiederum gem. Art. 218 (6) AEUV i.V.m. Art. 50 (2) EUV der Zustimmung des Europäischen Parlaments bedarf.

Das Vereinigte Königreich kann erst austreten, wenn eine Einigung erzielt wurde, wobei es hierfür einer qualifizierten Mehrheit des Europäischen Rats und der einfachen Zustimmung des Europäischen Parlaments bedarf. Sollte nach zwei Jahren der Verhandlung keine Einigung erzielt werden, bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder wird der Ausstieg automatisch wirksam und es kommt zu einem rechtlich und politisch abrupten Ende der Mitgliedschaft oder es wird von der Möglichkeit der Verlängerung der Verhandlungsphase Gebrauch gemacht. Da letzteres der Einstimmigkeit bedarf, erscheint es derzeit recht unwahrscheinlich, dass tatsächlich über den Zweijahreszeitraum hinaus verhandelt wird.

Das Ergebnis dieser Verhandlungen wird entscheidend für die Ausgestaltung künftiger Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Angefangen mit der Variante „drin ist drin und raus ist raus“ gibt es eine Vielzahl von diskutierten Modellen.

Wie die wirtschaftlichen Beziehungen in Zukunft aussehen könnten

Für den Fall, dass es zu keiner Einigung kommt, könnte die zukünftigen Handelsbeziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU  nach den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) ablaufen. Zwar wurden Zolltarife über die WTO zwischen den Mitgliedern in den vergangenen Jahren stark abgebaut, im Vergleich zum Status quo würde sich Großbritannien aber dennoch weitaus größeren Handelshemmnissen gegenübersehen.

Nach dem sog. Norwegischen Modell könnte sie als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) eine Freihandelszone zwischen der EU und der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) bilden. Im EWR werden Rechte und Pflichten des EU-Binnenmarktes auf die Efta-Mitglieder ausgedehnt. Wenn sich das Vereinigte Königreich dem EWR-Abkommen vertraglich anschließen würde, könnte es zwar weitere eigene Freihandelsabkommen abschließen, würde aber nicht mehr von den Freihandelsabkommen der EU mit Drittstaaten außerhalb des EWR profitieren.

Darüber hinaus hätte das Vereinigte Königreich als Nicht-Mitglied der EU auch kein nennenswertes Mitspracherecht mehr bei der Festlegung handelsrechtlicher Regelungen der Union, die im EWR anwendbar sind. Diese Variante würde auf eine Zahlungsverpflichtung ohne Mitspracherecht hinauslaufen und kann in Anbetracht der politischen Hintergründe für das Austrittsbegehren wohl ausgeschlossen werden.

Denkbar wäre auch das sog. Kanadische Modell. Der noch nicht ratifizierte Vertrag mit Kanada (CETA) gilt als das umfassendste Freihandelsabkommen der EU mit einem Drittstaat. Die Verhandlungen haben rund sieben Jahre gedauert. Mit dem Abkommen werden Zölle für Industrieprodukte und die meisten Agrargüter abgebaut, wobei kanadische Exporteure den Produktstandards und technischen Anforderungen der EU nachkommen müssen. Finanzdienstleistungen sind hingegen nicht eingeschlossen und auch bedeutende nichttarifäre Handelshemmnisse bleiben bestehen.

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    Zwei Jahre Zeit für Verhandlungen und Austritt

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    Finanzbranche, Rechtsbranche, europäische Patente: massive Folgen

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Brexit: . In: Legal Tribune Online, 24.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19780 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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