Am Donnerstag entscheiden die Briten, ob sie Mitglied der EU bleiben. Doch wie ist der Ablauf? Gehen die Briten ins Wahllokal? Wer darf überhaupt entscheiden? Jochen Kindermann über den Ablauf des Referendums und wirtschaftliche Konsequenzen.
LTO: Wie wird die Abstimmung am 23. Juni ablaufen? Kann man sich das vorstellen wie eine Wahl bei uns in Deutschland?
Kindermann: Im Prinzip ja, allerdings gibt es schon eine Reihe von Unterschieden. Man stimmt genauso wie bei uns in einem wohnortnahen Wahllokal oder per Briefwahl ab. Allerdings findet die Abstimmung nicht an einem arbeitsfreien Tag, sondern, so wie sonstige Wahlen in Großbritannien auch, an einem Wochentag statt. Dafür sind die Wahllokale aber deutlich länger geöffnet, von 7 Uhr morgens bis 10 Uhr abends.
LTO: Wer darf denn überhaupt an der Wahl teilnehmen?
Kindermann: An dem Referendum über den EU-Austritt dürfen alle Staatsbürger Großbritanniens, Irlands und des Commonwealth abstimmen, die im Vereinigten Königreich leben, sowie britische Staatsbürger, die seit weniger als 15 Jahren im Ausland leben – soweit sie mindestens 18 Jahre alt sind und für die Wahl registriert sind. EU-Bürger, die in Großbritannien leben, haben kein Wahlrecht.
Insoweit bestehen Ähnlichkeiten zur Wahl zum deutschen Bundestag, bei der ebenfalls nur Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit ein Wahlrecht zusteht. Unser Grundgesetz schließt ja die Teilnahme von Ausländern an Wahlen grundsätzlich aus, Menschen aus der EU haben inzwischen bei Kommunalwahlen ein Wahlrecht.
LTO: Wenn die Wahllokale erst abends um 10 schließen, wann ist mit dem Ergebnis zu rechnen?
Kindermann: Wir gehen davon aus, dass bereits kurz nach 22 Uhr erste Hochrechnungen veröffentlicht werden.
Wann das Ergebnis feststeht, hängt dann davon ab, wie knapp das Referendum ausgeht: Liegen die Lager deutlich auseinander, wissen wir möglicherweise bereits nach den ersten Hochrechnungen, woran wir sind. Ansonsten ist aber spätestens am Freitagmorgen mit einem Ergebnis zu rechnen.
Vorhaben derzeit gestoppt
LTO: Was wird ab Freitag passieren?
Kindermann: Dann folgt in jedem Fall eine sehr interessante und arbeitsreiche Zeit. Viele Unternehmen haben in den vergangenen Monaten wichtige Projekte auf Eis gelegt, um das Referendum abzuwarten.
Stimmen die Briten für den Verbleib in der EU, werden eine Vielzahl angesichts der derzeitigen Unsicherheit gestoppter Vorhaben wie etwa die Auflage neuer Produkte oder die Ausweitung bestehender Vertriebsstrukturen wieder in Angriff genommen.
Fraglich bleibt jedoch noch, wie die zukünftige EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs sich angesichts der bereits im Februar seitens der EU gemachten Konzessionen noch verändern wird. Das betrifft z.B. die Weiterentwicklung der Bankenunion, die Währungsunion, den Bürokratieabbau und verschiedene Aspekte der Freizügigkeit.
Kommt hingegen der Brexit, so müssen sich zahlreiche Unternehmen auf neue Rahmenbedingungen einstellen und ihr Geschäftsmodell anpassen.
LTO: Welche Branchen wären besonders stark vom Brexit betroffen?
Kindermann: Der EU-Austritt Großbritanniens würde alle Unternehmen erheblich beeinflussen. Ein konkretes Beispiel wäre etwa ein Asset Manager: Bei einem Brexit müsste er sicherstellen, dass er zukünftig überhaupt seine Produkte noch in der EU vertreiben darf. Dazu könnte er im schlechtesten Falle gezwungen sein, eine neue Unternehmung innerhalb der Grenzen der EU zu gründen.
Banken müssten z.B. im Falle des Brexits sicherstellen, dass eigenes Kapital innerhalb der EU lokalisiert ist, um bestimmte Geschäfte überhaupt vornehmen zu dürfen. Hier käme es also – vorbehaltlich der noch zu treffenden Austrittsvereinbarung zwischen der EU und UK - zu sehr erheblichen Umstrukturierungen.
Jochen Kindermann ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von Simmons & Simmons und Experte im Kapitalmarktrecht. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit die aufsichtsrechtliche Beratung in Bezug auf grenzüberschreitende Sachverhalte und der internationale Vertrieb von Finanzinstrumenten.
Die Fragen stellte Tanja Podolski.
Tanja Podolski, Das Referendum über den Brexit: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19733 (abgerufen am: 08.12.2024 )
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