EU-Freizügigkeit und Brexit: Kommt das Ende – und wenn ja, wann?

von Dr. Adrienne Yong, LL.M.

23.11.2018

Britische Ministerien und Regierung widersprechen sich, während Unionsbürger um das Leben bangen, das sie sich im Vereinigten Königreich aufgebaut haben. Dr. Adrienne Yong über kompliziertes Recht und die Szenarien eines No-Deal-Brexits.

Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) war von Anfang an ein schwieriger Prozess. Die britische Einwanderungsministerin Caroline Nokes sorgte Anfang November für Verwirrung, als sie die Pläne der britischen Regierung für EU-Bürger im Falle eines No-Deal-Brexit nicht zu kennen schien.

Nokes wurde von Yvette Cooper, der Vorsitzenden des Sonderausschusses für Innenpolitik, gefragt, wie Arbeitgeber zwischen EU-Bürgern, die gerade angekommen sind, und EU-Bürgern, die sich seit Jahren im Vereinigten Königreich aufhalten, im Falle eines No-Deals unterscheiden sollten. Nokes antwortete, dass von den Arbeitgebern erwartet werde, dass sie rigorose Arbeitsberechtigungskontrollen durchführen. Dies würde es den Arbeitgebern jedoch ermöglichen, festzustellen, wer ein EU-Bürger ist, und sie daher auch leichter zu diskriminieren.

Die Antwort von Nokes widersprach direkt den Erklärungen des Innenministeriums an die Bürgerrechtsgruppen der EU-Bürger, das zuvor versicherte, dass solche Kontrollen nicht notwendig seien. Die Konfusion löste bei den im Vereinigten Königreich lebenden EU-Bürgern Panik aus.

Sajid Javid, der Innenminister, gab schnell eine Erklärung ab, um den EU-Bürgern zu versichern, Nokes' Behauptung sei in Wirklichkeit falsch. Stattdessen gäbe es eine Übergangszeit, bevor die Arbeitsberechtigungskontrollen erforderlich seien.

Es ist jedoch nicht klar, ob es sich um die gleiche Übergangszeit handelt, die die EU und das Vereinigte Königreich im Rahmen der Brexit-Verhandlungen bis Ende Dezember 2020 festgelegt haben. Was wissen wir denn wirklich darüber, was ein No-Deal-Brexit für die EU-Bürger bedeuten würde?

Abhängigkeit von der Austrittsvereinbarung

Im März 2018 veröffentlichten die EU und das Vereinigte Königreich gemeinsam den Entwurf einer Austrittsvereinbarung. Der Abschnitt über die Bürgerrechte, der von beiden Seiten uneingeschränkt gebilligt wurde, schlug vor, dass eine Reihe von Aufenthaltsrechten für EU-Bürger und ihre Familien geschützt und in der gleichen Weise weiter bestehen werden sollen, wie sie derzeit nach EU-Recht bestehen. Dies gilt gegenseitig für EU-Bürger, die im Vereinigten Königreich leben, und für britische Bürger in der EU.

Ein im Dezember 2017 veröffentlichter gemeinsamer Bericht über den Stand der Verhandlungen hatte jedoch einen wichtigen Vorbehalt enthalten: "Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist", hieß es. Das bedeutet, dass, wenn keine Einigung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich erzielt wird, der Entwurf der Austrittsvereinbarung nicht anwendbar und alles, was zuvor darin vereinbart wurde, nicht bindend wäre.

In diesem Fall würden sowohl EU-Bürger im Vereinigten Königreich als auch britische Bürger in der EU in eine prekäre Lage geraten. Tatsächlich würde zum Beispiel ein Gesetzentwurf, der derzeit im französischen Parlament geprüft wird, es potenziell ermöglichen, britischen Staatsbürgern, die Frankreich besuchen, Visa aufzuerlegen, wenn das Vereinigte Königreich ohne Abkommen aus der EU austritt.

Ein problematisches Aufenthaltsrecht

Im Juli 2018 veröffentlichte das Innenministerium sodann seine Leitlinien für ein neues, sogenanntes EU-Bürgeraufenthaltsverfahren, das alle EU-Bürger im Vereinigten Königreich beantragen müssen, um ihr Recht auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich nach dem Brexit zu sichern. Es wurde als unkomplizierter Online-Prozess mit drei "einfachen" Schritten angekündigt, die Bewerber durchlaufen müssen, um den Antrag zu stellen.

Im September 2018 ist das Pilotprojekt gestartet, ein erster Bericht sprach von einer "erfolgreichen" ersten Testphase. Dieser Einschätzung steht jedoch das Eingeständnis des Innenministeriums selbst entgegen, nach dem die zur Verwaltung der Aufenthaltsanträge erstellte App auf Apple-Handys nicht funktionieren wird.

Das extra eingeführte Verfahren hängt indes nicht davon ab, ob ein Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zustande kommt. Somit könnte die britische Regierung im Falle eines No-Deals immer noch beschließen, es beizubehalten. Sicherheit für die Betroffenen verspricht das aber immer noch nicht: So gibt es etwa noch offene Fragen im Zusammenhang mit dem EU-Aufenthaltsverfahren – und zwar unabhängig von denen, die sich zusätzlich aus dem No-Deal-Szenario ergeben werden.

Im September garantierte zwar die Premierministerin Theresa May, dass die Rechte der EU-Bürger im Vereinigten Königreich im Falle eines No-Deal-Szenarios geschützt werden.

Aber wird das EU-Aufenthaltsverfahren in einem solchen Szenario dann nicht aufgegeben? Sollte das der Fall sein, dann könnten diejenigen, die nicht berechtigt sind, einen Daueraufenthalt zu beantragen, weil sie vor dem 29. März 2019 nicht fünf Jahre hintereinander in Großbritannien gelebt haben, möglicherweise von einer Abschiebung bedroht sein. Dies wirft eine ganze Reihe von Menschenrechtsfragen auf, die meist mit Beeinträchtigungen des Privat- und Familienlebens zusammenhängen.

Ende der Freizügigkeit mit dem No-Deal?

Die größte noch offene Frage ist, wann genau die Freizügigkeit von EU-Bürgern in das Vereinigte Königreich endet, wenn kein spezifischer Brexit-Vertrag zustande kommt. Im Rahmen der mit der EU vereinbarten Übergangszeit würde sie nach Dezember 2020 enden, d.h. jedem EU-Bürger, der bis dahin in das Vereinigte Königreich einreist, würde das Recht auf Aufenthalt garantiert. Als aber am 5. November im Parlament gefragt wurde, was im Falle eines No-Deals passieren würde, konnte die Regierung nicht beantworten, ob die Freizügigkeit am 30. März 2019 sofort eingestellt werden würde.

Obwohl diese wichtige Frage schon oft gestellt wurde, seit die Wahrscheinlichkeit eines No-Deals gestiegen ist, wird eine Antwort umso dringender erforderlich, je näher der 29. März 2019 rückt. Deal oder No-Deal: Die britische Regierung muss ihre Position zu den EU-Bürgerrechten nach dem Brexit klären, da Fehler wie die von Nokes nicht gerade zur Beruhigung der Betroffenen beitragen, die Entscheidungen über ihre Zukunft treffen müssen.

Die Autorin Dr. Adrienne Yong, LL.M. lehrt an der City Law School der University of London. Ihr Beitrag erschien zuerst in der englischen Fassung in "The Conversation".

Zitiervorschlag

EU-Freizügigkeit und Brexit: Kommt das Ende – und wenn ja, wann? . In: Legal Tribune Online, 23.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32281/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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