Der Brexit und britische Zivilurteile: Ende des Gericht­stand­ortes London?

von Dimitrios Christopoulos

15.07.2016

2/2: Alle Alternativen machen die Vollstreckung aufwendiger

Das DBA trifft keine Aussage über die Anforderungen an Gerichtsstandklauseln,  setzt aber die Zulässigkeit in Artikel 4 voraus. Dort heißt es nämlich, dass die Zuständigkeit eines Gerichts für nur zwischen Parteien wirkende Urteile durch eine vor Beginn des Rechtsstreits getroffene Vereinbarung – also eine Gerichtstandvereinbarung – begründet werden kann. Dies lässt allerding die Möglichkeit offen, die Wirksamkeit der Klauseln nach nationalem Recht zu beurteilen. Dieses Szenario wäre dann aufgrund des erhöhten Beratungsbedarfes und Durchsetzungsrisikos deutlich unerfreulicher als die Lösung über das EuGVÜ.

Muss ein Londoner Urteil in einem EU-Staat vollstreckt werden, der nicht Vertragspartei des EuGVÜ ist und mit dem auch kein bilaterales Abkommen existiert, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung nach dem Brexit ausschließlich nach dem nationalen Recht dieses Staates. Hier können sich für die Partei, die dort aus einem Londoner Urteil vollstrecken will, noch weitreichendere Risiken ergeben.

Weitere Risiken für den Gerichtstandort London

Tendenzen zeigen, dass die EU ein großes Interesse daran hat, Rechtsstreitigkeiten mit Bezug zum Binnenmarkt auch vor einem Gericht eines Mitgliedstaates entscheiden zu lassen. Der Trend in Brüssel kann daher auch dahin gehen, Unternehmen aus Drittstaaten vorzuschreiben, ihren EU-Kunden einen Gerichtsstand in einem Mitgliedstaat anbieten zu müssen. Dieser Ansatz findet sich bereits in Artikel 46 Absatz 6 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente. Macht diese Beispiel Schule, wäre der Zugang zum Binnenmarkt für britische Unternehmen faktisch nur in Verbindung mit einem Gerichtsstand in der EU möglich. Das schließt in diesen Bereichen nach dem Brexit zugleich einen Gerichtsstand in London aus.

Steht fest, dass ein britisches Urteil auch nach einem Brexit in Großbritannien oder einem EU-Staat vollstreckt werden muss, der Vertragsstaat des EuGVÜ ist, oder zwischen dem und Großbritannien ein bilaterales Abkommen existiert, ist das Risiko einer Gerichtstandwahl zugunsten Londons noch vorhersehbar. Muss aber ausschließlich oder auch in anderen EU-Staaten – und das ist immerhin die Mehrzahl – vollstreckt werden, hat der Vollstreckungsgläubiger bestenfalls einen erheblichen Mehr- und Kostenaufwand. Im Worst Case wird ein Londoner Urteil dort künftig nicht mehr vollsteckbar sein.

London als Gerichtsstandort mit Nachteilen schon vor dem Brexit

London war als Gerichtstandort ohnehin überbewertet. Zwar kann man vor Londoner Gerichten perfekt auf Englisch und vor erfahrenen Richtern verhandeln. Dies mag im internationalen Rechtsverkehr von Vorteil sein, wenn der Vertrag dem Common-Law unterliegt. Auf Englisch können Partien aber auch vor Schiedsgerichten in fast jedem anderen Land verhandeln und dort auch die Schiedsordnung und Schiedsrichter frei wählen. Die Vollstreckbarkeit dieser Schiedssprüche wird sich in der Regel nach dem New Yorker Übereinkommen vom 10. Juni 1958 richten, das 156 Vertragsstaaten umfasst. Daher wird der – ebenfalls sehr gefragte – Schiedsgerichtsort London vom Brexit kaum tangiert werden.

Verfahren in London sind zudem unabhängig vom Brexit schon immer zeit- und kostenintensiv gewesen. Langwierige Anträge auf Urkundenvorlegung (Disclosure), tagelange Verhandlungen und Kreuzverhöre von Zeugen, und die Zweiteilung der englischen Anwaltschaft in Solicitor und Barrister mit hohen Stundensätzen tun das ihre. An kaum einem Ort lässt sich teurer streiten als in London. Es wäre auch kein Einzelfall, dass die Verfahrenskosten eine Klageforderung im mittleren sechsstelligen Euro-Bereich aufzehren. Mit Verfahren in London ist es wie mit Maßanzügen von der Savile Row: Sicher hervorragend, aber man wartet lange und es wird teuer. Und ein Qualitätsmonopol haben auch die Schneider der Savile Row schon lange nicht mehr.

Dimitrios Christopoulos ist Partner im Düsseldorfer Büro der Wirtschaftskanzlei ARQIS und spezialisiert auf Litigation und Dispute Resolution.

Zitiervorschlag

Dimitrios Christopoulos, Der Brexit und britische Zivilurteile: Ende des Gerichtstandortes London? . In: Legal Tribune Online, 15.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20018/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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