Austrittserklärung des Vereinigten Königreichs: Kein Exit vom Brexit

2/2: Charakter als Gestaltungsrecht

Die in Art. 50 Abs. 2 EUV geregelte Austrittsmitteilung entspricht damit Gestaltungsrechten, wie sie aus dem privaten Vertragsrecht bekannt sind. Zwar führt auch die ordentliche Kündigung eines Miet- oder Arbeitsvertrages die Vertragsbeendigung erst herbei, wenn die einschlägige Kündigungsfrist abgelaufen ist. Das ändert aber nichts daran, dass die Gestaltungswirkung schon unmittelbar mit dem Zugang der Willenserklärung eintritt, weil die Vertragsbeendigung kein weiteres Zutun der Vertragsparteien mehr verlangt und nur noch vom Zeitablauf abhängig ist. Der Kündigende kann die bereits eingetretene Änderung des Rechtsverhältnisses daher nach Zugang der Kündigungserklärung auch nicht mehr einseitig ungeschehen machen.

Dass Gestaltungsrechte unwiderruflich sind, ist auch keineswegs nur dogmatische Pedanterie: Gerade weil die Beendigung eines Rechtsverhältnisses durch eine Kündigung einseitig möglich ist, muss die Gegenseite vor Rechtsunsicherheit geschützt werden. Die bestünde ansonsten nämlich schon deswegen, weil sich der Kündigungsgegner im Fall einer Rücknahmemöglichkeit nicht mehr darauf verlassen könnte, dass der Vertrag mit Ablauf der Kündigungsfrist auch wirklich endet: Notwendige Vorsorgemaßnahmen für die Zeit nach der erwarteten Vertragsbeendigung, so etwa die Suche eines Nachmieters, könnten so kaum sinnvoll getroffen werden.

Auch keine Argumente aus dem Völkerrecht

Auch aus Bestimmungen des Völkervertragsrechts, namentlich der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 (WVK), ergibt sich nichts anderes. Zwar argumentieren die Befürworter einer Rücknahmemöglichkeit damit, dass Art. 68 WVK ausdrücklich die Rücknahme der Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages bis zu dem Zeitpunkt erlaubt, zu dem sie wirksam wird.

Doch abgesehen davon, dass das Unionsrecht eine eigenständige und vom Völkerrecht losgelöste Rechtsordnung darstellt und auf völkervertragsrechtliche Regelungen damit nicht mehr unmittelbar zurückgegriffen werden kann, stellt sich auch hier die entscheidende Frage, wann genau eine Kündigung im Sinne dieser Vorschrift wirksam wird.

Führt die Kündigung aber automatisch (wenn auch erst zu einem späteren Zeitpunkt) eine Vertragsbeendigung herbei, ist sie zutreffenderweise schon mit ihrem Zugang nach Art. 78 WVK und nicht erst dann wirksam, wenn die Kündigungsfrist verstrichen ist. So sehen es jedenfalls auch Stimmen in der völkerrechtlichen Literatur.

Rücknahme bei Einverständnis aller anderen Mitgliedstaaten?

Eine andere Frage ist, ob sich die Mitgliedstaaten einvernehmlich darauf einigen könnten, die Rücknahme der Austrittserklärung zu akzeptieren. Das entspräche zwar nicht dem in Art. 50 EUV geregelten Verfahren, dürfte aber schon deswegen rechtlich möglich sein, weil die Mitgliedstaaten "Herren der Verträge" geblieben sind.

Allerdings wäre diese Hürde wohl nur schwer zu nehmen: Letztlich würde es ja schon ausreichen, wenn nur ein Mitgliedstaat mit einem solchen Vorgehen nicht einverstanden wäre. Wie die jüngere Geschichte der europäischen Integration zeigt, sind Alleingänge einzelner Mitgliedstaaten auch durchaus keine Seltenheit.

Der Autor Prof. Dr. Patrick Ostendorf ist Of Counsel bei Orth Kluth Rechtsanwälte, Berlin und als Dozent an der HTW Berlin unter anderem spezialisiert auf die Bereiche Rechtsvergleichung, ausländisches Privatrecht und internationales Vertragsrecht.

Zitiervorschlag

Patrick Ostendorf, Austrittserklärung des Vereinigten Königreichs: Kein Exit vom Brexit . In: Legal Tribune Online, 10.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22603/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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